Keiner hätte in diesem Augenblick mit dem Mann am Steuer des Traktors tauschen wollen: Ein eiskalter Januar-Morgen 2016 – und gerade hat Gemeindearbeiter Günther K. einen Menschen überfahren.
Das ist die Ausgangslage für ein dreijähriges Drama mit Verwerfungen, wie sie selbst erfahrene Ermittler und Juristen noch nie erlebt haben. Die Kfz-Gutachterin Ulrike Molinari sagt später: Der Fahrer müsste es selbst bei einem schweren Fendt-Traktor spüren, wenn so etwas passiert. Und Günther K. gesteht insgeheim nur wenige Tage später einem Feuerwehr-Kameraden in Leinach: Er sei „über etwas Weiches“ hinweggerollt.
Man würde vermuten, ein Mann mit der jahrzehntelangen Erfahrung des Erlabrunner Feuerwehr-Kommandanten würde nachschauen, was passiert ist. Doch Günther K. gibt Gas an jenem Januartag in Erlabrunn (Lkr. Würzburg) – und gerät auf einen Weg, von dem es für ihn und andere Menschen kein zurück mehr gibt.
Bei dem Unfall stirbt Gisela Kempf. Jahrzehntelang hatte sie mit ihrem Mann das Café-Restaurant "Gisela" betrieben, ihre Kochkunst und ihre gerade Art schätzten die Menschen im Dorf - und darüber hinaus. An jenem Morgen war die 71-Jährige mit ihrem Mann beim Frühstück gesessen. Sie wollte nur schnell den Gelben Sack vor die Türe bringen, das angebissene Käsebrötchen lag noch auf dem Teller. Die Mutter von drei Kindern, Großmutter von sieben Enkeln, sie kehrte nicht mehr zurück.
Der Fall entwickelt tragische Züge
Der Fall um den Tod der Frau entwickelt bald tragische Züge. Ins Visier der Fahnder gerät der damalige Bauhofleiter Günther K., ihm wird vorgeworfen, die 71-Jährige überfahren zu haben und vom Unfallort geflohen zu sein. Die folgenden Ereignisse sprechen dafür, dass er so handelte, wie es der Dichter Christian Morgenstern einst beschrieb: "Es kann nicht sein, was nicht sein darf." K. hat sich vom Schlosser zum Leiter des Gemeinde-Bauhofes hochgearbeitet, als Gemeinderat und Feuerwehrkommandant gehört er zur örtlichen Prominenz. "Die Feuerwehr war mein ein und alles", ist einer der Sätze, die ihm wichtig sind.
Der leitende Ermittler Andreas Scheckenbach vermutet vor Gericht, dass ausgerechnet an der Engstelle ein Verwandter von Günther K. mit einem Kleinbus entgegengekommen sein dürfte. Der Fahrer, der die Tote gefunden hat, bestreitet das.
Beide Fahrzeuge passen nicht durch das Nadelöhr. Also könnte – so der Unfallermittler - der Traktorfahrer den Rückwärtsgang reingeknüppelt haben, um zu rangieren. Und dabei könnte er „die Gis“- wie die 71-jährige Ex-Wirtin im Dorf heißt – versehentlich überrollt haben.
An seiner Verantwortung hat das Amtsgericht Würzburg im November 2017 keinen Zweifel: Die Reifen des Traktors sind die einzigen, die zu den Abdrücken auf dem Körper der Getöteten passen. Und Günther K. fuhr den Traktor. Das Urteil lautet: 22 Monate Gefängnis. Ohne Bewährung. So bitter der Tod von Gisela K. ist – rein juristisch ist er eine fahrlässige Tötung, für die der Fahrer bei einem Geständnis mit einem Strafbefehl hätte davonkommen können.
Falsche Fährten werden gelegt
Man muss davon ausgehen, dass in der Stunde nach dem Unfall eifrig mit Handys telefoniert und geschrieben wurde, von K. zu seiner Frau, dem Fahrer des VW-Busses, und zum Schwager, der mit Günther K. den Streudienst machte und Kollege ist im Bauhof. Doch die Handydaten weisen große Lücken in der Zeit nach dem Unfall auf. Nicht nur Staatsanwältin Martina Pfister-Luz fragte sich: "Warum wohl?"
Falsche Fährten werden gelegt. Günther K. beklagt sich beim Bürgermeister: Die Familie der Getöteten hetze gegen ihn. Die weiß davon nichts. Aber der Ton wird aggressiver, zwei Lager bilden sich.
- Ein Kommentar: Viel Aufwand für wenig Ergebnis?
