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Sommerhausen
Mehr Theater geht kaum: "Bin nebenan" im Torturmtheater Sommerhausen ist rasant, witzig, absurd und anrührend
Das neue Stück ist eine schräge Komödie ganz in der Tradition des absurden Theaters. Allerdings macht die Autorin es durch einen besonderen Kunstgriff noch spannender.
Geworfen in eine Welt, der sie herzlich egal sind: Armin Hägele und Daniela Voß in 'Bin nebenan' im Torturmtheater Sommerhausen. 
Foto: Thomas Obermeier | Geworfen in eine Welt, der sie herzlich egal sind: Armin Hägele und Daniela Voß in "Bin nebenan" im Torturmtheater Sommerhausen. 
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 17.08.2023 03:28 Uhr
  • Was ist das für ein Stück? "Bin nebenan" von Ingrid Lausund ist eine Komödie mit zwei Personen, ein Mann und eine Frau. Die stehen zwar gemeinsam auf der Bühne, stecken aber in ihren jeweils eigenen Gedankenschleifen fest.
  • Wie ist es gestaltet? Die Inszenierung von Eos Schopohl für das Sommerhäuser Torturmtheater kommt mit minimaler Ausstattung aus. Die Bühne gehört ganz Daniela Voß und Armin Hägele, und die  nehmen das Publikum auf eine atemberaubende Achterbahnfahrt mit.
  • Lohnt der Besuch? Unbedingt. "Bin nebenan" ist witzig, absurd, rasant, anrührend, verstörend und extrem kurzweilig. Mehr Theater geht kaum.

Das Zwei-Personen-Stück "Bin nebenan" im Sommerhäuser Torturmtheater ist ein schönes Beispiel dafür, was Theater alles kann. Wenn man es so gut macht wie Regisseurin Eos Schopohl und ihre beiden Darsteller Daniela Voß und Armin Hägele. Wenn man so viel Sinn für Rhythmus und Timing hat. Wenn man so tief in den Text einsteigt. Und wenn man die Figuren des Stücks mit so viel Respekt und Anteilnahme verkörpert.

Die Komödie von Ingrid Lausund (Jahrgang 1965) nimmt uns mit in die Köpfe einer Frau und eines Mannes, in denen – gelinde gesagt – einige Unordnung herrscht. Das erinnert ein wenig an Vorläufer wie Ionesco und wird noch eine Stufe spannender durch einen dramaturgischen Kunstgriff der Autorin: Beide Figuren stehen zwar gleichzeitig auf der Bühne, reden auch permanent, kommunizieren aber nicht miteinander. Außerdem sind sie nicht durchgehend jeweils dieselbe Person.

Ungleichzeitigkeiten: Während sie (Daniela Voß) ihr Schaumbad zelebriert, irrt er (Armin Hägele) durch ein Kaufhaus.
Foto: Thomas Obermeier | Ungleichzeitigkeiten: Während sie (Daniela Voß) ihr Schaumbad zelebriert, irrt er (Armin Hägele) durch ein Kaufhaus.

Durch diese Ungleichzeitigkeiten ergibt sich eine Vielzahl von Handlungssträngen und Erzählebenen, die einander überlagern, kontrastieren, gelegentlich auch kuriose Wechselwirkungen entfalten. So schwärmt sie in der Eingangsszene über ihre schöne Wohnung, während er sich darüber aufregt, dass die Marktforscher eines Möbelhauses längst wissen, welches Sofa ihm gefallen wird. Er gehört nämlich zur Zielgruppe "Leander". Besonders ärgerlich: Die Möbel gefallen ihm wirklich.

Die Autorin Ingrid Lausund hat auch die Drehbücher für die brillant schräge Serie "Der Tatortreiniger" geschrieben

Und während er sich nun cholerisch zum Rebellen hochstilisiert und erwägt, ein Sofa zu kaufen, das er scheußlich findet, nur um die Marktforscher zu widerlegen, wird ihr über der Beschreibung des schönen alten Terrazzobodens in der Küche klar, dass ihre Beziehung gescheitert ist. Dass sie eigentlich heimatlos ist – wohnungstechnisch wie emotional.

Die Figuren (Armin Hägele und Daniela Voß) reden zwar permanent, aber nicht miteinander.
Foto: Thomas Obermeier | Die Figuren (Armin Hägele und Daniela Voß) reden zwar permanent, aber nicht miteinander.

Ingrid Lausund hat auch die Drehbücher für die brillant schräge Serie "Der Tatortreiniger" geschrieben. Ihr Sinn für eskalierende Absurdität tritt auch in "Bin nebenan" zutage: Die Frau, die im gemütlichen Schaumbad plötzlich von ihrem schlechten Erste-Welt-Gewissen überfallen wird. Der demente Professor, der das Kaufhaus für die Uni hält und die DVD-Abteilung für die Bibliothek. Die leeren DVD-Hüllen interpretiert er als neue perfide Form der Volksentmündigung: Bücher werden nicht mehr zensiert, sondern gleich ganz ohne Inhalt hergestellt.

Daniela Voß und Armin Hägele schlüpfen in ihre Figuren mit unglaublicher Präsenz und liebevoller Sorgfalt. Es sind tapfere, humorvolle aber eben auch isolierte und ziemlich überforderte Menschen, die man sehr schnell ins Herz schließt. Sie sind, wie wir alle, in eine Welt geworfen, der sie herzlich egal sind. Da kann dann schon mal ein Sofa oder ein Badezusatz zum Zentrum des Universums werden.

Torturmtheater Sommerhausen: "Bin nebenan" läuft bis 23. September. Spieltage: Di. bis Fr., 20 Uhr, Sa. 16.30 und 19 Uhr. Karten: kartenbestellung@torturmtheater.de oder telefonisch ab 16 Uhr, (0 93 33) 268.

 
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