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Erlabrunn
Nach dem Prozess: Wie geht es jetzt weiter in Erlabrunn?
Mit der Rücknahme der Berufung ging der Prozess um den Tod einer 71-Jährigen zu Ende. Viele Fragen wurden beantwortet, viele bleiben offen. Der Versuch einer Bilanz.
Sonnenaufgang in Erlabrunn mit seiner St.-Andreas-Kirche. Die Dorfgemeinschaft muss nun die Gräben schließen.
Foto: Achim Muth | Sonnenaufgang in Erlabrunn mit seiner St.-Andreas-Kirche. Die Dorfgemeinschaft muss nun die Gräben schließen.
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 16.12.2021 11:42 Uhr

Keiner hätte in diesem Augenblick mit dem Mann am Steuer des Traktors tauschen wollen: Ein eiskalter Januar-Morgen 2016 – und gerade hat Gemeindearbeiter Günther K. einen Menschen überfahren.

Das ist die Ausgangslage für ein dreijähriges Drama mit Verwerfungen, wie sie selbst erfahrene Ermittler und Juristen noch nie erlebt haben. Die Kfz-Gutachterin Ulrike Molinari sagt später: Der  Fahrer müsste es selbst bei einem schweren Fendt-Traktor spüren, wenn so etwas passiert.  Und Günther K. gesteht insgeheim nur wenige Tage später einem Feuerwehr-Kameraden in Leinach: Er sei „über etwas Weiches“ hinweggerollt. 

Man würde vermuten, ein Mann mit der jahrzehntelangen Erfahrung des Erlabrunner Feuerwehr-Kommandanten würde nachschauen, was passiert ist. Doch Günther K. gibt Gas an jenem Januartag in Erlabrunn (Lkr. Würzburg) – und gerät auf einen Weg, von dem es für ihn und andere Menschen kein zurück mehr gibt.

Gisela Kempf
Foto: Kempf | Gisela Kempf

Bei dem Unfall stirbt Gisela Kempf. Jahrzehntelang hatte sie mit ihrem Mann das Café-Restaurant "Gisela" betrieben, ihre Kochkunst und ihre gerade Art schätzten die Menschen im Dorf - und darüber hinaus. An jenem Morgen war die 71-Jährige mit ihrem Mann beim Frühstück gesessen. Sie wollte nur schnell den Gelben Sack vor die Türe bringen, das angebissene Käsebrötchen lag noch auf dem Teller. Die Mutter von drei Kindern, Großmutter von sieben Enkeln, sie kehrte nicht mehr zurück.

Der Fall entwickelt tragische Züge

Der Fall um den Tod der Frau entwickelt bald tragische Züge. Ins Visier der Fahnder gerät der damalige Bauhofleiter Günther K., ihm wird vorgeworfen, die 71-Jährige überfahren zu haben und  vom Unfallort geflohen zu sein. Die folgenden Ereignisse sprechen dafür, dass er so handelte, wie es der Dichter Christian Morgenstern einst beschrieb: "Es kann nicht sein, was nicht sein darf." K. hat sich vom Schlosser zum Leiter des Gemeinde-Bauhofes hochgearbeitet, als Gemeinderat und Feuerwehrkommandant gehört er zur örtlichen Prominenz. "Die Feuerwehr war mein ein und alles", ist einer der Sätze, die ihm wichtig sind.

Der leitende Ermittler Andreas Scheckenbach vermutet vor Gericht, dass ausgerechnet an der Engstelle ein Verwandter von Günther K. mit einem Kleinbus entgegengekommen sein dürfte. Der Fahrer, der die Tote gefunden hat, bestreitet das. 

Beide Fahrzeuge passen nicht durch das Nadelöhr. Also könnte – so der Unfallermittler - der Traktorfahrer den Rückwärtsgang reingeknüppelt haben, um zu rangieren. Und dabei könnte er „die Gis“- wie die 71-jährige Ex-Wirtin im Dorf heißt – versehentlich überrollt haben.

