zurück
Risiko Schulschwimmen
Würzburg Der Schock sitzt bei Lehrern wie Eltern noch immer tief. Seit am 20. Juni im Würzburger Hallenbad Sandermare ein Erstklässler im Schwimmunterricht vom Bademeister reanimiert werden musste, schrillen nicht nur an den Schulen, sondern auch bei den zuständigen Behörden die Alarmglocken.
Erste Hilfe nach einem Badeunfall:       -  Erste Hilfe nach einem Badeunfall:
hier üben Helfer von DRK und
DLRG den Ernstfall.
Foto: FOTO BOPP | Erste Hilfe nach einem Badeunfall: hier üben Helfer von DRK und DLRG den Ernstfall.
Von unserem Redaktionsmitglied Melanie Jäger
 |  aktualisiert: 16.12.2020 13:49 Uhr
Der Siebenjährige verdankt sein Leben einer 15-jährigen Schülerin, die den Buben zufällig bemerkte. Und dem Bademeister, der zufällig anwesend war. Zufällig, weil beim Schwimmunterricht von Schulen ausschließlich der Lehrer oder die Lehrerin die Verantwortung für die Sicherheit der Schüler tragen.

"Sobald eine Bahn oder das ganze Schwimmbecken von einer Schule für Unterricht oder Veranstaltungen gemietet wird, obliegt die Verantwortung definitiv nicht mehr dem Bademeister", erklärt Wolfgang Lutz, stellvertretender Abteilungsleiter Bäder bei der Stadtbau - der Betreiberin von Sandermare, Nautiland und Dallenbergbad.

"Natürlich ist der Schwimmmeister im Notfall zur ersten Hilfe verpflichtet - aber seine Anwesenheit ist eben auch nicht Pflicht." So sei es purer Zufall gewesen, dass der Bademeister im Sandermare zur Stelle war, um das Kind wieder zu beleben.

Nicht der erste Fall

Es ist nicht der erste Fall, der Politiker und Amtsleiter in Bayern zum Nachdenken bringt. So ist bei einem Schwimmunfall in der Grundschule in Ehingen an der Donau im Oktober 2005 ein Junge ums Leben gekommen. Der Bildungsausschuss des Kultusministeriums beschloss auf einen Dringlichkeitsantrag der Grünen hin, einen Bericht zur Sicherheit beim Schwimmunterricht an Schulen vorzulegen.

Wie Grünen-Landtagsabgeordnete Simone Tolle auf Anfrage erklärt, habe man festgestellt, dass jene Unfälle in Bayern im Zeitraum von 2000 bis 2004 stark rückläufig gewesen seien. Dennoch ist Tolle beim Thema Sicherheit skeptisch. "Ein Lehrer, der Schwimmunterricht gibt, steht mit einem Bein im Gefängnis. Ich würde diese Verantwortung nicht auf mich laden". Kein Lehrer könne zum Schwimmunterricht gezwungen werden.

Auch die Regierung von Unterfranken lässt der Schwimmunfall im Sandermare nicht kalt. Pressesprecher Franz Portscher bestätigt, dass vor wenigen Tagen ein Schreiben an die Schulleiter der unterfränkischen Volks- und Förderschulen herausgegangen ist. Demnach ist Baden in offenen Gewässern im Rahmen von Wandertagen nicht erlaubt. Bei Vergnügungen in Schwimmbädern obliegt die Verantwortung künftig der Schulleitung. Sie hat für den Einsatz von Lehrkräften zu sorgen, die über eine "ausreichende Rettungsfähigkeit" verfügen.

Was genau damit gemeint ist, fragen sich jetzt zahlreiche verunsicherte Lehrer und Lehrerinnen, die nicht zur Riege der speziell ausgebildeten Schwimmlehrer mit Rettungsschein gehören. Eine klare Definition hat auch Portscher nicht parat. "Die Schulleitung muss darauf achten, dass Lehrer dabei sind, die körperlich zu einer Rettung fähig sind." Dass diese Definition schwammig ist, meint auch Sportlehrer Hermann Brand von der Maria-Stern-Schule in Würzburg. Er gibt nicht nur seit 25 Jahren Schwimmunterricht - er bildet auch Kollegen für den Schwimmunterricht an Schulen aus. Grundschullehrer müssen für die in Bayern nötige Qualifikation entsprechend des Rettungsscheins in Bronze fünf Nachmittage intensives Training absolvieren, Hauptschullehrer elf Nachmittage.

"Beim Schwimmunterricht steht der Lehrer mit einem Bein im Gefängnis"

Simone Tolle Grünen-Landtagsabgeordnete

"Da erreichen manche Kollegen und Kolleginnen die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit", weiß Brand. Streckentauchen, Gegenstände vom Boden hochholen, Abschleppen - was für viele noch im Studium ein Leichtes war, kann für einen 50-Jährigen schon fast zum Ding der Unmöglichkeit werden.

Dabei hat der einmal absolvierte Schein die ganze Amtszeit hindurch Gültigkeit. "Leider", bedauert Hermann Brand. "Frevel!", sagt gar Wolfgang Lurz von der Bäder-Abteilung in Würzburg. Wer dort Becken-Aufsicht machen will, muss mindestens über den Rettungsschein in Silber verfügen und: sein Schein darf nicht älter als zwei Jahre sein. "Wir wollen auf Nummer sicher gehen!"

Dass es mit der Nummer sicher im Schwimmunterricht an Schulen nicht immer zum Besten steht, bestätigen Lehrerinnen und Lehrer. "Das ist Stress pur! Und wenn man Pech hat, hat man ein Disziplinarverfahren am Hals", sagt eine Sportlehrerin. Andere Pädagogen indes haben das Glück, zu zweit losziehen zu können, oder werden von Studentinnen unterstützt.

Hermann Brand bestätigt den Stress, der beim Schwimmen mit großen Klassen entsteht. Zwei Schüler hat er in seiner Amtszeit wieder beleben müssen. "Da gibt es immer wieder kritische Momente." Damit der Schwimmunterricht sicherer wird - organisiert Brand in seiner Funktion als Fachberater für Schulsport im Staatlichen Schulamt Würzburg zusammen mit der Wasserwacht einen Sicherheitstag im Oktober. "Dort können die Kollegen sich auf den neusten Stand bringen."

Super, wenn es so gut       -  Super, wenn es so gut klappt: Schwimmwettkämpfe sind für viele Kinder ein echtes Highlight. Doch die Sicherheit
im Schwimmunterricht an Grundschulen beschäftigt nach einem Unfall in Würzburg Eltern, Lehrer und Behörden
in Unterfranken.
Foto: FOTO OBERMEIER | Super, wenn es so gut klappt: Schwimmwettkämpfe sind für viele Kinder ein echtes Highlight. Doch die Sicherheit im Schwimmunterricht an Grundschulen beschäftigt nach einem Unfall in Würzburg Eltern, Lehrer und ...
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen