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Würzburg
"Sie fühlen sich nicht gesehen": Projekt am Würzburger Kinderkrebszentrum rückt Geschwister von Krebspatienten in den Fokus
"Geschwisterclub" heißt das Projekt, das Geschwister von krebskranken Kindern unterstützt. Wie Kindern und Jugendlichen damit Raum für ihre Gefühle gegeben wird.
Ein neues Projekt an der Uniklinik nimmt die Bedürfnisse der Geschwister von an Krebs erkrankten Kindern in den Blick, ermutigt und bietet Unterstützung.
Foto: Thomas Obermeier | Ein neues Projekt an der Uniklinik nimmt die Bedürfnisse der Geschwister von an Krebs erkrankten Kindern in den Blick, ermutigt und bietet Unterstützung.
Katja Glatzer
 |  aktualisiert: 12.02.2025 02:41 Uhr

Von heute auf morgen ist alles anders und die schwere Krebserkrankung des Bruders oder der Schwester bestimmt plötzlich den Alltag. Während Mama oder Papa mit dem kranken Kind oft mehrere Wochen im Krankenhaus verbringt, ist das Geschwisterkind zwischen Oma und Opa, Freunden oder den Nachbarn aufgeteilt. Ein Szenario, in dem sich viele Eltern von krebskranken  Kindern wiederfinden. 

Während der Fokus der Eltern auf dem kranken Kind und dessen Genesung liegt, ist es für die Geschwister oft schwer, sich mit der neuen Situation zurechtzufinden. "Sie erleben die Sorge um den kranken Bruder oder die kranke Schwester, sehen sich mit Veränderungen im Familienleben konfrontiert und fühlen sich belastet", erklärt Dr. Lisa Schubert, Psychologin der Kinderonkologie am Universitätsklinikum Würzburg. Gleichzeitig vermissten sie die Zeit mit dem anderen Elternteil, spürten, dass sie ihre Bedürfnisse zurücksetzen müssen. "Sie fühlen sich oft nicht gesehen."

'Geschwisterclub' heißt das neue Präventionsprojekt an der Uniklinik Würzburg für Geschwister von an Krebs erkrankten Kindern. Im Bild (von rechts): Dr. Lisa Schubert, Wibke Schmidt und Annegret Schreyer betreuen das Projekt.
Foto: Thomas Obermeier | "Geschwisterclub" heißt das neue Präventionsprojekt an der Uniklinik Würzburg für Geschwister von an Krebs erkrankten Kindern. Im Bild (von rechts): Dr.

Bedürfnisse der Geschwisterkinder in den Blick nehmen 

Dies zu ändern, hat sich das Präventionsprojekt "Geschwisterclub in Bayern" am Würzburger Kinderkrebszentrum des Universitätsklinikums auf die Fahne geschrieben. Die Bedürfnisse der Geschwisterkinder sollen in den Blick genommen werden, "wir wollen vermehrt auf sie eingehen und unterstützend zur Seite stehen", erklärt Dr. Schubert weiter. Entwickelt wurde der "Geschwisterclub" durch das Institut für Sozialmedizin in der Pädiatrie (ISPA), ansässig in Augsburg. 2019 wurde das Projekt mit dem Bayerischen Präventionspreis ausgezeichnet.

Laut Dr. Schubert war es schon seit längerem ihr Wunsch, die bisherigen Angebote für Geschwister weiter auszubauen. Nun kam die Chance: Die Universitätskinderklinik Würzburg und das Gesundheitsamt für Stadt und Landkreis Würzburg schlossen sich zusammen und bewarben sich gemeinsam mit der Elterninitiative Regenbogen für leukämie- und tumorkranke Kinder e.V. für das Präventionskonzept. "Wir sind so dankbar, dass wir den Zuschlag erhalten haben", sagt Dr. Schubert. 

Neben Deggendorf, Forchheim und Regensburg ist Würzburg damit einer von insgesamt vier "Geschwisterclub"-Standorten in Bayern. Finanziert wird das Projekt durch die Mittel des Bündnisses der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) sowie durch die Elterninitiative Regenbogen für leukämie- und tumorkranke Kinder e. V., erläutert Dr. Schubert.