An seiner Verantwortung hat das Amtsgericht Würzburg im November 2017 keinen Zweifel: Die Reifen des Traktors sind die einzigen, die zu den Abdrücken auf dem Körper der Getöteten passen. Und Günther K. fuhr den Traktor. Das Urteil lautet: 22 Monate Gefängnis. Ohne Bewährung. So bitter der Tod von Gisela K. ist – rein juristisch ist er eine fahrlässige Tötung, für die der Fahrer bei einem Geständnis mit einem Strafbefehl hätte davonkommen können.

Falsche Fährten werden gelegt

Man muss davon ausgehen, dass in der Stunde nach dem Unfall eifrig mit Handys telefoniert und geschrieben wurde, von K. zu seiner Frau, dem Fahrer des VW-Busses, und zum Schwager, der mit Günther K. den Streudienst machte und Kollege ist im Bauhof.  Doch die Handydaten weisen große Lücken in der Zeit nach dem Unfall auf. Nicht nur Staatsanwältin Martina Pfister-Luz fragte sich: "Warum wohl?"

Falsche Fährten werden gelegt. Günther K. beklagt sich beim Bürgermeister: Die Familie der Getöteten hetze gegen ihn. Die weiß davon nichts. Aber der Ton wird aggressiver, zwei Lager bilden sich. 

Feindseligkeiten haben viele Facetten. Witwer Erich K. berichtet im Zeugenstand: Manche Mitbürger wechseln die Straße, wenn er komme. Was er nicht sagt: In den Geschäften der Söhne bleiben Kunden weg. Manche begründen das ungehemmt mit den Ermittlungen gegen den Feuerwehrkommandanten. Die Schwiegertochter von Gisela K. kriegt es sogar schriftlich: Ihren Friseursalon wolle eine langjährige Kundin nicht mehr betreten, heißt es in einem Brief.

Freundschaften werden auf eine harte Probe gestellt: Die einen fühlen mit den Hinterbliebenen, die anderen glauben an die Unschuld des Angeklagten. Polizist Scheckenbach antwortet auf Nachfrage Richterin Susanne Krischker: Es sei eine Schande, wie Geschädigte zu Opfern gemacht würden. "Ich habe so etwas in der Weise noch nie erlebt."

Der Verurteilte sagt, er übernehme die "volle Verantwortung"

Nach fast drei Jahren und zwei Prozessen zieht Günther K. in der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht die Reißleine. Die Beweislage wird immer erdrückender. Er gesteht, dreht sich um zu den Hinterbliebenen und sagt: „Es tut mir leid“.

Unbekannte stellten eine Kerze an die Unfallstelle.
Foto: Thomas Obermeier | Unbekannte stellten eine Kerze an die Unfallstelle.

Man muss die Erklärung seines Verteidigers Martin Reitmaier im Namen seines Mandanten schon genau lesen: "Er übernimmt die volle Verantwortung", steht da. Aber wofür? Er räumt den Tatbestand der fahrlässigen Tötung "sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht ein", will aber vom Unfall nichts bemerkt haben. "Er hatte während des gesamten Ermittlungsverfahrens und während des Prozesses die Hoffnung, dass vielleicht doch herauskommt, dass ein anderes Fahrzeug Frau K. erfasst hat", steht da. Kein Wort zur Unfallflucht und Vertuschung.

An diesem Donnerstag dann die letzte Wendung in einem Fall, der die Region bewegt hat. Der Angeklagte zieht seine Berufung überraschend zurück, die Staatsanwaltschaft ebenfalls. Abrupt ist damit das Verfahren beendet, das Urteil aus erster Instanz erlangt Rechtskraft: Günther K. muss 22 Monate in Haft.

Der Bürgermeister will dazu beitragen, dass der Riss gekittet wird

Die Situation in Erlabrunn bleibt bedrückend. Die Hinterbliebenen haben viele unbeantwortete Fragen, der Verurteilte hat seinen Arbeitsplatz bei der Gemeinde und den Posten des Feuerwehr-Chefs verloren. Die Prozesse werden ihn ein Vermögen kosten – und nach Weihnachten wird die Ladung zum Haftantritt kommen. Äußern will er sich nicht, schon gar nicht dem Reporter gegenüber.

