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Würzburg
Nach Angriff auf den "Drachenlord" am Würzburger Bahnhof: Was reizt Menschen an der Hetzjagd?
Der mittelfränkische Youtuber Rainer Winkler ist als "Drachenlord" seit Jahren Zielscheibe für Hass - im Internet wie im realen Leben. Wie ein Würzburger Psychologe das Phänomen bewertet.
Der bekannte Youtuber Rainer Winkler alias 'Drachenlord' ist Ende März in Würzburg angegriffen worden. 
Foto: Daniel Karmann, dpa | Der bekannte Youtuber Rainer Winkler alias "Drachenlord" ist Ende März in Würzburg angegriffen worden. 
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:04 Uhr

Als Deutschlands bekanntestes Mobbingopfer hat es der mittelfränkische Youtuber "Drachenlord" alias Rainer Winkler (33) zu zweifelhafter Prominenz gebracht. Seit Jahren formieren sich seine Anti-Fans über das Netz zu einem Hassmob, der selbst vor seinem Wohnhaus nicht halt machte.

Ende März kam es auch in Würzburg zu einem Zwischenfall. Beim Warten auf seinen Zug geriet der 33-Jährige in eine handfeste Auseinandersetzung mit drei oder vier Männern. Ein Video zeigt gegenseitige Beschimpfungen und eine Rauferei des "Drachenlords" mit mehreren Männern.

Doch woher kommt dieser Hass gegen ihn? Prof. Markus Appel, Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationspsychologie und Neue Medien an der Universität Würzburg, analysiert den Fall und gesellschaftliche Bedingungen.

Frage: Eine hasserfüllte Meute jagt einen Menschen, dem niedrige Intelligenz und seelische Störungen bescheinigt sind. Haben Sie eine Erklärung für das Phänomen?

Prof. Markus Appel: Der Drachenlord ruft bei seinen Hatern eine Art Fremdschämen hervor: nicht mitleidig-positiv, sondern eben verachtend. Man hält sich für klüger und moralisch überlegen und rückt die vermeintlichen Verfehlungen des Opfers in den Mittelpunkt. Man tritt nach unten und will der Person "eine Lektion erteilen."

Prof. Markus Appel ist Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationspsychologie und Neue Medien an der Uni Würzburg.
Foto: Fotostudio Balsereit | Prof. Markus Appel ist Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationspsychologie und Neue Medien an der Uni Würzburg.

Verachtung klingt milde. Es geht um organisierten Hass, als wollte man einen Menschen zu Tode hetzen. 

Appel: Das Außergewöhnliche an diesem Fall ist, dass der Hass nicht im Online-Universum geblieben ist, sondern sich ebenso stark in der Realwelt manifestiert hat. Dass Leute sogar den Wohnort aufgesucht haben und es dort zu Gewalt und Auseinandersetzungen kam. Und dass es der Dorfgemeinschaft und der Polizei vor Ort nicht gelungen ist, den Anfängen zu wehren und das Zusammenrotten von Auswärtigen zu stoppen. Auch da scheint etwas falsch gelaufen zu sein.

Verstärken sich hier digitale und reale Welt zu einer Spirale von Aggression und Eskalation?

Appel: Ja, das sind Prozesse des gegenseitigen Hochschaukelns. Die Reaktionen des "Drachenlords" füttern natürlich die Hater und erhalten die Dynamik des Konflikts, ohne dass ich die Verhaltensweisen gleichstellen wollte. Es gibt hier meines Erachtens ein klares Opfer, das ist der Drachenlord. Und es gibt Leute, die Täter sind oder auch nur Zuschauer, die sich darüber amüsieren.

Aber warum dieser Hass, dieses brutale "Spiel"?

