Der letzte Abschnitt des Berufslebens und der Ruhestand können ein Leben in Freude und Zufriedenheit bedeuten. Sie können aber auch problematisch erlebt werden. Niemand erhält eine verlässliche Garantie für ein erfülltes langes Leben nach dem Beruf. Es ist lohnenswert, diese Tatsache ins Auge zu fassen. Viele Berufsaussteiger stehen vor den Fragen: Wie möchte ich meine letzte Lebensphase verbringen? Wer bin ich ohne meinen Beruf? Bin ich bereit für etwas Neues? Pflege ich lieber das Vertraute? Werde ich meine jetzigen Pläne später vielleicht bereuen? Die Psychologin Iris Juliana Schneider rät, sich auf den Ruhestand vorzubereiten.
Iris Juliana Schneider: Für viele ist der Beruf der Hauptlebensinhalt. Das muss man sich erst einmal eingestehen. Viele können bei mangelnder Vorbereitung in ein so genanntes schwarzes Loch fallen. Man sollte sich rechtzeitig fragen: Wofür möchte ich das Rentenalter nutzen? Wie möchte ich diese Lebensspanne gestalten? Deshalb ist es sinnvoll, sich ab Mitte 50 auf die Zeit nach dem Arbeitsleben vorzubereiten.
Schneider: Wer seine Hobbys mit Freude und Begeisterung verfolgt und gute Freunde hat, erlebt den Renteneintritt eher mit einer gewissen Leichtigkeit. Wer bisher nur für seinen Beruf gelebt hat, der könnte Schwierigkeiten bekommen. Manche fühlen sich später nicht mehr gebraucht und es mangelt ihnen an Wertschätzung und Sinnzuschreibung im eigenen Leben. Für diese Menschen ist eine gezielte Vorbereitung unheimlich wichtig.
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Schneider: Man sollte sich eine Zeit der Selbstbesinnung gönnen und überlegen: Was macht mich aus? Wo empfinde ich Freude? Worauf habe ich im Ruhestand Lust? Viele Menschen verfolgen ihre Freizeitbeschäftigungen nur als eine Art Pflichtprogramm. Zum Beispiel sagen viele, dass sie Sport treiben, um ihrer Gesundheit etwas Gutes zu tun. Da höre ich oft keine Begeisterung heraus. Besser ist es, in der noch verbleibenden Zeit Dinge zu tun, die einen wirklich zufrieden machen und wozu man eben auch Lust hat.
Schneider: Da kann es hilfreich sein, in der eigenen Biografie nachzuschauen. Was hat jemand Zeit seines Lebens interessiert? Vielleicht wollte man schon immer Gitarre lernen? Oder eine neue Fremdsprache? Andere beschäftigen sich mit Astronomie oder Geschichte. Oder sie planen eine ungewöhnliche Reise. Wieder andere sagen, ihnen sind die Enkel sehr wichtig und sie noch möglichst viel Zeit mit ihnen verbringen möchten. Man kann sich auch ein Seniorenstudium beginnen. Das Rentenalter ist der letzte Lebensabschnitt, und man muss sich ehrlich fragen, was man gerne noch erleben möchte. Und das kann individuell sehr unterschiedlich sein.
Schneider: Gute Beziehungen können in schwierigen Lebensphasen sehr tragend sein. Gerade wenn sich schwerwiegende Verluste einstellen, ein Angehöriger oder jemand aus dem Freundeskreis stirbt, können Freunde sich sehr gut gegenseitig unterstützen und Halt geben. Es gibt aber auch kontaktscheue Menschen, die andere Ressourcen haben und mit weniger sozialen Kontakten gut klar kommen.
Schneider: Ich denke es sind Frauen, weil sie aus ihrer Biografie heraus vielseitiger aufgestellt sind. Viele haben sich im laufe ihres Lebens um die Kindererziehung oder die Pflege Angehöriger gekümmert und nur wenige waren nur auf den Beruf fixiert. Natürlich gibt es auch Karrierefrauen, bei denen der Schwerpunkt ausschließlich im Beruf liegt, aber das sind eher wenige. Männer hingegen definieren sich viel häufiger über ihre Arbeit als Frauen.
Schneider: Viele Menschen fangen an, über das Vergangene zu grübeln. Sie denken plötzlich über Dinge nach, wozu ihnen früher einfach die Zeit gefehlt hat. Andere machen sich Sorgen über die Zukunft. Sie fragen sich: Wie wird mein hohes Alter sein? Wie bekämpfe ich meine Angst vor dem Sterben? Manchen Menschen wird ihre Endlichkeit bewusst und das kann zu schwerwiegenden Stimmungstiefs führen.
Schneider: Das ist sehr verschieden. Manche denken kaum an ihr persönliches Lebensende und blühen im dritten Lebensabschnitt noch mal richtig auf. Solange die Gesundheit und Vitalität da sind, gehen viele erst einmal in die Aktivität und vermeiden die Beschäftigung mit der eigenen Endlichkeit. Erst wenn ernsthafte Krankheiten auftreten, bröckelt oft die Verdrängung dieser Tatsache und die Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit nimmt an Bedeutung zu. Wer sich im Vorfeld mit seiner eigenen Sterblichkeit beschäftigt, kann für den Rest seines Lebens an Erlebnistiefe gewinnen.
Schneider: Ja, auf jeden Fall. Das große Plus dieser Lebensphase ist die Zunahme an Freiräumen und an unverplanter Zeit. Die Berufsaussteiger haben noch einmal die Chance etwas Neues zu beginnen. Auch ist es möglich, die Aufmerksamkeit auf ein bisher brachliegendes Hobby zu richten. Insgesamt gesehen besteht im Ruhestand endlich mehr die Chance, Sachen zu tun, wofür es früher schlicht und ergreifend keine Zeit gab. Das ist ein riesiges Potential.
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Schneider: Geld ist nicht unwichtig, aber es ist nicht der Schlüssel für ein glückliches Leben. Freude kann man auch bei den einfachen Dingen des Lebens erfahren. Manche blühen beispielsweise bei der Rosenzucht in ihrem Schrebergarten total auf oder bei der Aufzucht eines kleinen Hundes. Das sind nicht unbedingt kostenaufwendige Hobbys. Wer natürlich viel reisen möchte, der braucht selbstverständlich ein großes finanzielles Polster dafür.
Schneider: Manche Menschen sind phasenweise sehr traurig, weil sie ihre Arbeit und die liebgewonnenen Kollegen im Ruhestand einfach vermissen. Sie können diese unangenehmen Gefühle aber alleine wieder regulieren. Andere suchen sich eine professionelle Unterstützung, um einen geeigneten Weg aus diesen Stimmungstiefs zu finden. Hilfe findet man bei den Beratungsstellen der Kirchen oder der Stadt.