Zwei Gemeinden, ein gravierender Unterschied: In Willmars im Landkreis Rhön-Grabfeld holte die AfD bei der Landtagswahl am 8. Oktober mit 28,3 Prozent ihr stärkstes Ergebnis in ganz Unterfranken. In Erlabrunn im Landkreis Würzburg erzielte die Rechtsaußen-Partei mit 6,5 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis in der Region. Woran liegt das? Eine Spurensuche.
In Erlabrunn, 1900 Einwohner, hingen keine Wahlplakate für die AfD. Das fiel Bürgermeister Thomas Benkert auf. Benkert wird von der CSU, der Freien Liste Erlabrunns, den Unabhängigen Bürgern Erlabrunns und den Grünen unterstützt. Sein Credo: "In einem Dorf wie Erlabrunn hat Parteipolitik nichts verloren. Es geht mir nur darum, was gut für Erlabrunn ist."
In Willmars, 550 Einwohner, hing ein einzelnes Wahlplakat der AfD, erinnert sich der stellvertretende Bürgermeister Jürgen Bohn. Kandidaten der Rechtsaußen-Partei hätten sich in der Rhön-Gemeinde aber nie blicken lassen.
AfD-Wahlerfolg: "Wie ein Tritt in die Beine für alle, die sich für Willmars engagieren"
Auch in Willmars gebe es keine Parteipolitik, sagt Bohn. Bürgermeister Reimund Voß habe sich für die Freien Wähler aufstellen lassen, doch der gesamte Gemeinderat bestehe aus Parteilosen. "Für alle, die sich für Willmars engagieren, ist das Wahlergebnis wie ein Tritt in die Beine!", ärgert sich Werner Palancares, Gemeinderat und Jugendbeauftragter des Ortes.
28,3 Prozent Gesamtstimmenanteil gingen in Willmars an die AfD, so viel wie in keiner anderen Gemeinde Unterfrankens. Schon bei der Landtagswahl 2018 hatte die AfD hier 15,1 Prozent geholt.
Anders in Erlabrunn: Bei der Landtagswahl 2018 erreichte die Rechtsaußen-Partei in der Gemeinde 4,5 Prozent Gesamtstimmenanteil. Jetzt sind es 6,5 Prozent. Ein Zuwachs zwar, doch das Ergebnis liegt im einstelligen Bereich.
Willmars: Auch Alteingesessene sind ratlos
Hörbar mitgenommen am Telefon ist Klaus Börner. Der Wahlhelfer stammt aus einer alt eingesessenen Familie in Willmars, hat einen Malerbetrieb und sagt: "Ich kann mir keinen Reim darauf machen. Es gibt keine Krawallmacher im Ort." Beim Weihnachtsmarkt, den er alle zwei Jahre mit viel Aufwand organisiert, würden viele mit anpacken, so Börner. Es gehe immer sehr harmonisch zu.
"Total erschreckt" ist Nicole Stiefel, die in Willmars die einzige Gastronomie, den "Heimathafen Shabbychick und Vintage mit Liebe" betreibt. Ein Treffpunkt für Jung und Alt sollte das Café mit Laden werden, als sie vor acht Jahren in das "wunderschöne Dorf" zog. Doch die Integration in die Dorfgemeinschaft sei schwer, sagt Stiefel. Immer noch kämen mehr auswärtige Touristen als Einheimische in ihren "Heimathafen".
Erlabrunn: Vereine als Bollwerk gegen Extremismus
Im "Wein- und Clematisdorf" Erlabrunn treffen sich Einheimische im Sommer am Badesee oder in den Gasthäusern und Heckenwirtschaften. Gut sei vor allem die ausgeprägte Dorfgemeinschaft und das Vereinsleben in allen Altersgruppen, heißt es in der Erlabrunner Facebook-Gruppe "Main.Wein.Sein.", die über 700 Mitglieder hat.
"Man ist weniger allein mit seiner Willensbildung. Dadurch fällt man nicht so schnell auf die Bauernfänger von äußerst rechts und äußerst links herein", sagt zum Beispiel Matthias Eckert, Jugendwart bei der Freiwilligen Feuerwehr. Falschinformationen würden schneller entlarvt.
"Ein funktionierendes Vereinsleben macht zufriedener", sagt Thomas Schmitt, Vorsitzender des Turn- und Sportvereins. Im TSV seien fast 800 der 1900 Erlabrunner organisiert. Und bei den Zeltlagern der Katholischen Jungen Gemeinde (KJG) lernten die Kids schon früh Zusammenhalt.
