
An dem runden Bistrotisch links könnte Wilhelm Conrad Röntgen sitzen. Die Würzburger Theaterstraße wäre kopfsteingepflastert. Und statt SUVs und E-Bussen würden Kutschen vorbeirumpeln. Vielleicht. Alexander Meining lacht und hebt in einer fast entschuldigenden Geste die Arme. Geschichte und Geschichten faszinieren ihn. "Ich kann mich ganz gut in die Vergangenheit hineinversetzen", sagt der 54-Jährige. Abtauchen in eine andere Welt, in die Zeit Ende des 19. Jahrhunderts, in der seine Bücher spielen. Die Universitätsklinik, sein Beruf, die Gegenwart – all das ist dann weit weg.
Alexander Meining ist stellvertretender Klinikdirektor an der Medizinischen Klinik II der Würzburger Uniklinik und Gastroenterologe. Und er schreibt Krimis als Ausgleich. "Wenn man in so einer Klinik arbeitet, dann nimmt man viel mit nach Hause." Mancher würde zum Abschalten am Feierabend ins Fitness-Studio gehen, am Auto herumschrauben oder Bilder malen. "Ich denke mir Geschichten aus und schreibe sie auf."
Erst Geschichte studiert - dann Medizin
Das Schreiben sei für ihn Hobby und Leidenschaft – aber "wahrscheinlich auch eine Art der Stressbewältigung". Nach der Arbeit sitze er eben nicht vor dem Fernseher, sondern am Laptop. Oft stundenlang. Und fast jeden Abend.
Geboren in München, studierte Meining in der Landeshauptstadt zunächst Geschichte, entdeckte im Zivildienst dann sein Interesse an der Medizin und ergatterte einen Studienplatz. Nach 15 Jahren als Arzt und später Oberarzt, wechselte er als Professor an die Uniklinik Ulm. 2019 kam er mit seiner Lebenspartnerin und seinem Sohn nach Unterfranken. Hier fühle er sich wohl, sagt der Oberbayer. Beruflich und privat.
Die Trennung ist ihm wichtig. Von sieben Uhr früh bis sieben Uhr abends steht er in der Klinik. In seine andere Welt, in seine Geschichten, tauche er erst danach ein. Als Autor versuche er sein "eigentliches Arbeitsleben rauszulassen". Weder nutze er Patienten als Inspiration, noch spiele die Handlung in Kliniken. "Es geht nicht darum, dass ich in den Büchern meine Tätigkeit in der Klinik verarbeite – sondern eher darum, dass ich etwas komplett anderes mache."
Mitte September erscheint Meinings Krimi "Mord im Ringpark". Es ist das erste Buch, das er unter echtem Namen veröffentlicht. Zwei E-Books hat er bereits unter Pseudonym publiziert. Ursprünglich wollte er bei dem Decknamen bleiben, aus Sorge, dass er sonst als Arzt "nicht mehr so ernst genommen" würde. Das Pseudonym sollte die klare Grenze zwischen "meinem richtigen Beruf und meinem Hobby" unterstreichen, sagt Meining. "Aber dann habe ich mir gesagt, warum soll es schädlich sein, wenn ich nebenher Bücher schreibe?"
Verstecken wolle er sich nicht. Aber auch keine falschen Eindrücke wecken: das Schreiben ist Freizeit, kein Nebenjob. Sein Autorenhonorar will er an die Stiftung zur Förderung der Krebsforschung an der Uni Würzburg spenden. Nur: Warum wird ein Facharzt für Magen-Darm-Erkrankungen überhaupt Krimiautor?
Der 54-Jährige überlegt, rührt langsam Zucker in seinen Cappuccino. Er hebt leicht die Schultern. "Man hat einfach diese Szenen im Kopf." Das Schreiben sei nichts anderes, "als der Versuch, diese Bilder zu beschreiben". Die Bilder von einem Würzburg vor etwa 130 Jahren.

