
Mehr Kontrast ist kaum vorstellbar: Draußen das Straßenmusikfestival Stramu mit lautem Gewusel, drinnen leises Gebet beim Rosenkranz. Das in Würzburg erscheinende katholische Wochenblatt "Die Tagespost" feiert 75-jähriges Bestehen und hat zum Festgottesdienst ins Neumünster geladen. Während die Gäste eintrudeln und die letzten Lücken auf den Bänken besetzen, erklingt weiterhin ein "Ave Maria" nach dem anderen.
Dann eine dicke Wolke Weihrauch. Die Orgel braust auf, und aus dem Nebel schälen sich die Zelebranten – vier Bischöfe, von denen drei zu den prominentesten Vertretern des konservativen Flügels zählen: Rudolf Voderholzer aus Regensburg, Gegner der Frauenordination und der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare. In einem Brief 2021 hatte er den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, aufgefordert, die "Demokratisierung der Kirche" zu stoppen.
Dann: Kardinal Rainer Maria Woelki, ebenfalls Kritiker einer Erneuerung der katholischen Kirche, Gegner einer Aufhebung des Zölibats und einer Liberalisierung der Sexualmoral. Gegen den 67-jährigen Kirchenmann aus Köln wird wegen des Verdachts der falschen Versicherung an Eides statt strafrechtlich ermittelt. Dabei geht es um die Frage, wann er von Missbrauchsvorwürfen gegen den ehemaligen Sternsinger-Chef Winfried Pilz gewusst hat.
Und schließlich Erzbischof Georg Gänswein, der Charismatiker, langjähriger Sekretär von Benedikt XVI. Auch er gilt als erzkonservativ. Nach dem Tod des emeritierten Papstes war der 67-Jährige aus Rom nach Deutschland zurückgeschickt worden, wohl auch wegen des angespannten Verhältnisses zu Papst Franziskus.

In fortschrittsorientierten Kirchenkreisen nimmt man die Veranstaltung bewusst nicht zur Kenntnis. Die meisten Vertreterinnen und Vertreter wollen sich vorab nicht äußern. Edeltraud Hann, aktiv bei der Frauenbewegung Maria 2.0, ehemalige langjährige Vorsitzende des Katholischen Deutschen Frauenbunds (KDFB) in Würzburg, bringt es auf den Punkt: "Wir Frauen von Maria 2.0 Würzburg ignorieren gepflegt die Anwesenheit der konservativen Geistlichkeit in Würzburg." Hann und ihre Mitstreiterinnen wollen vielmehr am 20. September vor dem Kölner Dom an einem der Segnungsgottesdienste für gleichgeschlechtliche Paare teilnehmen, wie sie Woelki verboten hat.
Das Neumünster ist voll, die Gemeinde liturgie- beziehungsweise sangessicher, auch in den melodisch recht komplizierten, lateinisch gesungenen Bestandteilen der Messe wie "Kyrie" oder "Agnus Dei".
Die Gemeinde honoriert die Predigt mit spontanem Applaus
In seiner Predigt würdigt Woelki die Arbeit der "Tagespost", die sich über die Jahrzehnte und angesichts einer zunehmenden Säkularisierung "den Blick des Glaubens auf die Dinge" bewahrt habe. Woelki sieht die "Offenbarung" als einzige authentische Wurzel menschlicher Errungenschaften wie Würde oder Hilfsbereitschaft.
Die "neuzeitliche Kultur" behaupte nur, auf diesen Werten zu beruhen. "In Wahrheit sind diese Werte an eine Offenbarung gebunden", sagt er in Ablehnung einer "allgemeinen Vernunftordnung". Deshalb auch sollten Christen "hellhörig" denen gegenüber sein, die sich "nicht zu Gott bekennen" wollen. Eher ungewöhnlich: Die Gemeinde honoriert die Predigt mit spontanem Applaus.
