Nichts sei konkreter, nichts wirklicher als eine Linie, eine Farbe, eine Fläche. Der niederländische Künstler und Kunsttheoretiker Theo van Doesburg schrieb diesen Satz 1930. Er ist Teil eines Manifests, in dem er programmatisch zusammenfasste, was Konkrete Kunst ausmacht. „Sind auf einer Leinwand eine Frau, ein Baum oder eine Kuh etwa konkrete Elemente?“, fragte van Doesburg – und lieferte gleich die Antwort: „Nein. Eine Frau, ein Baum, eine Kuh sind konkret in der Natur, aber in der Malerei sind sie abstrakt, illusorisch, vage, spekulativ; eine Fläche hingegen ist eine Fläche, eine Linie eine Linie, mehr nicht und nicht weniger.“
Bereits sechs Jahre zuvor hatte van Doesburg den Begriff Konkrete Kunst geprägt. Erstmals soll Hans Arp nach dem Ersten Weltkrieg um 1918 von der Konkretion innerer Gedanken gesprochen haben. Nicht die Natur sollte abstrahiert, sondern mit mathematisch-geometrischen Konstruktionen universelle Kunst geschaffen werden – etwas, das für sich selbst steht. Gefühle, Dramatik, Symbolik, Impressionistisches – all das lehnten die Konkreten ab. Die subjektive Handschrift eines Künstlers sollte nicht mehr erkennbar, mathematische Logik bestimmend sein. Teilweise war sogar die Diagonale als Gestaltungselement verpönt. Ebenso organisch-runde Formen, die an die Natur erinnern.
Selten wurden über eine Kunstrichtung mehr Selbsterläuterungen und fixierte Gesetzmäßigkeiten geäußert, selten wurde mehr Konsequenz in der Ausführung gefordert. Dennoch gab es Unterschiede bei den einzelnen konstruktiv-konkreten Gruppierungen. Die Gemeinsamkeit lag darin, dass die Ideen der Konkreten Kunst einen völligen Bruch zu bisherigen Kunstnormen und Kunsttraditionen darstellten.
Wissenschaftliche Erkenntnisse und technischer Fortschritt veränderten die Welt und damit Architektur und Kunst. Geradezu Revolutionäres kam von den Konstruktivisten aus Russland, wie „Das Schwarze Quadrat“ von Kasimir Malewitsch, das 1915 erstmals in Moskau ausgestellt wurde. Malewitsch sprach damals von seinem „verzweifelten Versuch“, die Kunst vom Gewicht der Dinge zu befreien. Sein schwarzes Quadrat auf weißem Grund sei kein leeres Quadrat, „vielmehr die Empfindung der Gegenstandslosigkeit“.
In dieser Zeit taten sich in den Niederlanden unter anderen van Doesburg, Piet Mondrian und Georges Vantongerloo zusammen und nannten ihre Gruppe „De Stijl“. Sie setzte, wie die 1919 in Weimar entstandene Hochschule für Gestaltung, aus der später in Dessau das Bauhaus entstand, auf Funktionalität ohne ästhetischen Ballast. Konstruktive wie konkrete Ideen fielen in der Schweiz auf fruchtbaren Boden. In den 1930er Jahren entstand die wegweisende „Zürcher Schule der Konkreten“ um Max Bill, Richard Paul Lohse, Verena Lowensberg und Camille Graeser. 1944 wurde Konkrete Kunst in Basel erstmals unter ihrem Namen ausgestellt. Auch das Bauhaus war vertreten, mit Paul Klee und Wassily Kandinsky. Bill gehört neben van Doesburg zu den meistzitierten Vertretern der Konkreten Kunst. 1936 veröffentlichte er einen Beitrag in konsequenter Kleinschreibung mit dem Titel „konkrete kunst“. Sie sei „der ausdruck des menschlichen geistes“, schrieb er, „die gestaltung von optisch wahrnehmbarem“. Als Gestaltungsmittel nannte Bill Farben, Raum, Licht und Bewegung. „vorher nur in der vorstellung bestehende abstrakte ideen werden in konkreter form sichtbar gemacht.“ Wie diese Vorstellungen aussehen, ist in der Jubiläumsausstellung zum zehnjährigen Bestehen des Würzburger Museums im Kulturspeicher am Beispiel Camille Graeser zu sehen. „Vom Entwurf zum Bild“ heißt sie und zeigt nach Angaben von Museumsdirektorin Dr. Marlene Lauter den künstlerischen Weg Graesers anhand von Ideenskizzen und Entwürfen, die 42 fertigen Gemälden gegenübergestellt werden.
Dienstag 13 – 18, Mittwoch 11 – 18, Donnerstag 11 – 19, Freitag, Samstag, Sonntag 11 –18 Uhr.