Damals sollte der schwedische Gartenbauingenieur und Stadtgärtner Jöns Persson Lindahl den Ringpark entwerfen. Seine Pläne wurden international gefeiert, in Würzburg jedoch gab es Widerstand und Kritik. 1887 erschoss sich Lindahl in einer Toilettenanlage im Ringpark – und genau mit dieser Szene beginnt Meinings Krimi.
Reale Personen und Ereignisse bilden den Rahmen für Fiktion
Allerdings nicht mit Selbstmord, sondern mit Mord. "Ich habe mir gedacht: Wenn man sich erschießt, macht man das doch nicht im Toilettenhäuschen", sagt Meining. Die Idee war da und "darauf kann man eine Geschichte aufbauen". Historische Hintergründe lese er sich an, recherchiere, studiere alte Pläne und Karten. In seinen Büchern bilden dann reale Personen und Ereignisse den Rahmen für Fiktion. Meinings braune Augen blitzen. Das ist es, was ihn begeistert: das Ausdenken, das Erfinden von Geschichten in der Vergangenheit.
Sein Protagonist, ein junger Beamter im bayerischen Innenministerium, wird nach Würzburg geschickt, um den Mord aufzuklären. Stur und ehrgeizig kommt der Ermittler in der unterfränkischen Provinz schnell an Grenzen, muss sich mit der Würzburger Gendarmerie auseinandersetzen, mit den Theosophen, einer Gruppe Esoteriker. "Aber am Ende geht es komplett anders aus, als gedacht."
Etwa ein halbes Jahr brauche er für einen Roman, "wenn es gut läuft". Sein "Mord im Ringpark" ist ab 14. September nun erhältlich. Fünf weitere Bände um den Münchner Ermittler seien geplant und teils schon fertig geschrieben. "Es wird irgendwann fast zu einer Sucht", sagt Meining. "Wenn Sie in einer Geschichte drin sind, dann nutzen Sie jede freie Minute." Zeit für andere Hobbys bleibe da kaum, außer fürs Radfahren.
Meining radelt zur Arbeit, fährt in seiner Freizeit Rennrad, macht Touren im Urlaub. In Bewegung könne man gut denken, auch die täglichen Spaziergänge mit dem Hund durch den Ringpark sind quasi Kreativprozess. "Es ist natürlich eine tolle Inspiration, die Originalschauplätze sehen zu können", sagt der Mediziner und steigt auf sein Rad.

Vom Café in der Innenstadt geht es an der Residenz vorbei Richtung Justizgebäude an der Ottostraße. Meining zeigt rechts auf ein kleines Gebäude, in dem heute Backwaren verkauft werden. "Das war damals das Toilettenhäuschen." Dort beginnt sein Buch, dort starb der Gartenbauingenieur Lindahl.
Im Würzburger Ringpark, im Grünen die besten Ideen
Nur wenige Hundert Meter entfernt steht der Gedenkstein für den Schweden. Eine unscheinbare schwarze Säule im Grünen. Meining kommt gerne hier her. "Wenn es einen Haken gibt in der Handlung oder eine Unstimmigkeit, dann kommen einem da die besten Ideen."
Der 54-Jährige zieht ein sorgsam in Folie eingeschlagenes Buch hervor. Das erste Exemplar seines Krimis. Stolz sei er schon. Wenn ihn Patienten darauf ansprechen, seine beiden Welten plötzlich doch aufeinanderprallen? "Da weiß ich auch noch nicht genau, wie ich reagiere", sagt Meining. "Ich denke, man muss klar sagen: Ich bin jetzt hier, weil ich Arzt bin – aber es freut mich, wenn Ihnen das Buch gefallen hat."
"Mord im Ringpark" erscheint am 14. September 2022 im Gmeiner Verlag, 216 Seiten, 12 Euro; E-Book zum Einführungspreis von 4,99 Euro bis 30. September.