Gott sei Dank ist Mozarts "Kleine Nachtmusik" aus den meisten Telefon-Warteschleifen dieser Welt wieder verschwunden, denn weder das Werk noch sein Schöpfer hätten es verdient gehabt, solcherart auf die musikalische Allzeit-Hassliste zu geraten. Inzwischen lässt sich die "Serenade Nr. 13 für Streicher in G-Dur", wie die Nachtmusik korrekt betitelt ist, jedenfalls wieder hören, ohne dass man Kopfschmerzen bekommt.
In Würzburg, wo man Mozart bekanntlich seit 100 Jahren ganz besonders mag, kann man den Evergreen des Musikgenies inzwischen sogar sehen, und zwar sehr bunt an den Wänden einer Fußgängerunterführung. Der jüngst eröffnete "Mozart-Tunnel" unterm Europastern in Grombühl war bis vor kurzem, wie Würzburgs Kulturreferent Achim Könneke fand, ein "typischer abstoßender urbaner Unort", den man durchquerte, um ihn möglichst schnell hinter sich zu lassen.
Doch wie gesagt, das war einmal, denn seit Ende Mai läuft man unterm Autogetöse der Grombühlstraße nicht nur verkehrs-, sondern auch stilsicher. Die Tunnelwände, früher mit Graffiti und Schmutz bedeckt, sind zur Projektionsfläche konkreter Kunst geworden. Sehr konkreter Kunst sogar, denn die vielen bunten Flächen sind nicht nur Dekor, sondern Musik. Von den Wänden leuchten je nach Länge 42 Takte vom ersten und 35 Takte vom zweiten Satz der Kleinen Nachtmusik, nur eben nicht in Noten, sondern in Farben.
Zusammenspiel von Musik und bildender Kunst
Ausgedacht hat sich das Ganze die Künstlerin Julia Breunig. Die Würzburgerin, Jahrgang 1972, experimentiert nicht nur gern mit geometrischen Formen und leuchtenden Farben, sondern auch mit dem Zusammenspiel von Musik und bildender Kunst. Breunig spielt selbst Geige. "Mich hat es fasziniert, Farbtöne und Notentöne zusammenzusetzen", sagt sie über ihre Idee, Musik in Farbflächen zu übersetzen.
Wie das funktioniert? "Jede einzelne Note aus einer Partitur ist ein Farbfeld. Je breiter das Farbkästchen ist, desto länger ist die Note", sagt Breunig. Aus einem Musikstück wird damit ein leuchtendes Farbenfeld, das so unterschiedlich ausfällt, wie die jeweilige Musik eben ist. Für den Betrachter ergibt sich zweierlei: Musik wird für ihn zu einer Art Farbenrausch, und er kann das Stück nicht nur – wie beim Hören – im Zeitverlauf, sondern beinahe "auf einmal", im Überblick sozusagen, erleben.
Eine Software gibt es für das Kunstprinzip nicht. "Das ist Fleißarbeit", sagt Breunig. "Ich lege die Partitur vor mich, habe meine Farbpalette, die entsprechenden Notenlängen und bastele mir das dann zusammen."
Insgesamt 1970 Farbfelder im Tunnel
Für den Mozart-Tunnel hat Breunig die Streichquartett-Partitur der Kleinen Nachtmusik ausgewählt. Die vier Stimmen liegen als Farbbänder übereinander, eine Kachel entspricht in ihrer Breite einer Achtelnote. Eine ganze Note ergibt dann ein entsprechend breiteres Farbfeld. Die Farbfolien hat sie alle selbst mit der Maschine zugeschnitten – insgesamt genau 1970 Stück.
Überhaupt, die Handarbeit: Die handwerkliche Aufarbeitung der Kacheln im Tunnel hatte zwar die AJA (Aktion Jugend und Arbeit) aus Grombühl übernommen, aufgeklebt hat Julia Breunig die Farbfolien aber alle selbst: "Nach den ersten vier bis fünf Tagen hatte ich solche Schmerzen an den Fingerkuppen, dass ich dachte: Wie halte ich die nächsten drei Wochen durch?"
Doch sie hielt durch, trotz Dauer-Muskelkater und Hornhaut an den Händen. Und das Konzept und die Mühen wurden belohnt. Beim Ideenwettbewerb "100 für 100" zum Jubiläums-Mozartfest, zu dem sie ihren Mozart-Tunnel eingereicht hatte, räumte Breunig den ersten Preis im Bereich Design ab. Finanziert wurde das Projekt über Sponsoren.
Was die Künstlerin für das Mozart-Erlebnis im Tunnel rät? "Einfach reingehen, sich überraschen lassen. Mit jedem Schritt, den man geht, verändert sich das Bild, das man sieht." Wer parallel die Musik dazu hören will, kann das übrigens auch: QR-Code am Eingang scannen und den Klängen des Mozart Quartetts Salzburg lauschen. Und bloß nicht an eine Telefon-Warteschleife denken.
Wird aber leider nicht lange so aussehen.