Seit dem 1. Mai gibt es in Deutschland das 49-Euro-Ticket. Laut dem Verband deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) wurden bislang "rund elf Millionen" Abos verkauft. Etwa 46 Prozent davon seien umgestellte ÖPNV-Abonnements, schreibt der Verband. "Stammkunden" seien also auf das günstigere Ticket gewechselt.
Aber es gibt auch viele Pendlerinnen und Pendler, die wegen des Tickets auf öffentliche Verkehrsmittel umgestiegen sind. Die Quote der Neukundinnen und Neukunden, die bisher so gut wie nie Bus und Bahn gefahren sind, liegt den Verkehrsunternehmen zufolge "aktuell bei rund acht Prozent".
Redakteurin Julia Back gehört noch nicht dazu. Sie fährt aus dem Landkreis Würzburg in die Rhön - bislang mit dem Auto. Im Selbstversuch hat sie getestet, ob das 49-Euro-Ticket für sie eine echte Alternative ist und sie in Zukunft nicht besser auf den ÖPNV umsteigt.
1. Worum geht es beim Selbstversuch?
Mit meiner Familie wohne ich in Estenfeld im Landkreis Würzburg. Als Redaktionsleiterin bei der Main-Post bin ich für die Landkreise Bad Kissingen und Rhön-Grabfeld zuständig. Das Gebiet reicht von Fladungen an der Grenze zu Thüringen bis ins Saaletal nach Hammelburg. Redaktionsstandorte sind in Bad Neustadt, Bad Königshofen, Mellrichstadt und Bad Kissingen.
Ich verbringe also viel Zeit im Auto. Doch muss das sein? Oder wäre der ÖPNV nicht eine Alternative? Ich probiere es für einen Tag aus.
2. Mein Start in den Tag mit ÖPNV: Der Wecker klingelt besonders früh
Jede Familie kennt das: Der Tag ist durchgetaktet. Und gerade morgens ist Planung alles, um nicht komplett gestresst in den Tag zu starten. Der Wecker klingelt bei mir zwischen 5 und 6 Uhr, denn es gilt die Brotzeitdosen zu füllen und die Kinder für Schule und Kindergarten fertig zu machen.
Wenn ich auf das Auto verzichte, muss ich noch mehr Zeit am Morgen einplanen. Und: Meinen Zeitplan habe ich nicht mehr selbst in der Hand. Nun gilt der ÖPNV-Fahrplan.
3. Faktor Zeit: Es dauert mit Bus und Zug einfach länger
Normalerweise ist meine achtjährige Tochter die Erste, die das Haus verlässt, um zur Schule zu laufen. Heute bin ich es. Meine Vierjährige schläft sogar noch. Doch um 7.14 Uhr fährt der Bus in Estenfeld in Richtung Würzburg ab. Zum Glück bin ich in wenigen Minuten zu Fuß an der Bushaltestelle. Um diese Uhrzeit ist der Bus voll. Und: Es ist komisch erst einmal nach Würzburg zu fahren, wenn ich doch eigentlich in die Rhön muss.
Am Würzburger Hauptbahnhof fährt um 8.01 Uhr der Zug in Richtung Erfurt. Ich muss aufpassen, wo ich einsteige – in Ebenhausen wird er geteilt. Ein Zugteil fährt weiter in Richtung Erfurt, ein Teil nach Bad Kissingen.
55 Minuten dauert die Fahrt von Würzburg nach Bad Neustadt. Nach meiner Ankunft muss ich erneut in den Bus steigen, der in der Nähe der Redaktion hält - oder eine Viertelstunde laufen. Rund zwei Stunden war ich bereits unterwegs als ich um 9.12 Uhr in der Redaktion ankomme. Endlich!
4. Faktor Geld: Es kommt nicht nur auf die reinen Kosten an
Schaut man auf die Kosten, fiele die Entscheidung leicht. Mit dem 49-Euro-Ticket würde mich bei rund 22 Arbeitstagen im Monat die tägliche Fahrt mit den öffentlichen Personennahverkehr nur etwas über zwei Euro kosten.
Stattdessen mache ich mehrmals die Woche Halt an der Tankstelle. Laut dem Statistikportal Statista lag der durchschnittliche Preis von Kraftstoff E10 am 25. Juli deutschlandweit bei 1,83 Euro. Momentan habe ich im Schnitt monatliche Fahrtkosten von rund 300 Euro. Dazu kommen Versicherung und Unterhaltskosten für mein Auto.
Finanziell gesehen gibt es also kein Argument, nicht vom Auto auf den ÖPNV umzusteigen. Dazu kommt: Der ökologische Fußabdruck, den ich durch meine Fahrten hinterlasse, ist viel zu groß.
In meine Rechnung fließt aber auch der Faktor Zeit. Er ist bei meiner Fahrtstrecke erheblich. Zeit, die ich in Bus und Bahn verbringe, fehlt mir für meine Familie. Wenn ich auf den ÖPNV umsteige, muss ich um 7 Uhr aus dem Haus und bin vor 19 Uhr nicht daheim.
5. Mein Fazit: Ohne Auto wird es für Menschen auf dem Land schwer
Rund 50 Minuten mit dem Auto unterwegs sein oder zwei Stunden mit dem ÖPNV – jeweils für Hin- und Rückfahrt? Für mich ist nach dem Test-Tag die Entscheidung klar: Ich bleibe beim Auto und habe so täglich fast 2,5 Stunden mehr mit meiner Familie.