In den Vereinen würden politisch unterschiedliche Ansichten "stark relativiert", sagt Jürgen Faust, der Grünen-Mitglied ist und im Männergesangsverein singt. Verschiedenste Menschen lernten gemeinsam zu feiern und sich zu schätzen. Vorurteile würden abgebaut.
Viele Ältere in Willmars, wenig Junge: "Wir machen Einiges, damit dieses Dorf nicht untergeht"
Eine Fußballmannschaft bekomme man in Willmars zwar nicht zusammen, dafür organisiere man sich anders, sagt Werner Palancares. Der Zusammenhalt im Dorf sei da, davon ist Klaus Börner überzeugt. Die Feuerwehr sei sehr aktiv, die Wandergruppe des Sportvereins und die Schützen träfen sich regelmäßig.
Palancares stellt das Ferienprogramm für die Kinder auf die Beine, initiiert gerade einen "Bike-Park" für Jugendliche und dank ihm hat Willmars einen zertifizierten Wanderweg, eine "Premium-Extratour in der Rhön". Er sagt: "Wir machen Einiges, damit dieses Dorf nicht untergeht."
1961 hatte die Gemeinde 820 Einwohner. Heute sind es gerade noch 550. Die Hälfte von ihnen, sagt der stellvertretende Bürgermeister, sei älter als 60 Jahre. Umso größer sei die Freude gewesen, als sich kürzlich drei junge Familien dazu entschieden, sich in Willmars niederzulassen.
Erlabrunn liegt im Würzburger Speckgürtel, Willmars abgelegen an der Grenze
Erlabrunn dagegen wächst kontinuierlich: 1000 Einwohner waren es 1970, knapp 1900 Einwohner sind es heute. Die Verkehrsanbindung an die etwa 15 Kilometer südlich liegende Universitätsstadt Würzburg: Gut, sagen die Erlabrunner.
Willmars dagegen liegt ganz im Norden des Freistaats, im Dreiländereck Bayern-Hessen-Thüringen. Viele pendeln nach Bad Neustadt, nach Mellrichstadt, nach Ostheim, manche sogar bis zum Frankfurter Flughafen zur Arbeit, sagt Gemeinderat Palancares. Seit die Benzinpreise steigen, steige auch der Frust. Der Nahverkehr sei keine Alternative. Morgens um 7 Uhr fahre ein Bus. Und um 13 Uhr bringe ein Bus die Schulkinder zurück. Danach sei praktisch Feierabend.
Bis 1990 lag Willmars an der Grenze zur ehemaligen DDR. Jahrelang habe man in der Angst gelebt, "der Russe könne rüberkommen". Die Angst vor einem Krieg, die Unsicherheiten seien immer schon spürbar gewesen, meint Palancares. Trotz der "liebevoll restaurierten Fachwerkhäuser", der "herrlichen Landschaft" und der "guten Luft und Ruhe", wie es auf der Internetseite des Ortes heißt.
Keine Flüchtlinge in Willmars, Nachbarschaftshilfe in Erlabrunn
In Erlabrunn wohnen laut Bürgermeister Benkert 164 ausländische Bürger und Bürgerinnen, unter ihnen 32 aus der Ukraine und 24 aus Syrien. Um ihre Anliegen kümmerten sich Ehrenamtliche aus der Nachbarschaftshilfe.
In Willmars gibt es keine Flüchtlinge. Das letzte Mal sei 2015 gewesen, erinnert sich Gemeinderat Palancares: "Unsere Kinder haben mit den Flüchtlingskindern gespielt."
Zwei Monate nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine sei einer der ersten Hilfstransporte aus Unterfranken von Willmars aus in die Ukraine gefahren. Palancares ist sich sicher: "Wir haben kein Problem mit Migration."
Stinksauer sei er deshalb ob des Zuspruchs für die AfD. Frustriert versucht er das Ergebnis zu verstehen. Palancares Vater ist Spanier. Er selbst zog vor 20 Jahren von Frankfurt in die Rhön. "Willmars ist kein rechtsradikales Nest", sagt er. "Wäre es so, würde ich nicht hier wohnen und säße nicht im Gemeinderat!"
Wahl in Willmars: Ideologie, Trotzreaktion oder Protest?
