Generationen von Kindern haben sich die Nasen am Aquarium platt gedrückt, Guppys und Neonfische beobachtet, die Skalare und Welse, während ihre Eltern an den massiven Holztischen die Spezialitäten des Hauses aßen: Cordon bleu, Schaschlik oder die „Fuhre Mist“ – eine Komposition verschiedener Fleischsorten und Beilagen, serviert auf einem kleinen Holzschubkarren. Oder die Kuchen des Hauses. Das „Café“, wie das Restaurant von Gisela und Erich Kempf im Volksmund nur hieß, es war eine Institution im kleinen Weinort Erlabrunn, und das zum Gastraum hin eingemauerte Aquarium eine Attraktion für die Kleinen. Nach 45 Jahren haben sich jetzt die Pforten geschlossen – das Wirtsehepaar geht in den Ruhestand.
An Samstagen und Sonntagen sowie Feiertagen war das Lokal geöffnet, und über die Jahrzehnte war es ein Ort der Zuverlässigkeit: Die Chefin kochte, der Chef schenkte aus. „Es war immer alles selbst gemacht“, sagt Erich Kempf (72). Er hätte auch sagen können: mit Herzblut. „Aber jetzt bleibt uns nur, uns bei allen Gästen für die Treue zu bedanken“, so Kempf, der gesteht, dass er sich an die neue Situation an den Wochenenden erst wird gewöhnen müssen. Der Platz an der Theke, die zahllosen Gespräche mit den Stammgästen, er vermisst das: „Wir haben ja über all die Jahre so viele nette Menschen kennengelernt“, sagt er. Jetzt sind die Wochenenden frei, „und anfangs fällt man da in ein tiefes Loch“.
Während Gisela Kempf (68) die Arbeit von der Pike auf gelernt hat, sie absolvierte eine Ausbildung als Köchin im Juliusspital und arbeitete auch eine Saison in der Schweiz, war ihr Mann Quereinsteiger. Als gelernter Maschinenbauer arbeitete er bei Koenig & Bauer, erst 1978, nach elf Jahren als Teilzeitwirt, kündigte er bei dem Druckmaschinenhersteller. Das Lokal im Keller seines Wohnhauses in der Erlabrunner Ortsmitte florierte. Es folgte der Ausbau der elterlichen Scheune nebenan zum liebevoll gestalteten „Gästehaus Tenne“, 1983 restaurierte Erich Kempf den ehemaligen Kartoffel- und Weinkeller, unter dem steinernen Gewölbe fanden seither viele Feiern statt.
Das größte Projekt folgte jedoch erst noch: 1989 kaufte Erich Kempf den historischen, aber verwahrlosten Meisnerhof. Zusammen mit seinen Söhnen verwandelte er das Gehöft zu einem Schmuckstück, das heute Hotel, Biergarten und Restaurant beherbergt. Für die gelungene Restaurierung erhielt die Familie den Bayerischen Denkmalpreis.
Nun ist Schluss mit dem „Café“, eine Fortsetzung der Tradition durch die Kinder schied aus: Mira (40) lebt in der Nähe von Rom und hat dort jüngst die Prüfung zur Fremdenführerin in der italienischen Hauptstadt bestanden, Gaston (42) führt mit seiner Frau den Obst- und Gemüsestand am Obelisken auf dem Unteren Markt in Würzburg und Marco (46) arbeitet als Maschinenbauingenieur und leitet mit seiner Familie den Meisnerhof. Vielleicht findet sich ein Pächter für das „Café“.
„Einmal ist Schluss“, sagt Erich Kempf. Ganz loslassen kann er aber noch nicht. Darf er nicht. Einmal am Tag steigt er die Treppen runter ins verschlossene Lokal: Er sieht nach den Fischen.