
Seit Beginn der Corona-Pandemie sind Therapieangebote für Kinder und Jugendliche mit Behinderung immer wieder ausgefallen, weil Förderschulen und Tagesstätten schließen mussten. Doch während die niedergelassenen Physiotherapeuten, Ergotherapeuten oder Logopäden Hilfe durch den bundesweiten Rettungsschirm bekamen, fürchten die Träger der Behindertenhilfe, auf ihrem Defizit sitzen zu bleiben.
Viele Förderschulen könnten das gar nicht stemmen, warnt Barbara Stamm, die Vorsitzende der Lebenshilfe in Bayern und ehemalige Landtagspräsidentin. Gemeinsam mit anderen Vorständen und Geschäftsführern großer Einrichtungen hat Stamm am Montag Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) einen offenen Brief an den Ministerpräsidenten überreicht. Darin fordern die Träger der Behindertenhilfe von Markus Söder (CSU) einen bayerischen Rettungsschirm für therapeutische Angebote für Kinder und Jugendliche mit Behinderung.
Bayerischer Sonderweg wird der Pandemie zum Nachteil
Denn die Leistungen von Therapeutinnen und Therapeuten, die direkt an den Förderzentren angestellt seien, würden in Bayern über einen Rahmenvertrag von den Krankenkassen finanziert. Diese bundesweite Besonderheit sei eine große Errungenschaft, sagt Stamm. So könnten Lehrkräfte, Heilpädagogen und Therapeuten den Schülerinnen und Schülern gut koordiniert helfen. Wichtig vor allem, wenn die Kinder schwer und mehrfach behindert seien. Im offenen Brief schreiben die Verbände: "Diese wertvolle Leistung hat in der Pandemie einen großen Nachteil." Denn die Träger bekämen von den Krankenkassen nur die tatsächlich geleisteten Therapien finanziert.
Johannes Spielmann, Vorstand der Blindeninstitutsstiftung in Würzburg, sagt: "Wir wurden beim Rettungsschirm nicht berücksichtigt, weil es diesen Rahmenvertrag nur in Bayern gibt." Praxen dagegen seien in ganz Deutschland - orientiert an ihren Einnahmen im vierten Quartal 2019 - abgefunden worden. Daran seien die Krankenkassen durchaus beteiligt gewesen, so Spielmann.
"Mich ärgert vor allem das ständige Hin und Her", sagt CSU-Politikerin und Lebenshilfe-Vorsitzende Barbara Stamm. Der Bund könne nicht helfen, weil es nur in Bayern diese Rahmenverträge mit den Kassen gebe. Wenn aber die Hilfe des Bundes fehle, könne das Land auch nicht helfen: Das Gesundheitsministerium verweise an das Sozialministerium. Das Sozialministerium schiebe die Verantwortung zum Kultusministerium, weil es um Schulen gehe, sagt Stamm: "Am Ende will keiner zuständig sein. Das kann so nicht weiter gehen."

Auf Nachfrage betont das Sozialministerium den "ausgezeichneten Ruf" der medizinisch-therapeutischen Leistungen der heilpädagogischen Fördereinrichtungen, der "bundesweit einzigartig" sei. "Diese im Bundesvergleich besondere Stellung darf den Einrichtungsträgern im Zuge der Corona-Pandemie nicht zum Nachteil gereichen." Das Sozialministerium halte eine Unterstützung aus dem Rahmenvertrag für unbedingt geboten, könne allerdings "in den Bereich der Krankenkasse" nicht eingreifen.
Bis zu acht Millionen Euro Defizit
Insgesamt beziffern die Verbände die Finanzierungslücke bayernweit auf bis zu acht Millionen Euro - und sie fordern eine Erstattung von 60 Prozent. Eine überschaubare Summe, die finanzierbar sein müsse, sagt Stamm. "Das Geld würde uns sonst im Etat fehlen zu Lasten dringend notwendiger Investitionen", sagt der Vorstand der Blindeninstitutsstiftung.
Um die Defizite gering zu halten, habe man frühzeitig Kurzarbeit angemeldet, erläutert Johannes Spielmann. Aber im öffentlichen Dienst trage der Arbeitgeber einen Aufschlag von 35 Prozent. Hinzu kämen die teilweise lebensnotwendigen Therapien für Kinder und Jugendliche, die stationär oder in der Notbetreuung untergebracht gewesen seien. Diese hätten unter strengen und aufwändigen Hygienekonzepten durchgeführt werden müssen, was weitere Zusatzkosten gebracht hätte.
3400 Unterschriften in ganz Bayern gesammelt
Einig sind sich alle Beteiligten, dass die bayerische Lösung mit den Rahmenverträgen und der direkten Anstellung von Therapeuten dort, wo sie gebraucht würden, bestehen bleiben müsse. "Wir brauchen diese niederschwelligen Angebote", sagt Stamm. Weil viele Behinderungen sehr komplex sind, seien die interdisziplinären Therapien "überlebensnotwendig", sagt auch Spielmann. Sie müssten unbedingt weiterhin stattfinden.
Der Leiter der Staatskanzlei, Florian Herrmann, versprach am Montag, sich für eine Lösung stark zu machen. Es könne nicht sein, dass Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen im Vergleich zu den niedergelassenen Praxen unberücksichtigt bleiben würden.
Insgesamt trägt der Brief 3400 Unterschriften von Therapeuten und Verantwortlichen betroffener Träger und Einrichtungen, unter anderem Caritas und Paritätischer Wohlfahrtsverband. Neben der Lebenshilfe und der Blindeninstitutsstiftung ist aus Unterfranken auch der "Verein für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderungen" dabei, der am Würzburger Heuchelhof das Körperbehindertenzentrum betreibt.
Das läuft auf vielen Ebenen in Bayern so - zumindest gibt es in diesem Fall hier eine starke Lobby. In der Regel gibt es die nicht.
Die Zeiten von großen Komplexeinrichtungen und großen Förderschulen sind vorbei in Zeiten der UN-Konvention, das ist der Punkt und auch hier hat Corona das Brennglas drüber gehalten.