Auch das 1800-Einwohner-Dorf steht vor einer Herausforderung. Bürgermeister Thomas Benkert hofft, dass nach dem Ende des Verfahrens "wieder Ruhe und Normalität eintreten". Der Familie des Opfers "hätte das nochmals belastende Berufungsverfahren erspart bleiben können". Er sehe seine Aufgabe nun darin, mit dazu beizutragen, "dass der Riss, der durch unsere Gemeinde geht, wieder gekittet wird".

 
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  • felix52
    Das Bedauerliche ist wohl, dass das Mindestziel nicht erreicht wurde, nämlich dass Frieden im Ort einkehrt. Ich hoffe nicht dass Punkbone und Irmi Erlabrunner sind, sonst hätte Fam. Kempf wohl nie Ruhe dort.
    Jeder Täter kann im Schock mal falsch reagieren, aber das sollte keine drei Jahre anhalten.
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  • Barbara
    Ich wäre auch dafür dass das Gericht weiter nach der Wahrheit sucht bei so vielen Lügen die hier getrommelt wurden. Man könnte den Anschein bekommen dass es für Falschaussagen keine Strafe gäbe.Sollten alle vereidigt werden.
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  • mainpost@swamp.franken.de
    Siehe meinen Kommentar weiter oben.

    Nicht das Gericht, sondern die Staatsanwaltschaft. Und ich gehe davon aus, daß es dem Staatsanwalt in den Fingern juckt.
    Aber ich finde, es ist eine weise Entscheidung, nicht weiter zu ermittlen.
    Aktuell dürfte klar sein, was passiert ist und daß nicht die Angehörigen des Opfers die Bösen sind.
    Wenn jetzt aber noch gegen mehrere Zeugen ermittelt würde, ginge der ganze Zirkus von vorne los. Und wenn dann mehrere Bürger bestraft würden, wäre das sicher gerecht. Aber der Zusammenhalt im Dorf wäre komplett dahin.
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  • Barbara
    Zu Irmi1961 könnte man vermuten sie habe nichts verstanden oder gehört sie zu den Mitwissern...ganz schön makaber ihr Komentar.
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  • erlabrunn wenn Interessiert das , keinen Menschen jetzt macht mal kein so einen Affen.
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  • roswitha.oehrlein@aol.com
    Wer hier wohl den Affen macht? grinsen
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  • Es war ein dumme Sache der Unfall und alles was dazugekommen ist aber das hat doch nichts mit dem Ort wo es geschah zu tuen. Wenn alle Ortschaften resignieren wo irgendwann mal was geschah dürfte Deutschland zumachen.
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  • Was soll das gehabe die Frau idt Tod der ursacher hat gestanden in einem Jahr redet keiner mehr davon oder wollt Ihr das zu einem Film machen ? Tatort Unterfranken ?????????
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  • roswitha.oehrlein@aol.com
    Wenn ein öffentliches Interesse an der Verfolgung der Zeugen, welche wissentlich und vorsätzlich Falschaussagen begangen haben, besteht, so kann die Staatsanwaltschaft Anklage erheben, wenn die Angehörigen der Getöteten Anklage erheben (Anklageerhebung bei Privatklagedelikten §376 StPO)!
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  • mainpost@swamp.franken.de
    Ich gehe davon aus, daß das auch ohne die Angehörigen gehen würde. Schließlich steht Falschaussage und evtl. Strafvereitelung im Raum.

