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Würzburg
"Müssten sonst ins Pflegeheim": Verschärft Corona den Personalmangel in der ambulanten Pflege in Würzburg?
Für Menschen, die auf ambulante Pflege angewiesen sind, geht es um mehr als nur eine Dienstleistung - es geht um ihren Lebensalltag. Doch Anbietern in Würzburg fehlt es an Personal.
Pfleger Wolfgang Jahnel (rechts) kümmert sich in Würzburg um Cornelia Häußer und ihren Mann Martin Bauer. Beide sind an Multipler Sklerose erkrankt und können sich nur noch eingeschränkt bewegen.
Foto: Daniel Peter | Pfleger Wolfgang Jahnel (rechts) kümmert sich in Würzburg um Cornelia Häußer und ihren Mann Martin Bauer. Beide sind an Multipler Sklerose erkrankt und können sich nur noch eingeschränkt bewegen.
Sophia Scheder
 und  Torsten Schleicher
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:03 Uhr

Wenn man wissen will, was Cornelia Häußers Berufsleben einmal ausgemacht hat, reicht in der kleinen Wohnung in Würzburg-Lengfeld ein Blick auf die vollen Bücherregale. Die 62-Jährige war bis vor zwölf Jahren Buchhändlerin in München, und wenn die verdammte Krankheit nicht wäre, würde sie ihrem Beruf wohl noch heute nachgehen. Doch die Multiple Sklerose (MS), die erst schubweise kam, wurde immer schlimmer. Seit 2010 ist Cornelia Häußer ein Pflegefall.

Für sie bedeutet das einen Alltag im Rollstuhl: "Mit der unteren Körperhälfte kann ich kaum noch etwas machen. Ich brauche Hilfe bei der Körperpflege oder um ins Bett und wieder heraus zu kommen." Auch Martin Bauer, Häußers Ehemann, ist auf Hilfe angewiesen, der 49-Jährige hat ebenfalls MS. Kennengelernt haben sich beide über eine MS-Gruppe, vergangenes Jahr ist Cornelia Häußer nach Würzburg gezogen.

In der Wohnung in Lengfeld schellt seitdem regelmäßig vormittags die Klingel, es ist die Zeit für den Einsatz von Wolfgang Jahnel. Der 62-jährige Pfleger von der ambulanten Pflege der Arbeiterwohlfahrt (AWO) ist dann etwa eine dreiviertel Stunde in der Wohnung. Zu seinem Beruf ist Jahnel über eine Art Berufung gekommen. "Ich war Speditionskaufmann. Aber immer nur schauen, dass der Umsatz läuft, das war nicht mehr meine Welt." Über eine Bekannte, die in der Branche tätig war, wurde er auf den Pflegeberuf aufmerksam und sattelte um. Das ist jetzt 36 Jahre her.

Seit etwa einem Jahr ist er unter anderem für das Paar zuständig. "Wir versuchen immer, möglichst langfristig für unsere Patienten da zu sein", sagt Jahnel. "Mir persönlich ist das wichtig, weil ich den Leuten damit auch Sicherheit gebe."

"Man lernt sich kennen, zu verstehen und zu akzeptieren. Das ist ein beruhigendes Gefühl."
Cornelia Häußer, Pflegepatientin

Eine Einschätzung, die Cornelia Häußer bestätigt: "Man lernt sich kennen, zu verstehen und zu akzeptieren. Das ist ein beruhigendes Gefühl. Man muss nichts groß erklären, der Pfleger weiß, was er machen muss." Eigentlich ist sie es nicht gewohnt, dass ihr ein fremder Mensch so nahe kommt. "Das ist ja schon sehr intim, man muss Vertrauen aufbauen. Es hat sich gut eingespielt", sagt sie.

Wolfgang Jahnel legt dem an Multipler Sklerose erkranken Martin Bauer einen Kompressionsverband an.
Foto: Daniel Peter | Wolfgang Jahnel legt dem an Multipler Sklerose erkranken Martin Bauer einen Kompressionsverband an.

Für die Eheleute ist die tägliche ambulante Pflege nicht nur eine Unterstützung im Alltag. Was Wolfgang Jahnel und seine Kolleginnen und Kollegen tun, ist für das Paar schlicht die Voraussetzung, dass es diesen Alltag überhaupt noch gibt. Martin Bauer, der gelernter Koch ist und bis zur Verrentung 2005 als Gastronom gearbeitet hat, ist da sehr klar: "Wenn es diese ambulante Pflege nicht gäbe, müssten wir beide ins Pflegeheim. So können wir in unserem häuslichen Umfeld bleiben."

Die Arbeitskräfte -Situation in der ambulanten Pflege hat sich mit Corona verschlechtert

Doch Pflegerinnen und Pfleger wie Wolfgang Jahnel sind inzwischen schwer zu finden auf dem Arbeitsmarkt, wie Alexander Rügamer bestätigt. "Die Situation ist nach wie vor schwierig, gerade beim Nachwuchs. Der Markt hat sich durch Corona noch mal verschlechtert. Wir hatten Mitarbeiter, die schon zu Beginn der Pandemie aus der Pflege rausgegangen sind", sagt Rügamer, der bei der AWO Unterfranken Referent für die ambulanten Dienste ist.

Pfleger Wolfgang Jahnel justiert den Lifter, eine Aufricht- und Aufstehhilfe.
Foto: Daniel Peter | Pfleger Wolfgang Jahnel justiert den Lifter, eine Aufricht- und Aufstehhilfe.

