Ein Urteil des Amtsgerichts Kulmbach sorgt für Aufregung bei Jugendverbänden: Die Richterin sprach in einem Prozess um eine ertrunkene Achtjährige eine Jugendleiterin des örtlichen Turnvereins der fahrlässigen Tötung schuldig. Der ebenfalls angeklagte Bademeister wurde freigesprochen, was die Eltern nicht hinnehmen wollen. Sie haben Berufung eingelegt.
Es reiche nicht, so die Richterin, sich als Jugendleiter von den Eltern bestätigen zu lassen, dass das Kind schwimmen könne. Auch das Seepferdchen genüge nicht. Die Jugendleiterin hätte die Kinder vorschwimmen lassen müssen. Ob das in der Praxis immer machbar ist, fragen sich nun auch Verantwortliche in der Jugendarbeit in Unterfranken.
Die achtjährige Vanessa war im Juli 2014 im Freibad in Himmelkron (Landkreis Kulmbach) ertrunken. Das Kind, das mit dem Seepferdchen keine ausreichende Schwimmfähigkeit besaß, war von der Jugendleiterin unbemerkt ins tiefe Becken gegangen. Erst als das Mädchen leblos im Wasser trieb, wurde die Leiterin aufmerksam, sprang ins Wasser und holte das Kind heraus. Gemeinsam mit dem Bademeister versuchte sie das Kind zu reanimieren. Es starb wenige Tage später im Krankenhaus.
Seepferdchen reicht nicht
Schwimmfähigkeit ist ein Begriff, bei dem die Meinungen auseinandergehen. Viele Eltern glauben, dass das Seepferdchen schon ausreicht, um bei der Frage „Kann Ihr Kind schwimmen?“ das „Ja“ anzukreuzen. Der Landesverband Bayern der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) definiert den Begriff indes sehr deutlich. „Als sicherer Schwimmer gilt, wer mindestens das Schwimmabzeichen der Stufe Bronze nachweisen kann“, erklärt Presssprecher Alexander Fendt gegenüber dieser Redaktion. Das bedeutet, das Kind beherrscht die Baderegeln, kann vom Beckenrand ins Wasser springen und mindestens 200 Meter in höchstens 7 Minuten schwimmen.
Die Regelung über die Mindestanforderung wurde von der Kultusministerkonferenz und der DLRG gemeinsam festgelegt. „Wir empfehlen allen Kindern, die entsprechenden Schwimmabzeichen abzulegen, da diese ja Nachweis der schwimmerischen Fähigkeiten sind“, so Fendt. Wer kein Abzeichen abgelegt habe, müsse entsprechend im Vorschwimmen zeigen, dass er diese Fähigkeiten besitze.
Aufsichtspflicht im Fokus
Dass dieses Vorgehen bei Kinder- und Jugendfreizeiten zwar nicht üblich – aber durchaus möglich sei, meint der stellvertretende Geschäftsführer des Bezirksjugendrings Unterfranken, Lambert Zumbrägel auf Anfrage dieser Redaktion. Das Thema Aufsichtspflicht rücke mit dem Urteil aus Oberfranken nun verstärkt in den Fokus all jener, die in der Kinder- und Jugendarbeit tätig seien.
„Natürlich macht man sich angesichts eines solchen Falles Gedanken. Bei den nächsten Jugendleiter-Schulungen wird das Thema sein“, so Zumbrägel. Jugendleiter, die mit Kindern und Jugendlichen Schwimm- und Freizeitbäder besuchen, müssen das Rettungsschwimmabzeichen in Silber haben und tragen bei Badeausflügen eine besonders hohe Verantwortung. Die sei ihnen durchaus bewusst, so Zumbrägel.
Rettungsschwimmabzeichen Pflicht
Für Klaus Rostek, Leiter Familienarbeit mit den Servicestellen Ehrenamt und Sport im Landratsamt Würzburg und seit 30 Jahren in der Jugendarbeit aktiv, ist die Empfehlung der DLRG, dass beim Baden in verschiedenen Becken auch mehrere Betreuer mit Rettungsschwimmabzeichen vor Ort sein müssten, indes nicht realistisch. „Es wird ja immer schwieriger, Jugendleiter zu finden, die über das Rettungsschwimmabzeichen verfügen. Bisher gilt die Regelung, dass mindestens einer der Betreuer diesen Einsatz leisten kann.“ Grundsätzlich müssen Jugendleiter einen Erste-Hilfe-Kurs absolvieren.
