Soldaten aus Unterfranken übten vor kurzem den Orts- und Häuserkampf in Karlstadt (Lkr. Main-Spessart). Die Besonderheit: Die Männer, die hier von Raum zu Raum stürmten, tun das nicht hauptberuflich. Eigentlich sind sie Ingenieure, promovierte Physiker, Handwerksmeister, Polizisten, Studenten. Ihre grüne Uniform legen sie nur an wenigen Tagen im Jahr an. Sie sind Reservisten der Bundeswehr – Teilzeitsoldaten, wenn man so will, die ihre in der aktiven Dienstzeit erlernten, militärischen Fähigkeiten in organisierten Übungen auffrischen und vertiefen.
Doch was machen Reservisten eigentlich? Wie viele gibt es in Unterfranken? Und hat sich ihr Dienst seit dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine verändert? Der Vorsitzende der Bezirksgruppe Unterfranken des Reservistenverbandes, Hans-Joachim Stadtmüller, gibt Antworten.
Was sind Reservisten?
Reservist oder Reservistin sind zunächst einmal alle, die mindestens einen Tag in der Bundeswehr gedient und ihren Dienstgrad nicht verloren haben. Das heißt, nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst erhält jede und jeder automatisch den Status "Reservist". Ausnahme ist eine unehrenhafte Entlassung.
Das Engagement in Friedenszeiten ist grundsätzlich freiwillig. Im Verteidigungsfall könnte die Bundeswehr jedoch alle wehrrechtlich verfügbaren Reservisten zum unbefristeten Wehrdienst einberufen. Wehrrechtlich verfügbar sind Reservisten unter anderem, wenn sie jünger als 65 Jahre alt sind und keine medizinischen oder andere Gründe gegen eine Einberufung sprechen.
Welche Arten von Reservisten gibt es?
Die Bundeswehr unterscheidet zwischen "beorderten" und "nicht beorderten" Reservisten. Beorderte Reservisten kehren regelmäßig auf den ihnen von den Streitkräften zugewiesenen Dienstposten zurück, um Reservedienst zu leisten. Als "Truppenreserve" vertreten sie dann unter anderem aktive Soldatinnen und Soldaten, die sich etwa im Auslandseinsatz befinden. Daneben gibt es beorderte Reservisten der sogenannten "Territorialreserve", zu deren Aufgaben die inländische Katastrophenhilfe gehört. Diese Reservisten können aktiviert werden, wenn zum Beispiel bei Hochwasser oder anderen Ausnahmesituationen Feuerwehren und das THW an ihre Grenzen stoßen.
Laut Reservistenverband gibt es in Deutschland rund eine Millionen wehrrechtlich verfügbare Reservisten. Davon haben nur etwa 30.000 eine Beorderungen. 97 Prozent und damit die überwältigende Mehrheit aller Reservisten sind nicht beordert und damit Teil der sogenannten "Allgemeinen Reserve".
Was macht die "Allgemeine Reserve"?
Die allermeisten ehemaligen Soldatinnen und Soldaten sind zwar als Teil der "Allgemeinen Reserve" gelistet, engagieren sich aber nach dem aktiven Dienst nicht mehr militärisch. Jene, die sich nach Dienstzeitende freiwillig militärisch einbringen wollen, tun das über den Reservistenverband. Bundesweit zählt dieser eingetragene Verein ungefähr 109.000 Mitglieder, dabei stellt Bayern mit 40.000 Mitgliedern den stärksten Landesverband. 5600 davon gehören der Bezirksgruppe Unterfranken an.
Eine zentrale Aufgabe des Verbandes ist das Training und die Weiterbildung seiner Mitglieder. Dabei folge man dem Prinzip: "Reservisten bilden Reservisten aus", sagt Stadtmüller. Die meisten Verbandsveranstaltungen – neben militärischen Ausbildungen würden beispielsweise auch sicherheitspolitische Vorträge angeboten – fänden am Wochenende statt. Das Engagement sei mit "normaler ehrenamtlicher Vereinsarbeit" vergleichbar, erklärt Stadtmüller. Anders als beorderte Reservedienstleistende, bekomme man dafür keine Unterhaltssicherung oder eine vergleichbare Vergütung.
Haben alle Reservisten ihre militärische Ausrüstung zu Hause im Schrank?
Nur Reservisten, die beordert sind oder regelmäßig an Verbandsveranstaltungen teilnehmen, verfügen über einen sogenannten Standardsatz an militärischer Ausrüstung. Dabei handelt es sich vor allem um Kleidung. Ihre Waffen verwahrt die Bundeswehr: "Für uns Reservisten gibt es keine rechtliche Sonderregelung, was das Führen von Waffen außerhalb des Dienstes angeht", erläutert Stadtmüller.
Was hat es mit den blauen Waffen auf sich?
Bei den blauen Waffen, die auch in Karlstadt zum Einsatz kamen, handele es sich um reine Attrappen, mit denen man taktisches Vorgehen trainieren könne: "'Blue Guns' erlauben es uns, auch außerhalb dienstlicher Veranstaltungen so etwas wie den Häuserkampf üben zu können", erklärt Stadtmüller.
Die Schauwaffen werden den Reservisten nicht von der Bundeswehr zur Verfügung gestellt. Um flexibler und vielfältiger üben zu können, beschaffe er solches Material aus eigener Initiative, so Stadtmüller. Finanzieren würde er diese Anschaffungen aus der "Vereinskasse". Zusätzlich zu den jährlichen Beiträgen der Mitglieder erhalte der Verband Geld aus dem Wehretat.
Wird seit dem russischen Angriff auf die Ukraine wieder verstärkt das "Kämpfen" geübt?
"Selbstverständlich, spielen die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine in der Ausbildungsplanung eine Rolle", sagt Stadtmüller. Zum Beispiel plane er in Zukunft wieder stärker an der Panzerfaust ausbilden zu lassen. Dies sei in der Vergangenheit sträflich vernachlässigt worden. In der Ukraine zeige sich jedoch, wie wichtig und effektiv die Panzerabwehr in einer konventionellen Auseinandersetzung ist.
Aus welchem Grund wurde in Karlstadt der Orts- und Häuserkampf trainiert?
Das habe weniger mit der aktuellen Lage zu tun, als mit der Tatsache, dass es eine einmalige Möglichkeit gewesen sei, in diesem Abbruch-Haus zu trainieren: "Das ist schon außergewöhnlich: 16 Wohnungen, unheimlich verwinkelt, und das mitten in einem urbanen Umfeld", beschreibt Stadtmüller. Natürlich habe man die Übung mit Polizei und Ordnungsamt abgestimmt, auch um die Anwohner nicht zu verschrecken.
Außerdem müsse er seinen teilweise sehr erfahrenen Reservisten adäquate Trainingsmöglichkeiten bieten: "Einen ehemaligen Hauptfeldwebel können Sie nicht nur auf der Ausbildungswiese sein Gewehr zerlegen und zusammensetzen lassen." Als Vorsitzender müsse er seine Freiwilligen "bei der Stange" halten. Man habe ohnehin Nachwuchsprobleme. Der Altersdurchschnitt in seiner Bezirksgruppe liege ungefähr bei 56 Jahren. Einen Grund hierfür sieht Stadtmüller im Aussetzen der Wehrpflicht: "Ein Riesenfehler", so der Reserveoffizier.