Nach 100 Jahren waren erstmals wieder Nachkommen der nach Argentinien ausgewanderten Familie Langmandel am Ort ihrer Herkunft, dem Geroldshäuser Ortsteil Moos. Für Analia Langmandel, die Mutter der vier Gäste, war der Besuch eine Spurensuche, für die Mooser eine Annäherung an eine schwere Zeit ihrer Vergangenheit. Diese Redaktion hatte kürzlich in einer dreiteiligen Serie des Würzburger Historikers und früheren Main-Post-Redakteurs Roland Flade über die Auswanderung der Familie Langmandel im Jahr 1924 berichtet.
"Dass es Auswanderer nach Amerika gegeben hat, ist noch vielen Älteren bekannt", hat Manuel Schmitt, zweiter Bürgermeister und gebürtiger Mooser, in Gesprächen erfahren. Ein bei einem Seniorennachmittag herumgereichtes historisches Foto des früheren Bauernhofs der Familie in der Ortsmitte und eines ihrer ausgewanderten Großeltern Nikolaus und Elsbeth mit den vier Kindern habe bei vielen Erinnerungen geweckt: "Das Leben war hart, viele haben als Knechte und Tagelöhner oder in den Steinbrüchen gearbeitet und hatten oft kaum eine andere Wahl", fasst er zusammen.
Bisher nicht bekannte Nachkommin meldete sich
Auf die Main-Post-Serie hin hat sich zudem überraschend eine Ordensfrau der Ursulinen als Nachkommin aus dem im Ort verbliebenen Zweig der Mooser Familie gemeldet, von der Analia bisher nichts wusste. Der Kontakt zum Autor der Serie, Roland Flade, ist durch eine Anfrage Analias zustande gekommen. Das Interesse des Historikers traf sich mit dem der Familienforscherin. Für Flade ist historische Biografieforschung, gerade auch von sozial weniger herausgestellten Menschen, aufschlussreich für das Verständnis vergangener Zeiten. Analia möchte mit dem Besuch an die Vergangenheit anknüpfen, auch um den beiden 16 und 19 Jahre alten Kindern Paula und Daniel ihre Herkunft zu zeigen.
Erste Station des kurzen Rundgangs ist der Bahnhof Geroldshausen, von dem die Auswanderer wohl 1924 starteten. Die Zeit scheint stehen geblieben. Oft als "Vorkriegsbahnhof" beschrieben, gibt es noch immer einen Bahnwärter, der den Übergang über die Gleise freigibt. Auch in Moos ist rund um die Kirche St. Nikolaus und das Gut Moos, ein früherer Fronhof von Kloster Oberzell, noch vieles aus der bäuerlichen Vergangenheit erhalten geblieben.
Auch der Bruchsteinbau, der zum Hof der Auswanderer-Familie gehörte, steht noch. Verputzt und blau angestrichen, wirkt er unscheinbar und ist doch ein Haus mit Geschichte. Rasch wird klar: Die Mooser Wurzeln haben die Familiengeschichte stark geprägt. Der Katholizismus, die harte körperliche Arbeit auf dem Land, der unbedingte Wille, auch Krisen zu meistern, haben noch lange nachgewirkt.
Die Religion spielte wohl eine wichtige Rolle bei der Wahl der neuen Heimat
Genau erkundigt sich Analia über das Gastgeschenk von Bürgermeister Gunther Ehrhardt, eine Glasschale mit dem Gemeindewappen. Die drei Rosen stehen für die Reichsritter der Wolffskeels, denen das evangelische Geroldshausen unterstand, das Z für Oberzell und damit für das katholische Moos. Mit Geroldshausen verbindet die Familie mutmaßlich daher wenig. Die Mooser orientierten sich in das benachbarte Sulzdorf, erfahren die Gäste. Beziehungen untereinander gab es kaum. Nicht zuletzt dürfte die Religion eine wichtige Rolle bei der Wahl des Landes gespielt haben. Der Katholizismus war in Argentinien noch bis 1994 einzige Staatsreligion. Noch Carlos Menem, ein Muslim, musste 1989 nach seiner Wahl zum Präsidenten formell die Religion wechseln. Auch dies ist Geschichte. Der 19-jährige Sohn von Analia Langmandel erzählt dies mit Kopfschütteln.
Auch nach 100 Jahren spielt die deutsche Sprache eine besondere Rolle für die Familie. Unbeschwert kommen Gäste und Besucher ins Plaudern. Die von der Gemeinde hinzugezogene Übersetzerin hilft eher am Rande. Sohn Daniel hat in Kindergarten und Schule Deutsch gelernt, studiert Mathematik und spricht beinahe fließend Deutsch. Für ihn war der 1934 geborene Großvater Jose, der als erster in der Familie hauptsächlich Spanisch verwendete, noch eine wichtige sprachliche Quelle. Auch die 1967 geborene Analia, die als Designerin arbeitet, kann gut Deutsch.
Das Deutsch der Auswanderer hat sich verändert
Auffallend sind jedoch Schwierigkeiten beim Verstehen. Das Deutsch der Auswanderer, mit dem sie aufwuchs, hat sich verändert. Das beste Deutsche spricht ausgerechnet Vater Fabio. Er hat italienische Wurzeln: Die Langmandels verließen etwa zeitgleich Europa über Bremen, die Großeltern des Vaters über Genua. Die Kinder Paula und Daniel sind heute mehrsprachig. Über den Kirchenturm hinauszublicken, ist die neue Familientradition.
Einige Eigentümlichkeiten ihrer Familie habe sie besser verstehen gelernt, erzählt Analia. Die Krapfen ihrer Oma, die diese auch so bezeichnete, hat sie als untrügliches Zeichen der süddeutschen, der Mooser Wurzeln, erkannt. Auch Spätzle, Strudel gab es immer wieder. Und da ist die Pünktlichkeit, ein Dauerthema zum Scherzen: Ihr Mann sei da viel freier als sie. Am Tag des Rundgangs hat sich jedoch Analia durchgesetzt. Noch vor dem Geroldshäuser Bürgermeister sind die Gäste am vereinbarten Treffpunkt.