    Aber:
    Laut dem Bericht vom Ende des Verfahrens hat der Staatsanwalt seine Berufung nur wegen der Angehörigen zurück genommen. Sonst liefe ja dieses Verfahren noch weiter. Darum kann ich mir nicht vorstellen, daß er gegen die Zeugen vorgehen wird. Denn dann ginge das Ganze ja sogar wieder von vorne los.
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  • Arcus
    Wenn sich Erlabrunn nicht schnell und nachhaltig an die Aufarbeitung des Falles macht, könnte die Perle am Main, die jetzt schon überdeutlich an Strahlkraft verloren hat, schnell auf der Liste der lost places (abandoned Premises) erscheinen.
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  • Braun_Matthias@hotmail.com
    Der Prozess hat gezeigt, dass so mancher angeblicher "Ehrenmann" nichts anderes ist als ein armseliges Würstchen ohne Charakter und ohne menschliches Verantwortungsbewusstsein. Der Prozess hat auch gezeigt, dass falsche Aussagen vor Gericht scheinbar wenig Konsequenzen haben. Am Ende bleiben, wie es die MP bereits geschrieben hat, nur Verlierer. Mein Mitgefühl geht an die ganze Familie von Frau Gisela Kempf. Ich wünsche der Familie viel Kraft und Zuversicht
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  • Barbara
    schon merkwürdig, dass sich kein Erlabrunner den Fragen eines Kamerateams stellt, auch nicht der Bürgermeister. Ist man jetzt zu feige zuzugeben, dass hier viele Menschen falsch reagiert haben?? Aber Leute beschmutzen, die durch den Tod eines Angehörigen genug verletzt sind, und Vertuscher (ich möchte sie nicht Verbrecher nennen, obwohl es welche sind!!!) den Rücken frei halten. Das ist das Letzte !!! Dort noch wohnen zu bleiben, die Oberdreistigkeit !!!!!!!!!!!!
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  • Arcus
    Bunkert sagt er will Risse kitten. Aber ist er nicht Teil des Systems? In Erlabrunn geboren und nie wirklich woanders ernsthaft Luft gesaugt. Mitglied in fast allen Vereinen. Auch der Feuerwehr.
    In Erlabrunn sind jetzt unabhängige Brückenbauer gefragt. Verwaltungsfachkräfte haben andere Schwerpunkte.
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  • 22 Monate Haft? Wenn ich die Pressemitteilungen der letzten Monate über den Fall so lese, dann schließt sich daraus, dass er mit Sicherheit die Frau nicht absichtlich überfahren hat. Meiner Meinung nach war sein Verhalten eine Schockreaktion, er hat einen Menschen unabsichtlich überfahren und wollte den Vorfall geheim halten. Er hatte Angst und statt zu helfen hat er den Unfallort verlassen. Dies sind normale Schockreaktionen. In Deutschland leben Schwerverbrecher die mit Bewährung davon kommen und ein einfacher Mensch wird mit 22 Monate Haft bestraft. Es gibt genügend andere und sinnvollere Möglichkeiten den Herrn zu bestrafen wie z.B. Spende an eine wohltätige Einrichtung, Sozialstunden etc.
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  • Arcus
    Jetzt bitte keine Dolchstosslegenden!
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  • flyarcus@gmx.de
    @pankbohne....ihr Kommentar ist hoffentlich Ironie? Wo kommen wir denn hin, wenn jeder einen Menschen ungestraft totfahren kann? Totfahren, abhauen, vertuschen, professionell Spuren beseitigen, lügen und Mitmenschen mit reinziehen, am Ende noch die ganze Dorfgemeinschaft und den kompletten Ruf des Dorfes zerstört! Das soll ungestraft sein, weil es möglicherweise ein "Versehen" war? 22 Monate sind ein Witz......
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  • mainpost@swamp.franken.de
    Nur dürfte eine "normale Schockreaktion" keine drei Jahre anhalten und eine solche Menge krimineller Energie zwecks Vertuschung freisetzen.
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  • jutta.noether@web.de
    @punkbone, Sie hätten vollkommen recht - wenn es sich um einen "normalen" Vorfall mit Standardermittlungen etc. handeln würde.
    Aber offensichtlich haben Sie in den letzten drei Jahren nicht mitverfolgt, was hier für eine geradezu perverse Vertuschungskampagne seitens des Täters abging?
    Und dafür sind 22 Monate mehr als gnädig.
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  • berndschebler@mail.de
    Machen Sie sich nicht lächerlich, 22 Monate sind noch viel zu wenig, ihn hätte ich 7 Jahre gegeben.
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