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Würzburg
Missbrauchs-Prozess: Blick in das Milieu der Pädophilen
Brutalität und heimliche Abhängigkeit prägen die Szene der Kinderschänder, in der sich der Würzburger Logopäde bewegte. Am Mittwoch wird der Prozess gegen ihn fortgesetzt.
Was trieb den Würzburger Logopäden dazu, ihm anvertraute Kinder zu missbrauchen? Das versucht das Landgericht Würzburg im Prozess herauszufinden.
Foto: Daniel Karmann, dpa | Was trieb den Würzburger Logopäden dazu, ihm anvertraute Kinder zu missbrauchen? Das versucht das Landgericht Würzburg im Prozess herauszufinden.
Manfred Schweidler
 |  aktualisiert: 08.02.2024 18:06 Uhr

Den Angeklagten schildern Vertraute als hoch intelligent und einfühlsam. Nicht nur Prozessbeteiligte stellen sich deshalb die Frage: Hat der Würzburger Logopäde nicht gemerkt, wohin ihn seine verbotene Neigung immer stärker trieb? Verdrängte er Bedenken, weil der Trieb stärker war? Diese und ähnliche Fragen soll im Prozess, der an diesem Mittwoch und Donnerstag vor dem Landgericht Würzburg fortgesetzt wird, ein Sachverständiger beantworten. Offensichtlich aber hinderte nichts den 38-Jährigen, sieben ihm anvertraute schwer behinderte und minderjährige Buben über Jahre sexuell zu missbrauchen.

Erst jetzt, wo er auf der Anklagebank sitzt und vor den Scherben seines Lebens, hat der 38-Jährige in einem Geständnis "unter Tränen erklärt, dass er inzwischen versteht, wie viel Vertrauen er durch seine Taten missbraucht hat". So berichtete es Gerichtssprecher Rainer Volkert, der die Journalisten über die nichtöffentlichen Teile des Verfahrens im Nachgang informiert. Der Logopäde bewerte die "Tatfolgen für die Betroffenen im Rückblick anders, realistischer".

Mit brutalen Bildern gelockt - und dafür brutale Bilder gefordert

Mit 18 Jahren waren es mehr oder minder harmlose Nacktbilder von Kindern, die den Angeklagten erregten. Fünf Jahre später tauschte er heimlich mit Gleichgesinnten Kinderpornos im Internet. Ab 2010 dann ging er im Darknet auf die Suche - unter dem falschen Namen JanNiklas und mit getarnter IP-Adresse. "Wegen des damit verbundenen Entdeckungsrisikos", wie es in der Anklage heißt. Ab 2012 soll er täglich ein Stunde damit verbracht haben.

Den Ermittlungen zufolge agierte der Würzburger im angeblich vor Verfolgung sicheren Darknet  zuletzt unter Gleichgesinnten auf geheimen Plattformen. Er sucht nach immer härteren Kinderpornos – und war dafür bereit, ihm anvertraute Buben rücksichtslos zu vergewaltigen und dabei zu filmen. Dies forderten die Betreiber der Plattformen von ihm - als Gegenleistung für den Zugang in einen speziell abgesicherten Bereich. Etwa 70 Fälle mit schrecklichen Details listet die Anklage auf, darunter neun Vergewaltigungen. 

Ein Milieu, das keine Skrupel kennt

Die Anklage und das Geständnis des 38-Jährigen beleuchten ein Milieu, in dem Menschen konspirativ verbotenen Neigung nachgehen und keine Skrupel kennen. Dass sich der Angeklagte in diesen Kreisen bewegte, mag angesichts seiner Biografie verwundern. Für seine einfühlsame Art war der Logopäde mit Preisen bedacht worden. Er genoss hohes Ansehen bei der Behörde und das Vertrauen der Eltern. Er war einer, dem man schwierige Kinder ohne Bedenken überließ.  

Im Prozess aber fiel bislang kein Wort der Entschuldigung. Mit leiser Stimme und sanften Gesten erweckte der Mann auf der Anklagebank in den ersten Prozesstagen vielmehr den Eindruck, er bedaure vor allem sich selbst.

Vor dem Landgericht Würzburg findet der Prozess gegen einen Logopäden statt, der über Jahre behinderte und minderjährige Buben sexuell missbraucht haben soll. 
Foto: Thomas Obermeier | Vor dem Landgericht Würzburg findet der Prozess gegen einen Logopäden statt, der über Jahre behinderte und minderjährige Buben sexuell missbraucht haben soll. 

Rückblickend  wirken heute manche Formulierungen zynisch und verlogen, mit denen der Logopäde für seine Arbeit warb: Seine Förderung ermögliche "ein bewegtes Lernen mit allen Sinnen". Er mache sich mit den Kindern auf den Weg "in das freie, ungezwungene, kindliche Spiel" und lausche dabei den Geschichten seiner Schützlinge, die "sich nicht immer über das gesprochene Wort offenbaren – sondern viel mehr über den Körper".

