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Würzburg
Klimaschutz ist ein Menschenrecht: Das sagt eine Würzburger Fachanwältin zum Urteil aus Straßburg
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat eine Grundsatzentscheidung zum Klimaschutz gefällt. Was das für Würzburg und die Region bedeuten kann.
Klimaschutz und Menschenrecht: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat ein Urteil mit Signalwirkung gefällt.
Foto: Ivana Biscan | Klimaschutz und Menschenrecht: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat ein Urteil mit Signalwirkung gefällt.
Katja Glatzer
 |  aktualisiert: 15.07.2024 20:48 Uhr

Klimaschutz ist ein Menschenrecht. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vergangene Woche entschieden und damit eine Grundsatzentscheidung gefällt. Geklagt hatten sowohl mehrere Jugendliche aus Portugal als auch Seniorinnen aus der Schweiz und ein französischer Bürgermeister.

Die Verbandsklage gegen die Schweiz hatte Erfolg: Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrecht können Vereine im Namen von Menschen, die vom Klimawandel betroffen sind, einen besseren Klimaschutz einklagen.

Würzburger Anwältin vertrat eine Klage zum Klimaschutz vor dem Bundesverfassungsgericht

Dr. Franziska Heß, Fachanwältin für Verwaltungsrecht aus der Würzburger Anwaltskanzlei Baumann, vertrat im Jahr 2021 selbst eine Klage zum Klimaschutz vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Das Urteil war eine Sensation. Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die Bundesregierung das Klimaschutzgesetz nachbessern muss, um die Freiheitsrechte jüngerer Generationen zu schützen.

Franziska Heß spricht im Interview über die Bedeutung des europäischen Urteils und über mögliche Auswirkungen auf Deutschland und Unterfranken.

Frage: Nun ist Klimaschutz in Europa offiziell ein Menschenrecht. Was sagen Sie dazu?

Franziska Heß: Wir haben uns sehr gefreut über diese Entscheidung aus Straßburg, die ja ein Stück weit aufbaut und anknüpft an das, was das Bundesverfassungsgericht zu Deutschland im Jahr 2021 schon entschieden hat. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Notwendigkeit, dass Klimaschutz schnell betrieben werden muss, damit wir das 1,5 Grad-Ziel erreichen und den globalen Temperaturanstieg entsprechend begrenzen können, bestätigt. Er leitet aus der Europäischen Menschenrechtskonvention eine staatliche Pflicht zum effektiven Klimaschutz her. In meinen Augen ist das eine ganz großartige Entscheidung.

Für das Urteil bedient sich der Gerichtshof dem Recht auf Privat- und Familienleben in Artikel 8 der Menschenrechtskonvention und interpretiert ein Recht auf Schutz vor nachteiligen Folgen des Klimawandels. Hätten Sie dies ähnlich begründet?

Heß: Ja, natürlich. Man muss im Auge haben, dass der EGMR darüber entscheidet, wie die Mitgliedsstaaten die Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention einzuhalten haben. Es stechen genau zwei Artikel ins Auge, wenn es um das Thema Klimaschutz und die Folgen geht. Das ist einmal der Artikel 2 für das Recht auf Leben und der Artikel 8 für das Recht auf Privat- und Familienleben. Letzterer erscheint erstmal merkwürdig in diesem Zusammenhang, die Zuordnung ist aber ein Stück weit historisch zu erklären: Bisher wurden alle Umweltfälle - beispielsweise mehrere Entscheidungen zu Lärmbelastungen durch Flughäfen - vom Gerichtshof in Artikel 8 verortet.

Rechtsanwältin Franziska Heß von der Würzburger Kanzlei Baumann. Sie vertrat 2021 den Bund für Umwelt und Naturschutz bei einer Klage gegen die Bundesregierung.
Foto: Rudolf Griner | Rechtsanwältin Franziska Heß von der Würzburger Kanzlei Baumann. Sie vertrat 2021 den Bund für Umwelt und Naturschutz bei einer Klage gegen die Bundesregierung.
Haben Sie und Ihre Kanzlei die Entscheidung aus Straßburg so erwartet?

Heß: Wir haben alle schon seit Wochen auf das Urteil gewartet und mitgefiebert. Wir waren nicht sicher, aber natürlich haben wir gehofft, dass es so ausgeht. Der Weg, den der Gerichtshof gewählt hat, ist durchaus ungewöhnlich. Denn nicht die Einzelbeschwerden wurden als zulässig erachtet, sondern nur die Beschwerde durch den Verband der Klimaseniorinnen. Damit hat der EMGR erstmals anerkannt, dass Verbände im Namen von Betroffenen für mehr Klimaschutz klagen können.