Appel: Die Hater kommen zum Teil aus der Mitte der Gesellschaft, sie haben Jobs, sind erfolgreich, haben Familie – also ganz normale Menschen, auch wenn es ihnen an Empathie fehlen mag. Für diese Leute ist das Unterhaltung. Statt Computerspielen schaut man sich diese Videos an, kommentiert sie. Wobei das nur funktioniert, wenn immer neuer Content kommt. Hier entsteht dann eine Art Abhängigkeit zwischen der Figur als Hassobjekt und den Hatern.

Der Fall Drachenlord wirkt wie auf dem Schulhof: Die Meute stürzt sich auf ein schwaches Opfer.

Appel: Die Opfer von Hass im Internet werden nicht zufällig gewählt. Das trifft typischerweise Leute mit Schwächen oder die sich in den Augen anderer angreifbar machen. Wer in seinen Ausdrucksmöglichkeiten limitiert ist, wird eher zur Zielschiebe. Das gilt generell für Hass im Netz genauso wie für direktes Cybermobbing oder "Cyberbullying", wie wir in der Wissenschaft sagen: Da werden Menschen wegen ihres Aussehens, ihrer sexuellen Orientierung oder bestimmter Limitiertheiten diskriminiert und im Schulhof oder in WhatsApp-Gruppen verächtlich gemacht.

Ist das Netz ein Brandbeschleuniger für solchen Hass, weil es ganz andere Reichweiten schafft?

Appel: Ja, die Reichweiten spielen hier eine große Rolle. "Bullying", also Mobbing, gab es früher schon auf dem Schulhof oder im Bus. Dies hat schon damals junge Menschen nachhaltig geschädigt, die Gesellschaft war aber leider nicht so sensibel wie heute. Auf dem Schulhof ist die Anzahl der Beteiligten allerdings begrenzt. Und Gemeinheiten konnte man auch wieder vergessen. Das Internet dagegen vergisst nichts. Ein Video, das vor fünf Jahren aufgenommen wurde, ist immer noch zu finden. Und was den Hass im Netz zusätzlich verstärkt, ist die Anonymität. Da sind oft große Gruppen von Leuten am Werk, zum Beispiel auf Telegram, die sich nicht mit Klarnamen zu erkennen geben.

Müssten Staat und Justiz härter gegen Hass im Netz durchgreifen?

Appel: Das müsste man Juristen fragen. Ich glaube, wir brauchen insgesamt noch eine größere Sensibilität für das, was im Netz passieren kann – bei Schulen, Eltern, Polizei. Überall dort, wo Ausbildung stattfindet, gerade in der Schule, muss digitale Kommunikation noch viel stärker thematisiert werden. Da sollte es nicht nur um Hass und Hetze gehen, sondern zum Beispiel auch um das Selbstbild von Jugendlichen: Wie kann sich das Körperbild verändern, wenn man Fitness-Influencern folgt? Solche Themen sollten nicht einigen engagierten Lehrkräften überlassen werden – die sachgerechte Auseinandersetzung mit digitaler Kommunikation gehört in den Lehrplan.

Was würden Sie jungen Menschen oder auch Eltern raten, um die Gefahr von Cybermobbing zu reduzieren?

Appel: Zur Vorbeugung wäre wichtig, dass Jugendliche eine Vertrauensbasis mit ihren Eltern haben, damit sie sich trauen, auf mögliche Angriffe hinzuweisen. Und generell sollte man Fehlverhalten als solches transparent machen – das hat eine abschreckende Wirkung. Das gilt zum Beispiel für WhatsApp-Gruppen: Hier sollten Beleidigungen oder Diffamierungen nicht hingenommen werden, da braucht es Widerspruch. Denn umgekehrt gibt es das Phänomen, dass Täter sich durch das Schweigen der Gruppe bestärkt fühlen und sich selbst für die Mutigsten halten.

Was sagt es über eine Gesellschaft aus, wenn eine Meute hasserfüllt über einzelne Menschen mit offenkundigen Schwachstellen herfällt?