Wie groß die Personallücke ist, lasse sich indes nicht einfach ausrechnen. Im Gegensatz zur stationären gebe es bei der ambulanten Pflege keinen Stellenschlüssel. "Je weniger Mitarbeiter ich habe, desto weniger Leute kann ich versorgen. Der Mitarbeiterstand ist der begrenzende Faktor", erläutert Rügamer das Prinzip. Derzeit sind in der ambulanten Pflege der AWO 40 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Würzburg und einigen stadtnahen Gemeinden im Einsatz. Sie versorgen zwischen 150 und 200 Menschen.

"Wir haben mehrmals täglich telefonische Anfragen, die wir nicht bedienen können."
Alexander Rügamer, Referent bei der AWO

Dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fehlen, steht für Rügamer außer Zweifel, das zeige die Nachfrage: "Sie ist viel größer als das, was wir leisten können. Wir haben mehrmals täglich telefonische Anfragen, die wir nicht bedienen können." Und die andauernde Diskussion um die einrichtungsbezogene Impfpflicht oder die Dauer des Genesenen-Status macht es für die Pflegedienstleitung auch nicht gerade leichter, den täglichen Dienst zu organisieren. 90 Prozent der Pflegerinnen und Pfleger seien zwar geimpft, aber wenn die restlichen nach Einführung der Impfpflicht nicht mehr arbeiten dürften, "müssen wir unter Umständen Patienten kündigen".

Die Omikron-Welle hat die Lage zusätzlich verschärft. Vor der Welle habe es in seinem Bereich vereinzelte Corona-Fälle geben, sagt Rügamer. "Jetzt zeichnet sich ab, dass gerade Mitarbeiter, die Kinder im Schulalter haben, entweder selbst erkranken oder in Quarantäne mit dem Kind sind. Das merkt man deutlich."

Kundenstamm der Johanniter musste minimiert werden

Bei anderen ambulanten Pflegediensten in der Region sieht die Lage etwas entspannter aus. "Wir haben kaum Mitarbeitende mit Kindern im Kindergartenalter, dadurch betreffen uns diese Quarantäneregelungen nur kaum", sagt Johanna Zdebik, Pflegedienstleitung bei den Johannitern Unterfranken. Seit Beginn der Pandemie lege das Unternehmen große Sorgfalt auf tägliche Testungen und die entsprechenden Schutz- und Hygienemaßnahmen. "Somit kommen wir aktuell gut auch durch die Omikron-Welle", so Zdebik.

Jedoch sei jeder Tag neu zu bewerten, "wir müssen sehr flexibel sein, was die Planung unserer täglichen Arbeit und des Dienstplans angeht." Aufgrund des großen Verständnisses, der Bereitschaft und der Flexibilität der Mitarbeitenden könnten die Johanniter die Welle aktuell noch sehr gut stemmen, zumal alle 17 Pflegekräfte geimpft seien.

Trotzdem bereite den Johannitern der Fachkräftemangel große Sorge. Der Kundenstamm musste bereits minimiert werden, um den Pflegestandard weiterhin gewährleisten zu können. Derzeit betreut der Dienst etwa 120 zu pflegende Menschen. "Wir erhalten viele Anfragen von pflegebedürftigen Personen, die wir aufgrund von Personalmangel und fehlender Bewerbungen leider nicht annehmen können."

Ambulante Pflegedienste sprechen sich gegen einrichtungsbezogene Impfpflicht aus

Eine hundertprozentige Impfquote kann auch Stefan Krüger, Pressesprecher des Bayerischen Roten Kreuzes bei dessen ambulanten Pflegedienst in Ochsenfurt verzeichnen. Deshalb führe die Omikron-Welle derzeit auch zu keinem Notstand. Nur eine der insgesamt 18 Mitarbeitenden befinde sich wegen Corona seit November im Krankenstand. "Sie war noch nicht geboostert, als sie sich angesteckt hat, ich denke mal, dass es sie deshalb härter erwischt hat", erklärt er.

Dass sich ähnlich wie bei der AWO abzeichnet, dass Mitarbeitende, die Kinder im Schulalter haben, vermehrt in Quarantäne sind, könne er nicht bestätigen. Sieben Mitarbeitende würde dies betreffen. "Es geht aktuell, das ist für uns kein Problem", so Krüger. Der Pressesprecher spricht sich für eine allgemeine, aber gegen eine einrichtungsbezogene Impfpflicht aus. Dies würde ein Ungleichgewicht schaffen, sagt er. "Diese Asymmetrie wäre nicht geschickt."

Ähnlich sieht das Christian Meyer-Spelbrink, Heimleitung der Diakonie Würzburg. Nur eine allgemeine Impfpflicht könne die Abwanderung von Pflegekräften in andere Berufe verhindern, so sagt er.

Wichtig ist den Patientinnen und Patienten nicht nur Pflegedienstleistung, sondern auch der soziale Kontakt und Zuwendung.
Foto: Daniel Peter | Wichtig ist den Patientinnen und Patienten nicht nur Pflegedienstleistung, sondern auch der soziale Kontakt und Zuwendung.

Cornelia Häußer ist froh, dass ihre Pflege und die ihres Mannes gewährleistet ist. Für sie ist der tägliche Besuch vom ambulanten Pflegedienst mehr als nur eine Dienstleistung. "Es geht hier auch um den sozialen Kontakt", sagt sie, "ich bin kulturell interessiert, früher war ich viel draußen unterwegs." Das geht nun nicht mehr. Schon die paar Stufen im Hausflur sind inzwischen riesige Hürden. Und da hilft es einfach, wenn täglich jemand kommt, den sie kennt. Der nicht nur bei der Körperpflege hilft, sondern mit dem man auch mal reden kann. Und der auch mal die Hand hält, wenn's sein muss.

 
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