Warum dann aber fast 30 Prozent der Stimmen für die AfD? Eine "Trotzreaktion", meint Jürgen Bohn. In den drei Gemeindeteilen Willmars, Filke und Völkershausen sei niemand rechts. Er kenne die Bürger und schätze sie nicht so ein. Bohn sagt, es sei darum gegangen, den Politikern mal einen Denkzettel zu verpassen: "Es muss eine Protestwahl sein, alles andere ergibt für mich keinen Sinn."
Typischerweise seien AfD-Wähler Männer im gesetzteren Alter mit geringeren Bildungsabschlüssen, sagt Dr. Thomas Leuerer, Politikwissenschaftler an der Uni Würzburg. Doch Bildung allein mache nicht immun gegen Extremismus.
Womöglich habe das Wahlverhalten überhaupt nichts mit dem Ort zu tun. "Vielleicht sind es persönliche Ängste oder Frustration. Dafür müsste man mit jedem Einzelnen der 87 AfD-Wähler in Willmars sprechen", sagt der Wissenschaftler.
Wie Ängste der AfD in die Hände spielen
Genau das macht Palancares. Während des Telefonats mit der Redaktion diskutiert er auf dem Bauhof mit Einwohnern in seiner Gemeinde, die AfD gewählt haben. Am Ende ist er überzeugt, mit der Ideologie der Rechtsaußen-Partei identifiziere sich niemand: "Die Menschen haben einfach Angst! Angst, dass sie das bisschen, was sie sich aufgebaut haben, durch die große Politik verlieren."
Die Menschen an der Grenze zu Thüringen hätten sich das Erreichte hart erarbeiten müssen. Fast 90 Prozent der Willmarser heizten mit Holz. Die wenigsten hätten das Geld für eine Wärmepumpe. Oder die Mittel, ihre alten Häuser zu isolieren.
Die Antworten, die Palancares auf dem Bauhof zu hören bekommt, lauten: "Ich habe Angst um meine Rente. Angst, dass ich mein Benzin nicht mehr bezahlen kann. Angst, dass ich meine Heizung rauswerfen muss. Angst, dass ich kein Holz mehr verheizen darf." Die AfD sei das Ventil all dieser Ängste.
Politikwissenschaftler Thomas Leuerer bestätigt: Die Rechtsaußen-Partei nähre sich von Unsicherheiten, Ängsten und Hysterie. Saturierte Würzburger Stadtviertel wie das Frauenland oder Gemeinden wie Erlabrunn im Speckgürtel der Stadt Würzburg seien deshalb weniger anfällig.
Warum auch Geldbeutel über Wahlen entscheiden
"Es wäre verlockend zu sagen, dass wir Erlabrunner einfach von einem anderen Schlag sind", sagt Jan Hußl. Erlabrunn sei eine wohlhabende Gemeinde in einem der strukturstärksten Landkreise Bayerns. Und: "Der Populismus der AfD verfängt umso mehr, wenn Inflation und Energiekrise gleich eine existenzielle Bedrohung für den Geldbeutel sind. Das ist für viele Erlabrunner zum Glück nicht so."
In Willmars, sagt Gemeinderat Palancares, hätten sich die Leute gefragt: "Wähl ich wie immer CSU oder Freie Wähler oder hau ich den Berlinern eins auf die Mütze?" Die CSU habe dafür gestanden, dass alles so weitergehe wie bisher. Das hätten viele nicht gewollt.
Der AfD-Trend sei im ganzen Landkreis Rhön-Grabfeld erkennbar, Willmars nur die Blaupause für viele weitere Gemeinden in Unterfranken. Palancares sagt: "Meine Kritik an Herrn Söder und an Herrn Aiwanger ist, dass sie es nicht geschafft haben, den kleinen Leuten auf den Dörfern ihre Ängste zu nehmen!"
Mitarbeit: Franziska Sauer
Das eine hat mit dem anderen absolut nichts zu tun. Da sie offenbar den Braunen nahestehn, mag es ihnen nicht gefallen, dass diese Truppe on Erlabrunn wenig Zuspruch fand.
ich bin Fördermitglied bei den Grünen.
Aber nichts für Ungut.
Ich bin immer wieder erschrocken, wie oft man in der Straßenbahn, im Restaurant, im Kollegen- und Freundeskreis, sogar in der eigenen Familie ungenierte Äußerungen solcher Art hören muss. Aber keiner von denen ist natürlich rechts eingestellt...
Rechtes Gedankengut ist inzwischen ganz offen in der Mitte der Bevölkerung angekommen. Und kaum einem fällt es noch auf...
Sahra, komm endlich in die Gänge!