Der Zweite Weltkrieg ist vorbei, Luisa und ihr Mann Hannes stehen vor dem Nichts. Doch dann wendet sich das Blatt: Die junge Frau wird zur Miss Würzburg gekrönt. Lang währt das Glück jedoch nicht.
Schon der Klappentext des kürzlich erschienenen Romans "Miss Würzburg" (Gmeiner Verlag, 313 Seiten) macht neugierig auf mehr. Autorin Eva-Maria Bast ("Würzburger Geheimnisse") behandelt darin das wechselhafte Leben der Würzburgerin Ilse Schiborr, die vor Kurzem im Alter von 94 Jahren gestorben ist. Im Gespräch erzählt die Autorin warum auch Nicht-Würzburger das Buch lesen sollten und ob Ilse Schiborr noch die Möglichkeit hatte, ihre gedruckte Geschichte zu lesen.
Eva-Maria Bast: Ich bin über einen Zeitungsartikel in der Main-Post auf Frau Schiborr aufmerksam geworden und fand ihre Geschichte total spannend. Ich ziehe meine Inspiration für all meine historischen Romane aus Ereignissen, die sich wirklich so zugetragen haben und bin auch ständig auf der Suche nach Tagebüchern und Zeitzeugenberichten. Zu meiner ersten Saga, der Mondjahre-Saga inspirierte mich das Leben meiner eigenen Familie und die Aufzeichnungen meiner Großmutter. Ich habe Frau Schiborr dann besucht und sie zeigte mir ihre Tagebücher. Ich war hingerissen. Sie lieh sie mir, ich nahm sie mit großer Ehrfurcht entgegen. Ich las und dachte: Daraus müsste ein Roman werden. Ich hatte eigentlich gar nicht vorgehabt, ein Buch über sie zu schreiben. Ich wollte sie nur gern kennenlernen.
Bast: In allen meinen historischen Romanen – also in den meisten meiner Bücher, denn Krimis schreibe ich schon lange nicht mehr – gibt es ein historisches Grundgerüst, an dem sich eine Fantasie dann aber auch entzündet. Da bin ich sehr akribisch, ich recherchiere alles, bis hin zu Wochentag und Wetter. Ich lese alte Zeitungsberichte, Chroniken und für das Buch "Miss Würzburg" waren mir natürlich Roland Flades Bücher "Hoffnung, die aus Trümmern wuchs" und "Zukunft, die aus Trümmern wuchs", ein unerschöpflicher Quell. In dieses Grundgerüst hinein kommt dann die Fiktion. Im Fall von Frau Schiborrs Buch oder auch meinen Biografien über Mata Hari oder Alice von Battenberg ist das natürlich weniger Fiktion als bei Büchern, bei denen ich auch die Figuren komplett erfinde. Aber auch dann ist es so, dass ich bei den Figuren natürlich nicht völlig frei bin. Es ist ja klar: Ein junger Mann im Jahr 1914 wird wohl kaum zu seinem Kumpel gesagt haben "Ey, Alter, das ist voll krass, Mann!"
Bast: Zum Beispiel die Einstiegsszene, in der Ilse – in meinem Roman heißt sie Luise und Briefe an mich hat Frau Schiborr auch mit Luise unterschrieben – unter der Magnolie im Kaisergärtchen steht. Auch die Begegnung mit Albin danach in den Trümmern ist im Grunde genommen fiktiv. Es gab einen Albin in ihrem Leben, aber den traf sie nicht beim Ausgraben der Madonna. Diese Geschichte ist aber trotzdem wahr. Ich kannte sie, weil ich sie 2014 für mein Buch "Würzburger Geheimnisse" recherchiert habe. In Wahrheit ist der Mann, der eine Madonna mit der Kinderschaufel ausgrub, Rudolf Edwin Kuhn. Den schweren Luftangriff auf Wurzburg vom 16. März 1945 erlebte er nicht mit, er war an der Front. Als er davon erfuhr, war er außer sich vor Sorge um seine Eltern. Er schwor sich, eine Madonnenstatue zu restaurieren, wenn seine Eltern noch leben. Die Eltern lebten noch, er hielt Wort und sogar noch mehr als das: In den ersten vier Jahren nach dem Angriff grub er 32 Madonnenplastiken aus dem Schutt und setzte sie gemeinsam mit Bildhauermeister Georg Schneider wieder zusammen. Eine dieser Madonnen ist die Madonna, die heute in der Blasiusgasse 9 steht und die im Roman vorkommt. In all meinen Romanen, so auch in diesem, kläre ich die Leser im Nachwort darüber auf, was erfunden und was real ist.
Bast: Als ungemein bereichernd! Was für eine Frau! Mit jedem Zoll eine Dame! Als ich sie kennenlernte, hatte sie gerade schwere Schicksalsschläge erlitten. Ihr Mann lag mit Corona im Krankenhaus, es ging ihm gar nicht gut und kurz darauf ist er verstorben. Auch Frau Schiborr ging es gesundheitlich nicht gut. Dennoch war sie immer perfekt zurecht gemacht mit lackierten Nägeln, die Frisur saß. Sie hatte so viel Stolz. Sie hatte einen Stock und als sie einmal vor mir die Treppe hinunterging, hat sie mich spitzbübisch angelächelt und gesagt: "Ich muss jetzt am Stock gehen. Aber ich habe mir einen mit Glitzer ausgesucht."
Bast: Sie war ein Symbol der Hoffnung, wie auch die deutsche Schönheitskönigin, Susanne Erichsen, deren Geschichte ich im Buch verwoben habe. Fiktion ist: Die beiden sind sich nie begegnet. Wahr ist Susannes Geschichte. Durch sie konnte ich noch mehr unterstreichen, wie viel Frau Schiborr und auch Susanne Erichsen den Frauen im Nachkriegsdeutschland gaben. Etwas, zu dem auch Aenne Burda beitrug, indem sie ihren Zeitschriften Schnittmuster beilegte und die Frauen nun aus alten Vorhängen adrette Kleider nähen konnten. Das gab so viel Hoffnung! Natürlich sind Äußerlichkeiten nicht wichtig. Aber eigentlich sind sie es doch. Wir kennen das ja von uns selbst. Wie viel besser fühlen wir uns, wenn wir uns zurecht gemacht haben, wenn uns unser Spiegelbild gefällt. Das hat ganz viel mit Würde zu tun und so habe ich Frau Schiborr in der letzten Phase ihres Lebens erlebt, auch wenn es ihr schlecht ging. Deswegen waren der Nagellack und der glitzernde Stock auch so wichtig und alles andere als nebensächlich.
Bast: Ja, ich habe sie ihr im Entstehungsprozess geschickt. Sie hat so mitgefiebert. Das Lesen hat sie Kraft gekostet und ihr gleichzeitig so viel Kraft gegeben. Sie hat mir immer wieder geschrieben, dass das Buch ein Lichtblick sei und dass das Wissen, dass es gerade entsteht, ihr Energie gibt, ihr Trost ist. Als es erschien, lag sie schon im Krankenhaus. Aber sie hat es noch einmal an sich drücken können. Und das bedeutet mir unendlich viel.