Für Rostek ist der Fall in Kulmbach einmal mehr eine Bestätigung dafür, wie wichtig Schwimmprojekte und die Arbeit von Ehrenamtlichen in diesem Bereich ist. Kinder, die nicht schwimmen können, sind in hohem Maße gefährdet. Schulen allein können das Problem nicht lösen. Eltern sind genauso in der Verantwortung, wenn es darum geht, Kindern das Schwimmen beizubringen.
Doch Schwimmbäder sind mehr und mehr Mangelware in den Kommunen, werden reihenweise geschlossen. Aktuell beklagt der unterfränkische SPD-Landtagsabgeordnete Georg Rosenthal die Schließung dreier Bäder, sechs weitere stünden kurz vor dem Aus. Von 113 öffentlichen Schwimmbädern in Unterfranken sind 56 sanierungsbedürftig. Für Rosenthal ist die Schwimmunfähigkeit vieler Kinder die direkte Folge des Schwimmbadsterbens: „Fällt das örtliche Schwimmbad weg, so ist damit auch der wertvolle Schwimmunterricht gestorben.“
Eine Schwimmbadförderung sei wichtig, um Kindern Spaß und Schwimmsicherheit zu geben. „Das rettet Leben.“ Die SPD fordert nun einen staatlichen Sonderfond, der in Härtefällen sogar bis zu 100 Prozent der Sanierungskosten übernehmen soll.
Die Freibadsaison und die Ferien stehen vor der Tür, viele Ferienfreizeiten finden statt, oft auch mit Programm auf oder am Wasser. Das Abgeben der Aufsichtspflicht an Betreuer, da sind sich die unterfränkischen Jugendarbeiter einig, sollte aus Elternsicht nicht leichtfertig geschehen – Panik und Misstrauen indes seien jetzt genauso wenig angebracht. „Dann wären Jugendarbeit und Ferienfreizeiten ja auch gar nicht mehr machbar.“
Schwere Unfälle sehr selten
Aufsichtpflicht ist in den unterfränkischen Jugendverbänden, in denen oft schon 16-Jährige als Jugendleiter die Verantwortung für eine ganze Gruppe übernehmen, von Haus aus ein großes Thema. „Glücklicherweise passieren nur selten schwere Unfälle, Todesfälle ganz selten – und eine Verurteilung durch ein Gericht noch seltener“, sagt Lambert Zumbrägel vom Bezirksjugendring. Dennoch: „Man muss die Punkte, die zur Aufsichtspflicht gehören, in Schulungen immer wieder durchdeklinieren.“
Im Vorfeld eines Ausflugs müsse man sich klarmachen, wer die Aufsichtspflicht hat, ob weitere Betreuer notwendig sind – und welche Regeln aufgestellt werden müssen, damit die Sicherheit gewährleistet ist. „Unsere Betreuer gehen bei Ausflügen ins Schwimmbad grundsätzlich erst einmal zum Bademeister und klären ab, ob er sie bei der Aufsicht unterstützen kann.“ Danach entscheide sich, was möglich ist und was nicht.
Keine Diskussionen am Beckenrand
Dass immer weniger Kinder schwimmen können, ist Fakt. Ein Drittel der Grundschüler, so die DLRG, verlasse die Grundschule als unsichere Schwimmer. „Wenn ich beim Schwimmen sehe, dass sich ein Kind kaum über Wasser halten kann, hole ich es sofort aus dem Becken. In so einem Fall muss klar sein, dass dieses Kind nicht mehr ins Wasser darf“, so Zumbrägel. Da dürfe es keine Diskussion und keine Kompromisse geben.
„Die Eltern werden informiert und aufgefordert, ihr Kind abzuholen. Nicht in ein oder zwei Stunden, sondern sofort, denn die von den Eltern übertragene Aufsichtspflicht kann ab sofort nicht mehr gewährleistet werden.“
Aufsichtspflicht, so Zumbrägel, bedeute nämlich nicht, dass man ein Kind ständig an der Hand halten müsse. Entscheidend sei, die Kinder im Auge zu haben, Gefahren zu erkennen und richtig einzuschätzen – und darauf zu achten, dass alle Regeln eingehalten werden. Bei Missachtung sollten sofort die vorher besprochenen Konsequenzen gezogen werden.
„Wenn man als Gruppenleiter die Kinder gut kennt, ist das alles viel entspannter. Schwieriger wird es bei Ferienausflügen, bei denen völlig unterschiedliche Kinder zusammenkommen, deren Fähigkeiten man nicht kennt und dadurch erst einmal nicht richtig einschätzen kann“, so der Bezirksjugendring-Experte.