Viele Menschen leben in Unterfranken auf dem Land und arbeiten in Jobs ohne flexible Arbeitszeiten. Sie müssen pünktlich zur Schicht auf der Arbeit sein. Egal, was der Busfahrplan sagt.
Außerdem gibt es Supermärkte, Drogerien oder Getränkehändler längst nicht mehr überall. Nicht zu vergessen die Handballturniere, Tennisspiele oder Tanzaufführungen der einzelnen Familienmitglieder, die oft unter Zeitdruck nach der Schule erreicht werden müssen. Viele Strecken gehen eben nicht mit Bus oder Lastenrad.
Das Fazit: Für Familien wie meine ist das Auto elementar, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Vorerst.
Mit Auto oder Zug zur Arbeit? Lesen Sie hier auf mainpost.de den Selbstversuch von Redakteur Oliver Schikora. Er hat auch die Bahn genommen und ist vom 49-Euro-Ticket begeistert. Sein Test zeigt: Der ÖPNV auf dem Land funktioniert.
Die meisten Deutschen wohnen aber in Ballungsräumen und könnten ohne größere Komplikationen mit Öffis fahren und ggf. ergänzt mit Carsharing.
Ich finde die Idee hinter dem 49-€-Ticket gut, nämlich dass es sehr einfach ist und für sehr viele ein Anreiz umzusteigen. Die gesteigerte Nachfrage könnte auch für ein besseres Angebot sorgen.
Leider taugt es mir nicht, wohne direkt in der Stadt und brauche kaum Öffis. Wir haben eine übertragbare Monatskarte in der Familie, die der nutzt, der sie gerade braucht. Für unsere ganze Familie würden wir fast 200 € mtl. berappen müssen, das ist uns zu teuer. Hoffentlich wird da nachgebessert, weil es noch sehr unsozial ist
Noch etwas anders sieht es allerdings aus, wenn man zuerst mal aus irgendeinem Pampadorf nach Würzburg kommen muss, und dann von KG oder NES aus auch noch in irgendein Pampadorf in der Gegend dort weiterfahren muss...
Ja, mein Beispiel zeigt nur einen konkreten Fall auf. Mein Kollege wird noch einen ganz anderen Fall schildern. Das Thema Verkehr/ÖPNV ist so facettenreich, dass man selbstverständlich zig verschiedene Fälle aus der Region aufzeigen könnte. Es bleibt ein spannendes Thema, mit dem wir uns als regionales Medium weiter beschäftigen werden.
Beste Grüße,
Julia Back (Redakteurin)
Wenn man erst um 6.30 Uhr ankommt und dann noch eine Strecke mit Straba oder Bus fahren muss, ist an einen Arbeitsbeginn vor 07.00 Uhr nicht zu denken. Und da müssten die Öfis pünktlich sein.
pendeln Sie aus dem Sinngrund nach Würzburg und würden uns die Problematik für einen Artikel schildern wollen? Melden Sie sich gern bei der Redaktion Main-Spessart (redaktion.main-spessart@mainpost.de)
Herzliche Grüße aus der Redaktion,
Carolin Schulte
Ob die Ziele ohne Auto erreicht werden können hängt doch meist vom vorhandenen ÖPNV ab und der ist doch hier z. B. in den Haßbergen und in Haßfurt mit seinen Stadtteilen mau, halt ein Schulbussystem? Wir stehen hier Deutschlandweit lt. BBSR-Studie an vorletzter Stelle und das, obwohl wir nicht zu den Landkreisen mit der geringsten Bevölkerungsdichte gehören.
Dass es auch anders geht zeigt z. B. Kitzingen, wo Callheinz ein Renner ist und bei den Leuten ankommt. Callheinz soll die Lücken im Nahverkehr schließen.
Liebe Verantwortliche bitte tut schnell etwas. Zum Ansporn bitte mal z. B. zur Arbeit, zum Arzt, zum Bahnhof, zum Einkaufzentrum Godelstatt, zum Krankenhaus oder zur nächsten Kreistags-/Stadtratssitzung und zurück mit dem ÖPNV fahren.
Da könnte eine andere Überlegung sein, die Arbeitszeit um die Ersparnis zu reduzieren, da man beim Fahren mit dem ÖPNV deutlich weniger Geld benötigt.
Ich z.B. pendle jeden Tag von einer Kleinstadt (Haßfurt) in eine größere Stadt (Bamberg), bin mit dem Zug aber (a) schneller und (b) günstiger als mit dem Auto. In meinem Fall funktioniert ÖPNV also ganz hervorragend, und im direkten Vergleich bin ich ja auch "auf dem Land" unterwegs.
1. suchen Sie sich einen Arbeitsplatz nahe Ihres Wohnortes, oder
2. einen Wohnort nahe Ihres Arbeitsplatzes.
und schon ist auch das Zeitproblem gelöst ! 😉
Ich bin schon vor fast 50 Jahren von einem Dorf ohne nennenswerten öPNV in die Straba-Nähe gezogen, habe dadurch sehr viel Zeit auf der Straße gespart und nebenbei auch noch berufliche Chancen wahrnehmen können, die "von draußen" aus nur schwer und kostspielig (z.B. Auswärtsübernachtungen) möglich gewesen wären. Zahlte sich alles aus.