Feindseligkeiten haben viele Facetten. Witwer Erich K. berichtet im Zeugenstand: Manche Mitbürger wechseln die Straße, wenn er komme. Was er nicht sagt: In den Geschäften der Söhne bleiben Kunden weg. Manche begründen das ungehemmt mit den Ermittlungen gegen den Feuerwehrkommandanten. Die Schwiegertochter von Gisela K. kriegt es sogar schriftlich: Ihren Friseursalon wolle eine langjährige Kundin nicht mehr betreten, heißt es in einem Brief.
Freundschaften werden auf eine harte Probe gestellt: Die einen fühlen mit den Hinterbliebenen, die anderen glauben an die Unschuld des Angeklagten. Polizist Scheckenbach antwortet auf Nachfrage Richterin Susanne Krischker: Es sei eine Schande, wie Geschädigte zu Opfern gemacht würden. "Ich habe so etwas in der Weise noch nie erlebt."
Der Verurteilte sagt, er übernehme die "volle Verantwortung"
Nach fast drei Jahren und zwei Prozessen zieht Günther K. in der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht die Reißleine. Die Beweislage wird immer erdrückender. Er gesteht, dreht sich um zu den Hinterbliebenen und sagt: „Es tut mir leid“.
Man muss die Erklärung seines Verteidigers Martin Reitmaier im Namen seines Mandanten schon genau lesen: "Er übernimmt die volle Verantwortung", steht da. Aber wofür? Er räumt den Tatbestand der fahrlässigen Tötung "sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht ein", will aber vom Unfall nichts bemerkt haben. "Er hatte während des gesamten Ermittlungsverfahrens und während des Prozesses die Hoffnung, dass vielleicht doch herauskommt, dass ein anderes Fahrzeug Frau K. erfasst hat", steht da. Kein Wort zur Unfallflucht und Vertuschung.
- Die Wende: Das Geständnis im Wortlaut
An diesem Donnerstag dann die letzte Wendung in einem Fall, der die Region bewegt hat. Der Angeklagte zieht seine Berufung überraschend zurück, die Staatsanwaltschaft ebenfalls. Abrupt ist damit das Verfahren beendet, das Urteil aus erster Instanz erlangt Rechtskraft: Günther K. muss 22 Monate in Haft.
Der Bürgermeister will dazu beitragen, dass der Riss gekittet wird
Die Situation in Erlabrunn bleibt bedrückend. Die Hinterbliebenen haben viele unbeantwortete Fragen, der Verurteilte hat seinen Arbeitsplatz bei der Gemeinde und den Posten des Feuerwehr-Chefs verloren. Die Prozesse werden ihn ein Vermögen kosten – und nach Weihnachten wird die Ladung zum Haftantritt kommen. Äußern will er sich nicht, schon gar nicht dem Reporter gegenüber.
Auch das 1800-Einwohner-Dorf steht vor einer Herausforderung. Bürgermeister Thomas Benkert hofft, dass nach dem Ende des Verfahrens "wieder Ruhe und Normalität eintreten". Der Familie des Opfers "hätte das nochmals belastende Berufungsverfahren erspart bleiben können". Er sehe seine Aufgabe nun darin, mit dazu beizutragen, "dass der Riss, der durch unsere Gemeinde geht, wieder gekittet wird".
Jeder Täter kann im Schock mal falsch reagieren, aber das sollte keine drei Jahre anhalten.
Nicht das Gericht, sondern die Staatsanwaltschaft. Und ich gehe davon aus, daß es dem Staatsanwalt in den Fingern juckt.
Aber ich finde, es ist eine weise Entscheidung, nicht weiter zu ermittlen.
Aktuell dürfte klar sein, was passiert ist und daß nicht die Angehörigen des Opfers die Bösen sind.
Wenn jetzt aber noch gegen mehrere Zeugen ermittelt würde, ginge der ganze Zirkus von vorne los. Und wenn dann mehrere Bürger bestraft würden, wäre das sicher gerecht. Aber der Zusammenhalt im Dorf wäre komplett dahin.
Aber:
Laut dem Bericht vom Ende des Verfahrens hat der Staatsanwalt seine Berufung nur wegen der Angehörigen zurück genommen. Sonst liefe ja dieses Verfahren noch weiter. Darum kann ich mir nicht vorstellen, daß er gegen die Zeugen vorgehen wird. Denn dann ginge das Ganze ja sogar wieder von vorne los.
In Erlabrunn sind jetzt unabhängige Brückenbauer gefragt. Verwaltungsfachkräfte haben andere Schwerpunkte.
Aber offensichtlich haben Sie in den letzten drei Jahren nicht mitverfolgt, was hier für eine geradezu perverse Vertuschungskampagne seitens des Täters abging?
Und dafür sind 22 Monate mehr als gnädig.