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München/Würzburg
Landtagspräsidentin Ilse Aigner über den Wert des Ehrenamts: "Millionen Freiwillige helfen mit, das Land zusammenzuhalten"
Die bayerische Landtagspräsidentin Ilse Aigner ist seit ihrer Jugend ehrenamtlich engagiert. Dieses Jahr ist sie Patin der Aktion "Zeichen setzen!".
Ilse Aigner, die Präsidentin des bayerischen Landtags, kommt im Herbst als Patin zur Aktion 'Zeichen setzen' der Mediengruppe Main-Post.
Foto: Lennart Preiss, dpa | Ilse Aigner, die Präsidentin des bayerischen Landtags, kommt im Herbst als Patin zur Aktion "Zeichen setzen" der Mediengruppe Main-Post.
Claudia Schuhmann
 und  Regina Krömer
 |  aktualisiert: 16.11.2023 03:00 Uhr

Seit 20 Jahren würdigen die Main-Post und das Lernwerk Volkersberg besondere Initiativen mit Blick auf das Gemeinwohl. Über 300 Projekte sind in den letzten 20 Jahren vorgestellt worden. In diesem Jahr ist Landtagspräsidentin Ilse Aigner die Patin. Ein Gespräch über endliche Ressourcen, Bürokratiehürden und sinnhafte Arbeit.

Frau Aigner, das Ehrenamt ist für Sie Herzenssache. Sie nehmen sich in diesem Jahr Zeit für uns und die Aktion "Zeichen setzen!". Was gefällt Ihnen daran?

Ilse Aigner: Die Aktion Zeichen würdigt über einen langen Zeitraum schon das Ehrenamt regional und in seiner ganzen Vielfalt. Das ist aller Ehren wert, das möchte ich unterstützen. Denn für eine lebendige und funktionierende Zivilgesellschaft ist bürgerschaftliches Engagement unverzichtbar.

Sie sind lange in der Politik, und es gibt eine Vielzahl an Anfragen, ob Sie nicht bei dieser oder jener Aktion mitmachen möchten. Das wird fast schon erwartet. Ist Ihnen das auch manchmal zu viel?

Ilse Aigner: Die Ressourcen sind irgendwann leider endlich. Aber solange ich mich erinnern kann, war ich immer irgendwo ehrenamtlich tätig. Das Engagement hat sich immer ein bisschen gewandelt, aber ich bin auch heute noch zum Beispiel Fördervereinsvorsitzende des Caritas-Kinderdorfs Irschenberg oder Vorsitzende von Donum Vitae Bayern. Dazu kommt noch, dass ich durch mein Amt oder meine Person als Schirmherrin für eine gute Sache stehe, auch das ist sehr vielfältig.

Am liebsten möchten Sie auch mitarbeiten?

Ilse Aigner: Ehrenamt ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Da sind auch die Vorstandstätigkeiten wichtig. Und man braucht einfach immer Menschen, die mit anpacken. Derzeit setze ich mich politisch für das Ehrenamt ein und konkret in zwei Vorständen. Wenn ich irgendwann mal wieder mehr Zeit habe, will ich auch beim ein oder anderen Ehrenamt noch stärker mit angreifen. 

Sie waren von Jugend an immer irgendwo ehrenamtlich im Einsatz.

Ilse Aigner: Mich für das Gemeinwesen einzusetzen war immer meins. Das gehört zu meinen Leben dazu. Ich finde es sehr einsam, wenn man nur für sich allein lebt und sich nicht einbringt in die Gesellschaft. Das ist auch nicht mein Verständnis von Bürgertum. Das Ehrenamt lebt aus einem Geist des Gebens und des Mitmachens - in der nächsten Umgebung, im Stadtviertel, in Vereinen, in Kirchengemeinden, beim Roten Kreuz, im Elternbeirat. Und am Ende macht das unsere Gesellschaft aus.

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Rund 29 Millionen Menschen engagieren sich laut Zahlen des Familienministeriums freiwillig, 40 Prozent aller Deutschen über 14 Jahre. Was sagen Sie einem Jugendlichen, der fragt, warum er eigentlich Zeit und Kraft opfern soll, ohne dafür bezahlt zu werden?

