Ein kleiner Junge hat Schwierigkeiten, sich in die Kindergruppe zu integrieren. In einigen Situationen verliert er die Kontrolle und verhält sich aggressiv. Ein anderer Junge greift Kinder an, schlägt sie, kratzt und beißt. Er schmeißt Möbel um oder wirft Geschirr hinunter.
Dass ein Kind deshalb vom Kindergarten suspendiert wird oder seinen Kita-Platz verliert - in Unterfranken gab es zuletzt mehrere solcher Fälle. Woran liegt das? Nimmt die Aggressivität im Kleinkindalter zu? Petra Wurzbacher, ist Sozialpädagogin und systemische Familientherapeutin beim Sozialdienst katholischer Frauen in Würzburg (SkF), erklärt, wie es zu aggressivem Verhalten kommt. Und wo Eltern und Erzieher Hilfe für die Kinder finden.
Petra Wurzbacher: Aggressives Verhalten bei Kindern ist ein komplexes Thema. Prinzipiell zeigen Kinder durch dieses Verhalten, dass irgendetwas für sie nicht stimmt. Die Ursachen können in der Familie, in der Kita oder im Kind selbst liegen. In solchen Situationen benötigen Kinder aufmerksame Erwachsene, die Zeit haben, sie zu begleiten und zu unterstützen. Viele Kitas leiden unter Personalmangel, was zu Druck führt und das Personal an seine Grenzen bringt. Auch in vielen Familien herrscht hoher Druck. Aggressives Verhalten bei Kindern ist eine Reaktion auf verschiedene Belastungen. Es ist wichtig, jedes Kind individuell zu betrachten, um angemessen helfen zu können.
Wurzbacher: Manche Kinder erleben schwierige Zeiten oder Themen innerhalb ihrer Familie. Dies kann eine Trennung der Eltern, Streit, der Verlust eines Familienmitglieds oder eine ungesunde familiäre Situation sein. Bei einigen genügt eine kleine Reaktion, um eine große Überforderung auszulösen. Manche sind generell schneller überfordert. Andere Kinder haben bereits traumatische Erfahrungen gemacht und fühlen sich bedroht, wodurch sie in den Angriffsmodus schalten. Wenn diese Not der Kinder in den Kitas nicht angemessen begleitet werden kann, weil zu wenig Personal da ist oder die Erzieher und Erzieherinnen nicht genug Erfahrung im Umgang mit diesen Verhaltensweisen haben, kann die Situation leicht eskalieren.
Wurzbacher: Ich halte es für wichtig, deeskalierend und nicht strafend zu reagieren. Es ist wichtig, das Kind angemessen zu begleiten und ihm bewusst zu machen, dass es nicht notwendig ist, derart wütend zu werden. Es ist essenziell, dem Kind in Momenten der Überforderung beizustehen und es nicht alleine zu lassen. Ein Erwachsener sollte dem Kind dabei behilflich sein, seine Emotionen zu regulieren. Dadurch wird dem Kind verdeutlicht, dass es jemanden gibt, der für es da ist und es bei der Regulation unterstützt. Nur angepasstes Verhalten zu erwarten, greift zu kurz.
Wurzbacher: Viele Kleinkinder können noch nicht richtig in Kontakt mit anderen gelangen. Das Beißen ist ein Entwicklungsprozess und kann verschiedene Ursachen haben, wie Frustration, Überforderung oder das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit. Es ist wichtig, dass wir als Erwachsene einfühlsam darauf reagieren und dem Kind alternative Möglichkeiten aufzeigen, wie es seine Bedürfnisse auf positive Weise ausdrücken kann.
Wurzbacher: Bei ihm ist klar, dass er Angst um seine Mama hat, dass er durcheinander ist und sich manchmal auch so verhält. Er zeigt, dass ihm etwas zu viel ist. In solchen Situationen ist es gut, sich an eine Beratungsstelle zu wenden. Für die Eltern wie für Kita-Personal ist das möglich. Manche Kitas haben nicht die Ressourcen, ein Kind oder eine Familie so zu begleiten, wie es nötig wäre. Es ist oft Not an allen Ecken und Enden.
Wurzbacher: Unser Sozialsystem ist so aufgebaut, dass es ein Defizit braucht, um bestimmte Hilfeleistungen zu bekommen. Ohne Nachweis, ohne Diagnose, gibt es diese Hilfen nicht. Die Kitas sind dabei sehr kompetent und wissen, wo man sich dafür hinwenden muss. Manche Eltern zögern aber diesen Schritt so lange wie möglich heraus. Eine Diagnose ist auch ein Stigma. Doch je eher ein Kind unterstützt wird, umso besser ist es. Es gibt aber Unterstützungsformen ohne Diagnosen, zum Beispiel Erziehungsberatungsstellen, die niedrigschwellige Hilfe für Familien und auch Kitas anbieten.
Wurzbacher: Es gibt auch Mädchen, die schubsen oder beißen und so ihre Bedürfnisse nach außen zeigen. Aber Mädchen sind eher im Rückzug, wenn sie Stress haben. Hier werden die Bedürfnisse unterdrückt und man merkt bei Mädchen manchmal erst später, dass es ihnen nicht gut geht. Es lohnt sich daher, öfter einmal auf die stilleren Kinder zu schauen.
Wo man Hilfe bekommt
Ostpreußenstraße 14, 97078 Würzburg, Tel. (09 31) 2 05 50 66 41,
erziehungsberatung@stadt.wuerzburg.de