Appel: Wir sprechen hier wirklich über einen krassen Fall. Aber wenn ich über das erwähnte verächtliche Fremdschämen nachdenke, sehe ich Häme und Ausgrenzung nicht nur im Internet. Nehmen Sie Formate wie "Deutschland sucht den Superstar": Ich habe den Eindruck, dass da von den Tausenden an mehr oder wenig talentierten Bewerberinnen und Bewerbern vor allem Leute mit erkennbaren Defiziten präsentiert werden. Die Macher der Sendung erhoffen sich offenbar Unterhaltung in Form von verachtendem Fremdschämen. Eigentlich müsste man diese Personen schützen, stattdessen macht man sie zum Gespött des Publikums. "Deutschland sucht den Superstar" ist nur eines von vielen Beispielen. Im Privatfernsehen hat über die Jahre eine schleichende Entmenschlichung stattgefunden. Da hat die Gesellschaft nicht aufgepasst und so etwas wurde als vermeintlich legitime Unterhaltung etabliert. Und im Internet sind die Folgen durch das aktive Interagieren noch gravierender.

Zur Person

Prof. Markus Appel ist seit 2017 Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationspsychologie und Neue Medien an der Würzburger Julius-Maximilians-Universität (JMU). Davor (2013-2017) leitete er die Arbeitseinheit Medienpsychologie an der Universität Koblenz-Landau. Die Schwerpunkte des 49-Jährigen liegen im Bereich der Medien- und Technologieforschung. Er untersucht unter anderem die Auswirkungen von Online- und Mobilmedien auf das Verhalten ihrer Nutzer. Besonderes Augenmerk legte er zuletzt auf die psychologischen Folgen bei der Verbreitung und Verarbeitung von Falschmeldungen. Appel hat zwei Bücher zu psychologischen Fragen rund um die digitale Kommunikationswelt herausgegeben: "Die Psychologie des Postfaktischen. Über Fake News, Clickbait & Co." (Verlag Springer) und "Digital ist besser?! Die Psychologie der Online- und Mobilkommunikation" (Springer).
aj
 
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  • H. A.
    Würden viele Medien nicht so Klick Geil sein, weil sich damit Geld verdien lässt, würde es so manche Kommentarfunktion nicht geben, denn die kann man auch ausstellen.
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  • M. S.
    Ich habe mich mit der Thematik länger beschäftigt um die "Causa Drachenlord" irgendwie zu ergründen. In der Dimenson ist das schon ein Einelfall würde ich behaupten.

    Je länger man sich aber mit der Thematik beschäftigt, je länger man diverse Videos vom Drachenlord schaut, sich mit seinen Verhaltenweisen und Aussagen beschäftigt umso stärker bekommt man das Gefühl es mit einem "absoluten Unsymphaten" zu tun zu haben. Bei manchen entwickelt sich wohl auch Hass.

    Ich finde es z.B. falsch seine niedrige Intelligenz und seelische Störungen lt. Artikel aufzuführen. Das mag der Grund sein warum er sich nicht adäquat wehren kann allerdings befeuert er durch eigene in die Öffentlichkeit getragene, wirklichn beschämende Aussagen ständig aktiv diesen "Hate".
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  • L. W.
    @ EinFranke

    Wenn er nicht auf bequeme Art und Weise sein Einkommen hätte erzielen können, dann, wette ich, hätte es diesen "Drachenlord" nie gegeben.

    Da es für Klicks, egal welcher Art, Geld in manchen asozialen Medien gibt, können sich viele Fehlentwicklungen ausbilden.

    Und diese vielen Menschen, Influencer und eben auch so was wie dieser Drachenlord, fehlen ganz real auf dem Arbeitsmarkt.