Ilse Aigner: Geld ist nicht alles. Das hat auch etwas mit einem Gemeinschaftswesen zu tun. Und ich habe immer die Erfahrung gemacht, dass ich bei einem Ehrenamt viel zurückbekomme. Erstens lerne ich etwas in der Thematik und außerdem lerne ich engagierte und tolle Menschen kennen, die auch meinen persönlichen Horizont und Freundeskreis erweitern. Es gehört aber auch zur Wahrheit dazu, dass ehrenamtliches Arbeiten zeitlich auf der Strecke bleibt, wenn ich in der Familienphase stecke oder beruflich sehr stark eingebunden bin. Manche haben auch finanzielle Sorgen, da kann dann die Energie fehlen, sich zu engagieren.

Und wenn jemand sagt, er braucht gar kein Ehrenamt? Wenn er Hilfe braucht, dann kauft er sich die einfach?

Ilse Aigner: Da hat sich dann jemand keine Gedanken darüber gemacht, was alles wegfallen würde. Man kann sich halt sich alles kaufen. Das fängt ja schon bei den Schulwegbegleitern an. Das machen alle ehrenamtlich. Oder die Feuerwehrleute.

Ohne Freiwillige geht nichts: 95 Prozent aller Feuerwehrleute in Deutschland machen ihren Job ehrenamtlich.
Foto: Sebastian Gollnow, dpa | Ohne Freiwillige geht nichts: 95 Prozent aller Feuerwehrleute in Deutschland machen ihren Job ehrenamtlich.
95 Prozent aller Feuerwehrleute machen ihren Job ehrenamtlich …

Ilse Aigner: Und diesen Dienst kann kein Staat dieser Welt finanzieren. Würde es brennen, käme ohne Ehrenamt in vielen kleineren Orten wohl niemand zum Löschen. Was da allein an Stunden geleistet wird. Oder auch die Bergwacht’ler. Alles Hauptamtliche? Eben nicht - alles Ehrenamtliche. Die sind 365 Tage im Jahr 24 Stunden am Tag da. Der Staat kann nicht alles finanzieren. Millionen Freiwillige helfen mit, das Land zusammenzuhalten. Ohne Ehrenamt würde ganz viel wegbrechen. Die Seele des Landes würde fehlen.

Es gibt ja immer wieder Berichte, dass ehrenamtliche Helferinnen und Helfer im Einsatz beleidigt und beschimpft werden. Manchmal geht es da richtig zur Sache.

Ilse Aigner: Da habe ich keinerlei Verständnis. Null. Käme ich in eine Situation, in der ich das mitbekäme, würde ich das sehr deutlich ansprechen. Die Leute müssen wissen, dass sich hier Menschen in ihrer Freizeit ohne Vergütung engagieren und freiwillig für andere da sind. Hier geht es nicht zuletzt um eine Frage des Respekts. Unsere Strukturen sind ehrenamtlich geprägt. Manche wissen das womöglich gar nicht. Deshalb muss man das immer wieder gebetsmühlenartig sagen.

Wird Ehrenamtlichen bisweilen zu viel aufgebürdet? Stichwort Bürokratie, Haftung etc.? Was ist zum Beispiel, wenn auf einem Fest etwas passiert?

Ilse Aigner: Bürokratie ist ein ständiges Thema. Ein Beitrag der Wertschätzung der Ehrenamtsarbeit ist zum Beispiel die Bayerische Ehrenamtsversicherung. Mit der stellt der Freistaat Bayern sicher, dass Ehrenamtliche bei ihrem Engagement keine Nachteile haben, wenn sie selbst keinen entsprechenden Versicherungsschutz haben. Es kann ja immer mal etwas passieren.

Haben Sie noch ein anderes Beispiel?

Ilse Aigner: Wer öffentlich Musik spielt, muss den Urhebern dafür eine Gebühr zahlen - über die Gema. Das gilt auch für Vereine. Hier übernimmt das Land Bayern einige dieser Gebühren. Das sind 1,5 Millionen Euro im Jahr.

Menschen, die in Vereinen oder Organisationen Mitglied sind, sind offensichtlich schwieriger als früher über die reine Mitgliedschaft hinaus für Vorstandsjobs, Ämter oder sonstige verantwortliche Tätigkeiten zu gewinnen. Wie sehen Sie das?

Ilse Aigner: Die Bereitschaft, sich dauerhaft zu verpflichten, ist zurückgegangen. Die Bereitschaft, sich zu engagieren, ist aber nach wie vor ungebrochen - nur Ämter zu übernehmen, ist schwieriger geworden. Aber auch hier sollte man nicht nur auf die Herausforderungen eines Amtes schauen, sondern auch über die Befriedigung und das Positive reden.

