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Würzburg
Krebspatienten in Sorge, Frust bei Ärzten: Was passiert, wenn plötzlich Krebsmedikamente fehlen, Professor Einsele?
Krebskranke brauchen bestimmte Medikamente – doch immer häufiger sind sie nicht verfügbar. Onkologe Hermann Einsele von der Uniklinik Würzburg über Gründe und Folgen.
Der Hämatologe Prof. Hermann Einsele  ist einer der renommiertesten deutschen Krebsforscher und am Würzburger Uniklinikum Direktor der Medizinischen Klinik II.
Foto: Silvia Gralla | Der Hämatologe Prof. Hermann Einsele ist einer der renommiertesten deutschen Krebsforscher und am Würzburger Uniklinikum Direktor der Medizinischen Klinik II.
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:25 Uhr

Kein Fiebersaft mehr für Kinder, fehlende Antibiotika, Ausfälle bei Krebsmedikamenten: Die "versorgungsrelevanten Engpässe" hat kurz vor Weihnachten das zuständige Bundesinstitut bestätigt. Auch das Bundesgesundheitsministerium befand: Die Lieferprobleme bei Arzneimitteln haben sich in den vergangenen Jahren verschärft. Was das für die Behandlung von Krebserkrankungen bedeutet, erklärt Onkologe und Krebsforscher Prof. Hermann Einsele von der Uniklinik Würzburg. Der 62-Jährige ist geschäftsführender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO).

Herr Einsele, wieweit betreffen die Lieferengpässe auch die Krebsmedikamente?

Prof. Hermann Einsele: Man geht davon aus, dass es in Deutschland über 200 Krebsmedikamente gibt. Von ihnen waren in den letzten ein bis zwei Jahren mindestens zehn Prozent betroffen – mit steigender Tendenz.

Geht es nur um eigentliche Krebsmedikamente oder auch andere Arzneimittel, die Betroffene dringend brauchen? 

Einsele: Es sind auch unterstützende Medikamente betroffen – Antibiotika, Harnsäuresenker, Immunglobuline zur Abwehr von Infektionen. Auch fiebersenkende Medikamente haben schon gefehlt. Sie alle können zum Paket einer Tumortherapie gehören.

Was bedeutet der Ausfall für Patientinnen und Patienten? Eine schlechtere Prognose?

Einsele: Das ist unterschiedlich. Bestimmte Medikamente kann man durch Alternativen ersetzen – bei anderen ist das schwierig, zum Beispiel Tamoxifen. Das ist ein Präparat, das man bei einer bestimmten Art von Brustkrebs einsetzt. Es soll das Rückfallrisiko verringern. Hier sind Patientinnen angehalten, das Medikament fünf oder zehn Jahre lange einzunehmen. Und plötzlich war es nicht mehr auf dem Markt. Das hat nicht unerhebliche Ängste ausgelöst. 

Können die Engpässe also zum ernsthaften Risiko für Krebspatienten werden?

Einsele: Die individuellen Auswirkungen auf die Tumorerkrankung sind schwer vorherzusagen. Aber selbst wenn sich das Risiko eines Rezidivs, also eines Rückfalls, nur geringfügig erhöht: Die Betroffenen haben Ängste, viele haben verzweifelt bei uns angerufen und wollten wissen, woher sie das Medikament noch bekommen könnten.

Was kann man denn tun, wenn es kein Ersatzmedikament gibt?

Einsele: Wir haben teilweise mit den Aufsichtsbehörden gesprochen und es wurde der Import aus dem Ausland ermöglicht – auch wenn die Medikamente dann teurer sind. Worauf unsere Fachgesellschaft ansonsten drängt: Dass man für Medikamente, die nicht leicht zu ersetzen sind, richtige Depots anlegt. Damit wären Engpässe besser zu überstehen. Außerdem sollte man versuchen, bei kritischen Medikamente die Produktion wieder stärker nach Deutschland zurückzuholen. Damit umgeht man Lieferkettenprobleme und stellt die Verfügbarkeit für Patienten in Deutschland sicher.

Ist vor allem das Lieferkettenproblem ursächlich für die Versorgungslücken? Oder gibt es auch wirtschaftliche Gründe?

Einsele: Die ganz neuen, teuren Medikamente stehen meistens zur Verfügung, weil damit noch mehr Gewinn gemacht werden kann. Problematisch ist es eher bei Medikamenten, die aus dem Patentschutz fallen: Der wirtschaftliche Nutzen für Pharma-Unternehmen dann ist reduziert, sie suchen nach billigeren Herstellen, gehen ins Ausland, und wir sind wieder bei der Lieferkettenproblematik. Teilweise kam es auch "Hamsterkäufen", weil ein Lieferengpass drohte – der damit erst recht ausgelöst wurde. In selteneren Fällen hat man das Anwendungsgebiet eines Medikaments deutlich ausgedehnt, womit plötzlich ganz andere Mengen nachgefragt wurden.

Wäre denn die vielfach geforderte Rückverlagerung der Medikamentenproduktion nach Europa überhaupt so einfach möglich?

Einsele: Durchaus. Aber man muss es für die Hersteller wieder attraktiver gestalten, auch wenn die Medikamente dadurch etwas teurer werden. In der Pädiatrie, also der Kinderheilkunde, hat man dies vor einigen Wochen ja bereits gemacht und die Preise erhöht. Damit wurde die Produktion der benötigten Arzneimittel in Europa bzw. in Deutschland wieder interessanter.

Sind eigentlich bestimmte Krebsarten von den Engpässen besonders betroffen?

Einsele: In den letzten ein bis zwei Jahren waren bestimmte etablierte Medikamente für die Leukämie-Behandlung nicht mehr verfügbar, andere betrafen die Behandlung von Lymphknoten-, Lungen- oder Bauspeicheldrüsenkrebs. Betroffen von Ausfällen sind immer wieder andere Medikamente, das wechselt.

Handelt es sich um ein deutsches Problem?

Einsele: Nein, andere europäische Länder sind da genau so betroffen.

Wie geht es Ärztinnen und Ärzte, wenn sie ihre Patienten nicht mehr so behandeln können, wie es aus medizinischer Sicht geboten wäre?

Einsele: Das ist frustrierend. Man fühlt sich ja irgendwo verantwortlich für seine Patienten und ist bedrückt, dass so etwas in Deutschland passiert: Dass Medikamente, auf die der Patient gut eingestellt ist und über deren Notwendigkeit man zuvor aufgeklärt hat, plötzlich nicht mehr zur Verfügung stehen. So wie bei Cotrimoxazol – ein Antibiotikum, das viele unserer Patienten einnehmen. Es war in den Apotheken nicht mehr zu bekommen und die Patienten haben alle verzweifelt bei uns angerufen. Das hat sie verunsichert und die Ärzte frustriert.

Geht so etwas auch ans Arzt-Patienten-Verhältnis?

Einsele: Die Patienten haben schon verstanden, dass wir als Ärzte nicht für die Situation verantwortlich sind. 

 
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