Urteil noch nicht rechtskräftig
Das Urteil aus Kulmbach ist noch nicht rechtskräftig, das Gericht hat die Urteilsgründe noch nicht schriftlich hinterlegt. Fünf Wochen hat es dafür Zeit. Wie der zuständige Presssprecher und Richter am Amtsgerichts Kulmbach, Stefan Grawe, auf Anfrage dieser Redaktion bestätigt, haben die Eltern von Vanessa gegen den Freispruch des Bademeisters Rechtsmittel eingelegt. Der Fall geht nun in die nächst höhere Instanz, zuständig ist das Landgericht Bayreuth. Die Richterin, so Grawe, habe bei ihrem Urteil durchaus andere Fälle hinzugezogen, so habe es im Landkreis Hof vor zwei Jahren einen ähnlichen Fall mit einem achtjährigen Jungen gegeben.
Damals war eine 28-jährige Kinderpflegerin allein mit sieben Kindern einer Ganztagsklasse im Freibad unterwegs. Der Achtjährige war nur wenige Meter von ihr entfernt unbemerkt auf den Boden des Beckens abgesunken. Erst nach gemeinsamer Suche wurde der Junge gefunden. Auch dieses Kind starb wenige Tage später im Krankenhaus, die Betreuerin wurde vom Schöffengericht Hof ebenfalls wegen fahrlässiger Tötung verurteilt.
Risiko Schulschwimmen
Auch beim Schulschwimmen kommt es immer wieder zu lebensgefährlichen Situationen. So war im Sommer 2014 ein siebenjähriges Mädchen im Hallenbad in Mellrichstadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) im Schwimmunterricht plötzlich am Beckenboden entdeckt worden und musste mit dem Rettungshubschrauber in die Uniklinik nach Würzburg geflogen werden. Zuvor, im Oktober, war ein achtjähriger Bub beim Schulschwimmen in Kleinostheim (Lkr. Aschaffenburg) fast ertrunken, er erlitt schwere Hirnverletzungen. Die Kripo in Aschaffenburg ermittelte gegen die beiden Lehrkräfte wegen des Verdachts der schweren Körperverletzung.
Gefahren erkennen und einschätzen
„Es ist kein Wunder, dass immer weniger Lehrer und Lehrerinnen bereit sind, etwas mit den Kindern zu unternehmen. Das Risiko für Unfälle belangt zu werden ist hoch, im Schulbereich noch höher als bei uns in der Jugendarbeit“, sagt Lambert Zumbrägel. Risiken bestünden ja nicht nur beim Schwimmen, sondern allgemein bei Aktionen. Risiken erkennen und ständig neu einzuschätzen, gehöre zum Job.
Der Schlüssel für eine optimale Betreuung liege bei 1:8. „Doch ein Betreuer für acht Kinder, ist in vielen Bereichen auch eine finanzielle Frage.“ Prinzipiell gelte vor größeren Ausflügen, immer vorher auch Eltern zu fragen, ob sie als Betreuer mitkommen könnten.
Aber jede Situation ist anders. Deswegen sollten meiner Meinung nach keine neuen allgemeinen Vorschriften erlassen werden, davon gibt's sicherlich schon genug, sondern der Einzelfall geprüft werden.
Nach so einem Urteil würde ich mir aber zweimal überlegen, ob ich bei so einer Veranstaltung als Eltern-Betreuer mitgehen würde, wie im letzten Absatz vorgeschlagen. Sollte doch was passieren, werde ich auch noch verantwortlich gemacht, weil ich vielleicht kein Rettungsschwimmerabzeichen und keine pädagogische Ausbildung habe und kein Rechtsanwalt bin, der das Strafgesetzbuch Abschnitt Kinderschwimmen interpretieren und praktisch umsetzen kann.
Es ist unverantwortlich ein 8 jährliches Kind, das nicht schwimmen kann in eine Schwimm-Gruppe oder Schwimm-Veranstaltung ohne Elternaufsicht zu geben.
In Amerika muss bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahre eine erwachsene Begleitperson im Wasser dabei sein. War schon blöd, da meine Kinder Mitglied der Wasserwacht waren und man am Schwimmstill die guten Fähigkeiten erkennen konnte. Da gab es aber keine Diskussion mit der Badeaufsicht.
Naja, DAS darf ja wohl kein Kriterium für's Schwimmenkönnen sein.
Ich brauche selbst zwar vermutlich 10 Minuten für 100 m, habe aber als Kind den "Schwarzen Totenkopf" gehabt, dh ich konnte mich 1 Stunde lang über Wasser halten...
Ansonsten weitgehende Zustimmung. In der Schule hat noch kaum jemand Schwimmen gelernt. Ich - und auch später dann meine Kinder - sind beim Bademeister zum offiziellen Schwimmkurs angetrabt. Gibt's sowas eigentlich überhaupt noch?