In einem Land, in dem es sexuell kaum noch Tabuzonen gibt, sind solche Fälle offenbar nicht so selten, wie man glauben möchte. Für entsetzliche Schlagzeilen sorgten neue Enthüllungen darüber, wie Kinder auf einem Campingplatz in Lügde missbraucht wurden. Und im vergangenen Jahr standen vier Männer – darunter einer aus Tauberfranken – vor Gericht, die auf der Internet-Plattform "Elysium" grausame Gewalt gegen Kinder auf Bildern und im richtigen Leben feilgeboten hatten. Wie groß das Interesse ist, lässt sich an einer Zahl messen: Binnen eines halben Jahres hatten weltweit 112 000 Nutzer ihr Interesse bekundet.

Laut Bundeskriminalamt haben Verbreitung, Erwerb, Besitz oder Herstellung von kinderpornografischen Schriften zugenommen: 12 300 Verstöße registrierte das BKA im Jahr 2019, während es im Vorjahr noch 7450 gewesen waren. 

Harte Pornografie erst nach der "Keuschheitsprobe"

Um sicher zu sein, dass unter den Kunden keine verdeckten Ermittler sind, fordern solche Anbieter, konkret beschriebene Missbrauchstaten auf Bilder zu bannen, mit denen man sich strafbar macht. Um in gesicherte Bereiche mit besonders harten Aufnahmen zu kommen, musste der Logopäde also erst einmal selbst welche liefern.

Getauscht wird unter Gleichgesinnten wie wild. Das Gros der 23 000 Aufnahmen, die im März 2019 im Haus des Logopäden im Würzburger Stadtteil Rottenbauer beschlagnahmt wurden, stammen von Tauschpartnern aus aller Welt.

Durch einen Pädophilen aus Niedersachsen waren die Ermittler dem Würzburger auf die Spur gekommen. Von ihm aus verfolgten sie wiederum Spuren zu 47 weiteren Verdächtigen, darunter 17 im Ausland. Einer hatte im Darknet geprahlt, er werde am Wochenende den Sohn seiner Freundin  missbrauchen.

Mit echt wirkenden Bildern auf der Fährte der Kinderschänder

Details wollen die Ermittler der Zentralstelle Cybercrime in Bamberg nicht verraten, die seit kurzem am Computer nachgeahmte Kindepornos anbieten dürfen, um die "Keuschheitprobe" zu bestehen und in die streng abgeschotteten Bereiche krimineller Anbieter hinein zu kommen. "Man muss sich immer wieder klar machen: Jede Aufnahme zeugt davon, dass in der realen Welt tatsächlich ein Kind missbraucht wurde", betont ein Sprecher der Zentralstelle Cybercrime.

Einer von 100 Männern gilt als pädophil. Zahlen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) legen nahe, dass es allein in Deutschland also 250 000 sind.  Einem Teil der Betroffenen gelingt es, entsprechende Fantasien genau das sein zu lassen: reine Vorstellungen im Kopf. Sie konsumieren weder kinderpornografische Fotos, noch geben sie ihrer sexuellen Neigung in anderer Form nach.

Welche Kinderbilder sind strafbar?

Andere hingegen laden sich Missbrauchsabbildungen, die Kinder in für sie sexuell anregender Weise zeigen, aus dem Netz herunter, speichern sie auf Computern, Handys und Festplatten. Unter die strafbaren Inhalte fallen unter anderem Dokumente, auf denen sexuelle Handlungen von, an oder vor einer Person unter 14 Jahren zu sehen sind. Oder die ganz oder teilweise unbekleidete Kinder in unnatürlicher, geschlechtsbetonter Körperhaltung zeigen. 

Die Täter bei Kinderpornografie sind meist männlich. 
Foto: Getty Images | Die Täter bei Kinderpornografie sind meist männlich. 

Millionen solcher Bilder seien momentan im Umlauf, sagt Hannes Gieseler. Der Mediziner vom Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Berliner Charité arbeitet seit Jahren als Therapeut präventiv mit Menschen, die eine sexuelle Präferenz für Kinder und Heranwachsende bei sich als Problem erkannt haben.

Er sagt: Personen mit pädophiler Neigung gibt es in bildungsfernen Schichten genauso wie in hochakademisierten Kreisen, bei jungen Erwachsenen wie bei Älteren. Was die überwältigende Mehrheit der Betroffenen eint: Sie sind männlich. "Zwar gibt es auch Frauen, die sexuelle Fantasien mit Kindern haben", sagte Gieseler im Interview mit dem "Focus". "Doch das männliche Geschlecht scheint ein großer Risikofaktor für sexuelle Präferenz-Besonderheiten zu sein."

Konsumiert würden Bilder heutzutage oftmals auf dem Smartphone, "weil sich das Handy besser dorthin mitnehmen lässt, wo es keiner sieht". 

Neue Entwicklung: Kinder verbreiten Bilder über Kinder

Das Bundeskriminalamt (BKA) warnt aktuell vor der zunehmenden Verbreitung von Kinderpornografie durch Schüler. Das BKA habe eine Zunahme solchen Materials in Chatgruppen für Kinder und Jugendliche festgestellt, sagte der Experte der Behörde für Cyberkriminalität, Markus Koths. In der Regel gehe es dabei nicht um pädophile Motive. Häufig wollten Kinder oder Jugendliche mit kinderpornografischem Material beeindrucken oder lustig sein, sagt Koths. Deshalb seien die Darstellungen auch meist mit vermeintlich lustigen Kommentaren oder Musik versehen.

 
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