Bischof Franz Jung mahnt zu "scholastischer Nüchternheit"
Deutlich weltlicher dagegen das verlesene Grußwort des Würzburger Bischofs Franz Jung, der, so die Ansage, Verpflichtungen außerhalb der Diözese habe. Jung diagnostiziert bei Kirche wie Medien gleichermaßen einen "Verlust von Bindungskraft". Dies mache Profilierung nötig, berge aber auch die Gefahr der Polarisierung. Wo Woelki von "Evangelisierung" spricht, fordert Jung, sich an der "Tugend scholastischer Nüchternheit" zu orientieren: "Sich darin zu üben bedeutet, Positionen und Gegenpositionen ausgewogen darzustellen und die vorgebrachten Argumente sachlich abzuwägen." Wo Woelki lobt, die "Tagespost" stelle Gott in den Mittelpunkt ihres Wirkens, zitiert Jung Papst Franziskus und dessen Forderung, man müsse bereit sein, "Konflikte zu erleiden".

Anschließend geht es zum Festakt hinüber ins Tagungszentrum CCW. Im Foyer signiert Gänswein sein Buch "Die ganze Wahrheit". Schnell bildet sich eine Schlange aus mehrheitlich Leserinnen. Ein Leser hält sein Buch hin. "Sie sind aus Ansbach? Das ist evangelisch, macht aber nichts", sagt Gänswein, grinst und signiert. Eine Leserin weist auf den freien Bischofsstuhl in ihrer Heimatstadt Bamberg hin. "Ich weiß", kommentiert Gänswein, der immer wieder auf spekulativen Kandidatenlisten auftaucht. "Es würde uns sehr freuen, wenn Sie unser Erzbischof würden", sagt die Frau. Gänswein trocken: "Andere weniger."
Woelki, Gänswein und Voderholzer werden im CCW bejubelt wie Popstars
Zur Begrüßung im Franconia-Saal des CCW werden Woelki, Gänswein und Voderholzer bejubelt wie Popstars. Erster Programmpunkt ist ein Podiumsgespräch. Thema: "Frau in der Kirche". "Das langweiligste Thema, das es gibt", sagt Moderatorin Sophia Kuby und erntet Applaus. Frauen, die meinten, sie seien in der Kirche nicht anerkannt, solange sie nicht Priester werden könnten, reduzierten das Priesteramt auf eine Machtposition. "Das ist mir theologisch zu flach", so Kuby.

Kuby ist Gründerin der Nichtregierungsorganisation European Dignity Watch, die sich gegen Abtreibung richtet, und arbeitet heute für die rechtsgerichtete christliche US-Organisation Alliance Defending Freedom International. Hier, auf dem Podium, solle es nun nicht darum gehen, "sich als Opfer zu stilisieren, sondern drei beeindruckende Frauen vorzustellen", so die Moderatorin.
Von existenziellen Krisen spricht der ukrainische Bischof der Diözese Odessa
Es sprechen: Milena Marton, Mutter von fünf Kindern – großer Applaus im Saal –, Schwester Anna Mirjiam Kaschner, Generalsekretärin der Nordischen Bischofskonferenz und Kritikerin des deutschen Reformprozesses Synodaler Weg, sowie Simone Weinmann-Mang, Leiterin eines Familienunternehmens. Reformbedarf in Fragen der Gleichberechtigung in der Kirche sehen die Frauen nicht. "Erwarten wir, dass die Kirche sich schneller verändert als die Gesellschaft?", fragt Weinmann-Mang, und auch dafür gibt es Applaus vom Publikum der "Tagespost".
Von existenziellen Krisen spricht der ukrainische Bischof der Diözese Odessa, Stanislaw Szyrokoradiuk. "Es ist schwer, diejenigen zu beerdigen, die man getauft oder getraut hat", sagt er, als er über die Situation der Kirche in seinem Heimatland berichtet. "Der Krieg zeigt wahre Freunde und offenbart versteckte Feinde und Verräter." Gegen eine Relativierung des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, wie sie in rechten Kreisen oft zu beobachten ist, bezieht die "Tagespost" mit der Einladung dieses Gastes klar Stellung.

