Franz Müntefering, in der SPD schlicht Münte genannt, hat ein Buch geschrieben: "Unterwegs – Älterwerden in unserer Zeit" ist eine Mischung aus Biografie, persönliche Analyse von Politik und Partei und auch ein wenig Ratgeber. Der 79-Jährige ist immer noch politisch aktiv. Als Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen kommt Müntefering am Dienstag, 22. Oktober, nach Würzburg und spricht über neue Wege der Seniorenarbeit. Wir haben mit ihm vorab über Chancen im Alter gesprochen - und warum der Ruhestand eine Vorbereitung braucht.
Herr Müntefering, Sie sind 79 Jahre alt und schreiben in Ihrem Buch, dass Sie sich auch wie 79 fühlen. Wie erleben Sie das Älterwerden?
Franz Müntefering: Ja, es stimmt, ich bin alt. Aber das Alter hat immer noch viel Charme. Man hat Zeit, vor allem für Dinge, die man gerne tut und man hat viel Zeit für sich selbst. Wir Menschen leben heute länger als früher. Das ist eine sehr positive Entwicklung. Es gibt in Deutschland mehr als 5,5 Millionen über 80-Jährige. Etwa 80 Prozent von ihnen sind noch gut dabei und können sich selbst versorgen. In den nächsten Jahren werden es, bedingt durch den demografischen Wandel, zehn Millionen über 80-Jährige sein. Das ist eine große Veränderung in der Gesellschaft.
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Wie können wir uns vorbereiten?
Müntefering: Früher lautete ein Sprichwort, älter wird man von alleine, da muss man sich keine Gedanken machen. Aber das stimmt nicht. Man muss sich sehr wohl Gedanken machen. Jeder Einzelne kann Einfluss auf sein Alter und seine Gesundheit nehmen, in dem er Sport treibt oder sich zumindest bewegt, sich gesund ernährt und Sozialkontakte pflegt. Zwischen 60 und 90 gibt es für viele noch 30 gute Jahre. Viele Menschen engagieren sich auch ehrenamtlich.
Wie halten Sie sich fit?
Müntefering: Jeden Morgen mache ich etwa 15 Minuten Gymnastik, drei- bis viermal die Woche gehe ich etwas länger zügig spazieren, so vier bis fünf Kilometer in der Natur. Und wenn es nicht anders geht, nutze ich das Laufband. Außerdem versuche ich, mich gesund zu ernähren und nicht zu viel zu essen.
Ihre Frau ist 40 Jahre jünger und macht Karriere. Hält Sie Ihre Frau jung?
Müntefering: Ja, auf jeden Fall. Wir machen zu Hause keinen Kabinettstisch, aber ich bekomme durch sie alles mit, was sich momentan in der Politik abspielt. Wenn man ein gemeinsames berufliches und inhaltliches Interesse hat, ist das natürlich hilfreich und verbindet.
Seit 2013 sind Sie nicht mehr im Bundestag. Ist Ihnen der Rückzug aus der aktiven Politik schwer gefallen?
Müntefering: Mit 14 Jahren war ich mit der Schule fertig, habe dann Industriekaufmann gelernt und 20 Jahre in dem Beruf gearbeitet. Als ich 35 Jahre alt war kam ich in den Bundestag, und da bin ich geblieben bis 73. Auch im Bundestag habe ich mich schon um die demografische Entwicklung und die Veränderungen in der Gesellschaft gekümmert. Das war eine inhaltliche Vorbereitung auf meine neue Aufgabe als Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen. Durch diese neue Aufgabe ist mir der Abschied nicht schwer gefallen.
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Sie schreiben in Ihrem Buch, man sollte nicht in den Ruhestand hineinstolpern, sondern eine Vorbereitung wäre sinnvoll. Wie kann diese aussehen?
Müntefering: Die meisten, die in Rente gehen, wollen erst mal richtig Urlaub machen. Doch das ist kein richtiger Plan. Man kann nicht das ganze Jahr Urlaub machen. Deshalb sollte man sich schon vorher Gedanken machen, was man im Ruhestand tun will. Und man darf dabei nicht vergessen, dass man mit dem Älterwerden auch an Tempo, an Kraft und Ausdauer verliert. Auch die Koordination wird schlechter. Trotzdem kann man noch viele erfüllte Jahre haben.
Gibt es auch Dinge, von denen Sie sich im Ruhestand verabschieden mussten?
Müntefering: Nächstes Jahr, wenn ich 80 werde, will ich mal zu einer Fahrschule gehen und mich testen lassen, ob ich noch richtig gut bin. Abends, wenn es dunkel wird oder nieselt, dann fühle ich mich manchmal nicht mehr ganz sicher. Autofahren ist zwar gesund, weil es Multitasking ist und alle Sinne anregt, aber man sollte keine Gefahr für andere und für sich selbst werden.
Sie gelten als Vater der Rente mit 67, die haben Sie als Arbeitsminister eingeführt. Würden Sie das heute wieder so tun?
Müntefering: Ich bin immer noch überzeugt, dass das richtig war und ist. Wir werden immer älter und wir müssen flexibler werden. Viele Menschen arbeiten heute länger. Ein Drittel davon, weil sie noch Geld dazuverdienen müssen, aber die anderen machen das, weil sie beschäftigt sein wollen und es ihnen Spaß macht. Und: Auch wenn die Rente mit 67 erreicht ist, werden Arbeitnehmer mit mehr als 45 Beitragsjahren noch mit 65 in Rente gehen können, ohne jeden Abschlag.
Sie sind wegen der Krebserkrankung Ihrer ersten Frau 2007 von allen politischen Ämtern zurückgetreten. Sie ist kurz darauf gestorben. Das Sterben ist auch Thema in Ihrem Buch. Wie haben Sie es erlebt?
Müntefering: Mein Vater war im Krankenhaus unerwartet gestorben. Das hat mich sehr belastet, weil ich mich nicht richtig von ihm verabschieden konnte. Meine Mutter habe ich zu Hause beim Sterben begleitet. Bei meiner Frau Ankepetra war das auch so, auch unsere Kinder und Geschwister waren mit dabei. Sterben bleibt ein Stück Leben, mit Trauer und Tränen. Aber es ist gut, wenn man gerade dann Zeit füreinander hat.
Haben Sie Angst vor dem Sterben?
Müntefering: Im Moment habe ich keine Angst, aber ich will die Backen nicht zu dick aufpusten. Man weiß nie, wie man reagiert, wenn es kommt. Sterben kann man ja nicht üben. Wenn Sie mich vor 30 Jahren gefragt hätten, hätte ich gesagt, ich möchte einfach tot umfallen. Das möchte ich heute nicht mehr. Ich möchte lieber sehenden Auges auf den Tod zugehen und mich von allen verabschieden.