
Auf der Fährte internationaler Internet-Betrüger ist Oberstaatsanwalt Markus Küstner, der aus Würzburg stammt, seit vielen Jahren weltweit unterwegs. Aber was der Kronzeuge aus Bangladesch jetzt in Bamberg bei Küstner in der Zentralstelle Cybercrime in Bayern (ZCB) auspackte, ließ selbst den erfahrenen Fahnder staunen.
Salam A. offenbarte den Ermittlern in tagelanger Vernehmung Insiderkenntnisse und gab tiefe Einblicke in die Arbeitsweise der Internet-Mafia. Der 28-Jährige war Täter und Opfer zugleich: ein Zwangsarbeiter, der im Akkord Nutzern im Internet mit perfider Täuschung das Geld aus den Taschen ziehen musste – getarnt als lockende Frau.
Zu Kundenfang im Internet mit gefälschten Profilen gezwungen
Mit hinreißenden Bildern und Namen wie "Stella Lee" oder "Anna Huang" ging der 28-Jährige auf Kundenfang und gaukelte ahnungslosen Männern die große Liebe vor. Er musste sie dann auf Investment-Plattformen locken, die nur einem Zweck dienten: Den Kunden so viel Geld wie möglich zu entlocken.

Das Perfide dabei: Salam A. tat das nicht freiwillig. Küstner und seine Kollegen berichtete er, dass er als Zwangsarbeiter 2022 monatelang Männer am anderen Ende der Leitung belügen und betrügen musste - weil man ihm Folter androhte.
Mit traumhaftem Verdienst gelockt, als Zwangsarbeiter gehalten
Mit dem Computer vertraut, wurde der Mann aus Bangladesch mit falschen Versprechungen nach Kambodscha gelockt: 1000 Dollar sollte er dort im Monat verdienen, angeblich als Angestellter in einem Online-Casino. In Wahrheit hatten Menschenhändler ihn an eine Organisation von Betrügern verkauft, zu einem Kopfpreis von 3500 Dollar.
Sie nahmen ihm den Pass ab, steckten ihn mit vielen anderen in ein abgesichertes Haus, in dem er offenbar bis zu 22 Stunden am Tag arbeiten musste. Ausgerüstet mit PC, fünf Handys und zehn SIM-Karten sollte er falsche Profile auf Dating-Apps einrichten. Erst wurde die große Liebe vortäuschen, dann gab es für die "Geliebten" Tipps zur Geldanlage.
Bei der Zentrale in Bamberg sind bereits 370 Fälle bekannt
Allein bei der Zentralstelle Cybercrime Bayern (ZCB) sind laut Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) seit 2021 bereits 370 Fälle auf etwa 330 Plattformen angezeigt worden. Anders als beim bekannten "Love Scam", dem modernen Heiratsschwindel, werden bei der Methode keine Geldprobleme vorgetäuscht.
"Erst bauen die Täter eine emotionale Bindung auf. Dann überreden sie ihre Opfer, in Kryptowährungen auf gefälschten Trading-Plattformen oder -apps zu investieren", sagt Eisenreich. " Am Ende ist alles weg – das Geld und die Liebe." Betrogene schweigen aus Scham und trauen sich oft nicht, die Täter anzuzeigen.
Kronzeuge berichtet: Bei Misserfolg drohte Schlafentzug und Folter
"Er musste das Vertrauen von mindestens drei Opfern am Tag gewinnen", sagt Oberstaatsanwalt Markus Küstner über den Kronzeugen. Wurde das nicht erreicht, wurden die zwei Stunden freie Zeit verwehrt oder es folgten körperliche Strafen. Den Ermittlern in Bamberg zufolge berichtete Salam A. von Schlafentzug, Elektroschocks, Schlägen und Folterdrohungen.
Manche Betrogenen, auch aus Deutschland, sollen ihr gesamtes Hab und Gut verloren haben. "Sie verkauften ihre Häuser, ihr gesamtes Eigentum, um das Geld zu investieren", sagt der Kronzeuge.
Bayerisches Justizministerium vereinbart engere Kooperation mit Interpol
Seine Familie kaufte Salam A. nach sechs Monaten frei, Küstner holte ihn zu Vernehmungen nach Deutschland, an die Zentralstelle Cybercrime in Bayern. In Bamberg vermittelt der Kronzeuge jetzt Insiderkenntnisse über ein Geschäft, mit dem Betrüger dem bayerischen Justizminister zufolge Milliarden Euro kassieren. Allein in Bayern sollen es über fünf Millionen Euro im vergangenen Jahr gewesen sein.
Die Strafverfolgung ist schwer, weil die Kriminellen von Südostasien aus operieren und korrupte Behörden dort gerne wegschauen. Um sie erfolgreicher bekämpfen zu können, unterschrieb Eisenreich jetzt einen Vertrag mit dem Chef der internationalen Polizeibehörde Interpol, Jürgen Stock. Die Vereinbarung soll Bayerns Ermittlern besseren Zugang in diese Länder ebnen - und im besten Fall Menschen wie Salam A. Zwangsarbeit ersparen.