Mit seinem Grußwort am späteren Nachmittag schreibt Georg Gänswein schließlich in Berufung auf die Schriften Papst Benedikts XVI. ein Leitmotiv dieses Tages fort: Die zwingende Verknüpfung des Wahrheitsbegriffs mit dem Glauben. Der Glaube sei laut Statut der "Tagespost" für die journalistische Arbeit "als Maßstab unerlässlich". Früher habe er, Gänswein, den Versuch der Benennung von Wahrheit als "anmaßend" empfunden. Heute wisse er: "Der Verzicht auf Wahrheit löst nichts, sondern führt zur Diktatur der Beliebigkeit."
Horcht, Horcht! ---
Mindestens ebenso lohnend ist eine Wachsamkeit denen gegenüber, die ihr Glaubensbekenntnis seit 2000 Jahren wie eine Monstranz vor sich hertragen – und das Gegenteil von dem tun, was sie predigen.
"wo Menschen sich verbinden, die Wege verlassen und beginnen ganz neu,..." so heißt es in einem modernen Kirchenlied.
Das ist ja das bezeichnende von diesem "Tagblatt", dass man nur ewig-gestrige eingeladen
hat. Solange solch verstaubte Oberhirten wie Wölki noch auf ihrem Sessel sitzen, wird sich nicht viel in unserer Kirche ändern. Man kann nur hoffen, dass zu seinem Weihetag am 20. September in Köln mehr Leute draußen vor dem Dom als in der Basilika am Segnungsgottesdienst teilnehmen. Gab es eigentlich vor dem Neumünster Demos gegen Wölkis Auftritt? War bis jetzt nichts zu lesen. Am Samstag war gelebte Ökomene in Retzbach, einem katholischen Wallfahrtsort, Pfarrer und Pastorin hielten gemeinsam den Gottesdienst.
Die Pastorin wurde auch bei der Kommunionspendung mit eingebunden, in dem sie den Gläubigen, überwiegend Katholiken, die Kommunion reichte. Nur so geht gelebte Ökomene und fortschrittliches Denken in der Kirche. Das wird bei Kardinal Wölki aber nie der Fall sein.
Mal gespannt, wielange Papst Franziskus
"Die zwingende Verknüpfung des Wahrheitsbegriffs mit dem Glauben"
Sehr geehrter Herr Erzbischof,
ich rufe Sie dringend dazu auf, die in den letzten Jahren ans Licht gekommene Wahrheit des vielfachen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch Priester der Katholischen Kirche, mit dem Glauben zu verknüpfen und dazu zu stehen, dass diese Dinge passiert sind!
Das Bestehen auf der Zölibatspflicht für katholische Geistliche ist nicht dazu geeignet, diese Misstände zu beseitigen!
Ihr Ausspruch :"Der Verzicht auf Wahrheit löst nichts, sondern führt zur Diktatur der Beliebigkeit" ist - im Hinblick auf das geschehene und vielfach vertuschte Unrecht - geradezu genial! Hier erhalten Sie meine volle Zustimmung!
ich bin ganz Ihrer Meinung - und ich möchte hinzufügen:
Kardinal Woelki lobt die Tagespost, dass sie "den Blick des Glaubens auf die Dinge" bewahrt habe.
Frage: ist Kinder und Jugendliche jahrzehntelang sexuell zu missbrauchen und ihr Leben zu zerstören der "Blick des Glaubens"???
Wie borniert muss man sein, um davor die Augen zu verschliessen?
Zum einen kämpft Matthias Kaschkat seit Jahren darum, dass man anerkennt, wie schwer die missbrauchten Kinder und Jugendlichen in ihrer Entwicklung gestört sind, und heute oft in Armut leben,
(abgesehen von denjenigen, die sich schon in ihrer Jugend das Leben genommen haben),
damit sie eine angemessene finanzielle Entschädigung bekommen, was bis heute nicht der Fall ist.
Zum anderen genieren sich Kardinal Woelki und Erzbischof Gänswein nicht, sich vor die Gemeinde zu stellen, theologische Reden zu schwingen, als wäre nichts passiert und sich wie Popstars feiern zu lassen.
Bedeutet das nicht, dass sie die Augen vor dem Missbrauchs-Skandal verschliessen?
Wäre ich an ihrer Stelle würde ich mich beschämt im Hintergrund halten, voller Scham für die Organisation, als deren Führungspersonen sie sich feiern lassen ...