Ist das Urteil jetzt ein Präzedenzfall für alle zukünftigen Klimaklagen in der EU? 

Heß: Formal betrachtet bindet das Urteil erstmal nur die Schweiz, weil nur diese beklagte Partei war, aber jedes Urteil reiht sich ein in die Auslegungsmaßgaben, die ein Gericht zu einer bestimmten Bestimmung entwickelt. Und in dem Fall hat der EGMR den Artikel 8 der Menschenrechtskonvention mit Leben gefüllt, auch in Bezug auf den Klimaschutz. Diese Auslegungsvorgabe ist natürlich auch für alle anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Menschenrechtskonvention maßgeblich. Insofern ist dieses Urteil auch für Deutschland von Bedeutung.

So eine Entscheidung klingt erstmal recht abstrakt: Was bedeutet das Urteil denn konkret für die Politik in Europa? 

Heß: Der EGMR hat klargestellt: Es gibt eine Pflicht zum Klimaschutz aus Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Konkret heißt dies, dass die Mitgliedsstaaten Ziele für die Klimaneutralität setzen müssen. Sie müssen Zwischenziele und Reduktionspfade für Treibhausgasemissionen formulieren und diese auch einhalten oder zumindest 'auf dem Weg sein'. Für die Bürgerinnen und Bürger hat der Gerichtshof bestimmte Verfahrensrechte gefordert: So müssen die Maßnahmen, die für den Klimaschutz getroffen werden, transparent sein, die Öffentlichkeit muss sich beteiligen können. Straßburg hat aber auch die Pflicht der Mitgliedstaaten zur Klimaanpassung betont. Das ist der vorsorgende Umgang mit Folgen des Klimawandels, die nicht mehr abzuwenden sind. Es geht darum, Risiken zu vermeiden oder beispielsweise Schäden durch Extremwettereignisse durch Anpassungen zu minimieren.   

Was könnte das Urteil speziell für die Menschen in Würzburg und in Unterfranken bedeuten?

Heß: Eine Menge Dinge können auch hier ankommen. Klimaschutz und Klimaanpassung finden gerade auf kommunaler Ebene statt, denn hier werden die Weichen für die örtliche Daseinsvorsorge gestellt. Hier bauen wir die Regenrückhaltebecken, kümmern uns um klimaneutrale Energieversorgung und vieles mehr. Die Stadt Würzburg gehört zu den Vorreiterkommunen in Deutschland und hat schon recht früh angefangen, eigene Klimaschutzkonzepte und Anpassungskonzepte zu entwickeln und anzuwenden. Das ist gut, dennoch kommt viel auf die Städte und Kommunen zu: Im Grunde muss die gesamte Wirtschaft und unser gesamtes Leben hin zur Klimaneutralität neu transformiert werden, wir müssen uns vorbereiten auf Hitzesommer und Starkregen. Alle Bereiche des Lebens müssen neu gedacht werden - von Mobilität bis Energie. Es ist eine große Aufgabe und mir ist es ganz wichtig, dass wir nicht immer nur negativ diskutieren, sondern auch mal überlegen: Was birgt das für Chancen? Chancen für die Gesundheit, Mobilität, Umwelt, für unseren Planeten, für die Wirtschaft und auch für unser Zusammenleben. Wenn wir eine positive Diskussion über Chancen und Möglichkeiten führen, werden wir alle davon profitieren.

Meinen Sie, dass sich Klagen wegen Verstoßes gegen das Menschenrecht auf Klimaschutz in Deutschland nun häufen werden?

Heß: Ich glaube nicht, dass es eine drastische Häufung geben wird, denn das Menschenrecht auf Klimaschutz ist ja in ähnlicher Form schon bei unserer erfolgreichen Klage 2021 ausgesprochen worden. Wir arbeiten derzeit an verschiedenen Projekten, wie man dem Klimaschutz weiter Geltung verschaffen kann und sind auch im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, die an der EMGR- Entscheidung beteiligt waren. Wir dürfen beim Klimaschutz aber auf keinen Fall die Frage des Artenschutzes und der Biodiversität vergessen. Auch da haben wir planetare Belastungsgrenzen, die in Teilen auch schon überschritten sind. Da ist großer Handlungsbedarf.

 
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