    Wer mit so einem Unfug eben Geld verdienen kann, überlegt sich gar nicht mehr mit echter Arbeit im Handwerk, Handel oder in der Pflege sein Geld zu verdienen.
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  • H. G.
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  • T. W.
    Ein Anfang wäre, dass Jeder , wie im sonstigen Leben eben auch, im Netz nur unter seinem realem Namen Kommentare etc. veröffentlichen darf. Dann würde sich das Problem schnell verringern.....
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  • H. O.
    Dann mal persönlich anfragen!!
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  • J. Z.
    Ich persönlich finde dabei auch die sozialen Medien schuld. Hier kann man Menschen beleidigen, denunzieren oder bloßstellen. Deshalb sollten diese stärker überwacht bzw. Manche Medien komplett gesperrt werden. Kommt mir jetzt bitte nicht mit Meinungsfreiheit, denn Beleidigungen oder Anfeindungen haben damit nichts zu tun.
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  • M. E.
    Beleidigung, diese Begrifflichkeit und die Definition hierzu ist wirklich sehr weit und großzügig zu Gunsten des "Beleidigers"auszulegen. Ich ließ schon mal nach so diversen "Beleidigungen" gegen unliebsame Politiker die rechtliche Seite prüfen. Dabei mußte ich erfahren, daß Meinungsfreiheit ziemlich viel zuläßt! Nicht unbedingt mein Geschmack, aber ich vermute, daß dies der Zeitgeist mit sich bringt.
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  • D. P.
    „Die Hater kommen zum Teil aus der Mitte der Gesellschaft, sie haben Jobs, sind erfolgreich, haben Familie – also ganz normale Menschen […]“

    Egal ob Xenophobie, Antisemitismus, Querdenken, Reichsbürger, usw. - der Hass kommt oft aus der Mitte. Und genau das macht ihn so gefährlich, weil man nicht akzeptieren will, dass der Hass auch vom freundlich grüßende Nachbar ausgehen kann. Diese fehlende Akzeptanz und in der Konsequenz der von Herrn Prof. Appel angesprochene fehlende Widerspruch sieht man auch immer wieder hier in den Kommentaren, dass man ja mit Personen aus solchen Gruppierungen gesprochen hat und die ja völlig harmlos wirkten. Ja, natürlich wirken die in den meisten Fällen völlig normal. Das macht deren menschenverachtenden Weltanschauung und Denkweisen aber nicht richtiger.
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  • M. E.
    "Man hält sich für klüger und moralisch überlegen", geehrter MV, vergaßen Sie zu zitieren. Nun, wenn ich mir Ihren Kommentar durchlese meine ich, diese Attribute dort erkennen zu können.
    Wenn ich mir die Kommentare anschaue und von diesen auf die entsprechenden Kommentatoren schließen möchte, wage ich zu behaupten, daß von diesen k e i n e r vor das Haus eines Drachenlords ziehen würde, geschweige denn an einer Hetzjagd teilnähme!
    Diese Zugehörigkeit zur "Mitte der Gesellschaft"konnte ich eine zeitlang bei "Hooligans"im Fußballgeschehen persönlich (beruflich anwesend) feststellen. Aber hier im Forum vermute ich keine "Hools". Lediglich einige csu Hasser ergießen sich hier verbal, aber das wars auch schon.
    Die Frage an den Herrn Prof ist, ob er dies alles rein theoretisch oder auch praktisch in Erfahrung gebracht hat. Und Ihre Behauptung "auch immer wieder hier in den Kommentaren" wird Ihnen vermutlich wenig freundlich Gesonnene bescheren.
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    Herr Englert, Sie entwickeln sich zu meinem Liebling hier. ❤️
    Hier "ergießen" sich zum einen nicht nur CSU Hasser (Doppelmoralistische Christen halt), sondern auch jede Menge GRÜNEN Hasser (was aber in Ihrem Sinne ist, daher nicht weiter erwähnenswert) sowie viele AFD Fanboys.
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  • D. P.
    Die übliche Diskreditierung, Verharmlosung und keine Belege, dass die hier geäußerten fragwürdigen Meinungen nicht radikalere Absichten verfolgen. Und das unter einem Artikel, in dem von jemandem vom Fach exakt das Gegenteil beschrieben wird. Chapeau!
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    Wir bitten, auf die Nennung persönlicher Details von Mitforisten zu verzichten.
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  • W. T.
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