In diesem Jahr ist Landtagspräsidentin Ilse Aigner die Patin der Aktion 'Zeichen setzen!'. Die Redakteurinnen Claudia Schuhmann (links) und Regina Krömer (rechts) haben sich mit der Präsidentin im Maximilianeum getroffen.
Foto: Caroline Kubon | In diesem Jahr ist Landtagspräsidentin Ilse Aigner die Patin der Aktion "Zeichen setzen!". Die Redakteurinnen Claudia Schuhmann (links) und Regina Krömer (rechts) haben sich mit der Präsidentin im Maximilianeum ...
Es geht also auch um Selbstverwirklichung. Sind Ehrenamtler mit ihrem Leben zufriedener sind als Nicht-Freiwillige?

Ilse Aigner: Das würde ich unterstreichen. Es ist erfüllend und sinnstiftend, etwas für die Gemeinschaft zu machen und gemeinsam etwas zu bewegen, was einem wichtig ist.

Haben Sie für uns ein Beispiel?

Ilse Aigner: Da fällt mir spontan der Nachtexpress im Landkreis Rosenheim ein, als ich noch im Kreistag und im Gemeinderat war.

Also ein Bus, der Jugendliche von Party zu Party fährt.

Ilse Aigner: Die Zahl der Discounfälle stieg damals, das musste ich leider auch im Bekanntenkreis miterleben. Viele Ältere haben gezetert: "Die sollen doch daheim bleiben." Das war eine der größten Aufgaben, weil ich bei Null angefangen habe. Damals musste man jeden Gemeinderat davon überzeugen, dass er auch Geld dafür hergibt. Da gab es extrem viele Widerstände. Diese Erfahrung, dass ich das hingekriegt habe – damals eben noch als ehrenamtliche Kommunalpolitikerin - war schon sehr prägend.

Sie haben einen langen Atem, wenn Sie etwas wollen?

Ilse Aigner: Man könnte auch sagen, ich bin ein Sturschädel. Wenn es um eine Herzensangelegenheit geht, habe ich schon Durchhaltevermögen.

Bei der Aktion "Zeichen setzen!" geht es auch darum, Menschen zu zeigen, die Vorbilder sind – oft auch im Stillen. Das Ehrenamt kommt oft unspektakulär daher.

Ilse Aigner: Auch deshalb ist es ist wichtig, dass wir alle den Wert des Ehrenamts immer wieder hervorheben. Hinschauen! Und dazu gehört auch die ganze Kommunalpolitik. Die liegt mir sehr am Herzen, da habe ich meinen Beginn gehabt. Ich weiß, dass die Stärke unseres Landes auch daher kommt, weil wir in den Kommunen so stark sind. Die Gemeinderatsmitglieder oder Kreistagsmitglieder verpflichten sich für mehrere Jahre und kümmern sich um die Allgemeinheit. Hier ist nicht das Ich, sondern das Wir entscheidend. Das ist eine Form des bürgerschaftlichen Engagements, die für unsere Demokratie so wichtig ist. Und da gehören auch die Parteien und Organisationen dazu, bei denen sich viele jahrelang engagieren eben ohne ein bezahltes Amt oder Mandat. Das dürfen wir alle nicht vergessen.

Ilse Aigner und die Aktion "Zeichen setzen!"

Ilse Aigner, 58, Landtagspräsidentin und oberbayerische Bezirksvorsitzende der CSU, ist in diesem Jahr Patin der Aktion "Zeichen setzen!". Seit fast 30 Jahren ist sie Abgeordnete, war Bundes- und Staatsministerin. Aigner hat eine Ausbildung zur Radio und Fernsehtechnikerin, später noch eine Aufstiegsfortbildung zur staatlich geprüften Technikerin drauf gesetzt.
Die Aktion "Zeichen setzen!" zeichnet seit über 20 Jahren beispielhafte ehrenamtliche soziale Initiativen aus. Eine Jury wählt unter den Bewerbungen aus. Immer im Spätherbst werden dann vier Preise – dotiert mit 500 bis 3000 Euro – verliehen.
Initiativen können sich entweder selbst bewerben – oder sie werden von Dritten vorgeschlagen. Jede und jeder kann Personen oder Gruppen nennen, die Wichtiges zum Gemeinwohl beitragen. Eingereicht werden können Projekte und Initiativen aus Unterfranken und dem benachbarten Main-Tauber-Kreis. Die Bewerbungsfrist für 2023 ist am 30. September zu Ende gegangen.
Informationen rund um die Aktion, die Bewerbung, die Kriterien sowie erschienene Beiträge finden Sie unter www.mainpost.de/zeichensetzen und lernwerk.volkersberg.de.
MP
 
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