Das Selbstbewusstsein fördern und Kompetenzen zur Stressbewältigung aneignen

Doch was bedeutet die Unterstützung für die Geschwisterkinder genau und wo setzt sie an? "Auf der einen Seite soll es für die Kinder die Möglichkeit für einzelne Treffen mit der Fachkraft geben, wo sie ihren Gefühlen und Sorgen freien Lauf lassen können, auf der anderen Seite sind präventive Gruppenangebote geplant, die abwechslungsreich und phantasievoll gestaltet werden sollen", erklärt Wibke Schmidt, Sozialpädagogin und Ansprechpartnerin für den „Geschwisterclub“ am Gesundheitsamt Würzburg. 

Der Geschwisterclub hat für verschiedenen Altersklassen Angebote parat. Im Bild:  Dr. Lisa Schubert, die für das Projekt mitverantwortlich ist.
Foto: Thomas Obermeier | Der Geschwisterclub hat für verschiedenen Altersklassen Angebote parat. Im Bild:  Dr. Lisa Schubert, die für das Projekt mitverantwortlich ist.

Neben Spiel, Spaß und kreativen Aktivitäten stehe auch die Förderung des Selbstbewusstseins und der Stressbewältigungskompetenz im Mittelpunkt: "Die Kinder und Jugendlichen erfahren mehr über ihre individuellen Stärken und wie diese in belastenden Situationen hilfreich sein können." Laut Schmidt sind die Planungen für 2025 voll am Laufen, erste Treffen haben bereits stattgefunden. Auch weitere Präventionsmaßnahmen seien geplant: „Wir wollen uns regional vernetzen und die Unterstützung für betroffene Familien ausbauen. Gleichzeitig wollen wir Fortbildungsangebote schaffen, die die Fachkräfte in ihrer Arbeit unterstützen.“

Diplompädagogin Annegret Schreyer ist bereits ausgebildete Fachkraft für Geschwisterkinder und an der Kinderonkologie des Universitätsklinikums mitverantwortlich für das Projekt. „Es ist beeindruckend wie schnell die Geschwisterkinder merken, dass sie nicht alleine sind“, sagt sie. „Sie erzählen einander von ihren Erfahrungen und machen sich gegenseitig Mut. Gleichzeitig schaffen wir mit den Gruppenangeboten einen Raum, in dem sie unbeschwert Kind sein dürfen.“

Geschwisterkinder mit ins Krankenhaus nehmen

Wichtig ist es Schreyer auch, betroffenen Eltern mitzugeben, dass sie ihre Kinder ruhig mit ins Krankenhaus nehmen können: "Die meisten Geschwisterkinder wollen wissen, was vor Ort passiert und wie es dort aussieht." Sie verstehe es, dass Eltern ihre Kinder schützen wollten, oftmals fühlten sich diese aber ausgeschlossen.

Auch die Geschwisterkinder sind wichtig: Zum Beispiel werden Clubmitglieder mit solch einem süßen Paket erfreut, das persönlich an sie verschickt wird.
Foto: Thomas Obermeier | Auch die Geschwisterkinder sind wichtig: Zum Beispiel werden Clubmitglieder mit solch einem süßen Paket erfreut, das persönlich an sie verschickt wird.

Sie erzählt von einem Beispiel, in dem der Bruder des erkrankten Kindes zuhause oft traurig und wütend war. Als er ins Krankenhaus mitkam, habe die an Krebs erkrankte kleine Schwester - im Beisein der Fachkraft für Geschwisterkinder - ihm alles gezeigt. "Das hat dem Jungen sehr gut getan", berichtet Schreyer. Und Dr. Schubert fügt hinzu: "Ein Krankenhaus muss nicht nur ein schwieriger Ort sein, es ist auch ein Ort voller Geheimnisse, an dem es vieles zu entdecken gibt."            

Nadine Spiegel aus Untereisenheim (Landkreis Würzburg) sieht den neuen "Geschwisterclub" als  wichtige Institution. Ihr siebenjähriger Sohn Toni sei im vergangenen Dezember gleich eingetreten, nachdem das Projekt gestartet ist. Vor mehreren Jahren ist Tonis kleiner Bruder Leo an Leukämie erkrankt, viele Krankenhausaufenthalte und Therapien folgten und folgen bis heute. "Da haben wir schon gemerkt, dass für Toni weniger Zeit bleibt und ihn das auch sehr beschäftigt." Dass es nun die Möglichkeit gibt, auch den Siebenjährigen in den Mittelpunkt zu stellen, findet Spiegel gut. "Toni hat sich gleich sehr gefreut, als er hörte, dass es nun auch für ihn einen Platz in der Uniklinik gibt."    

 
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