Keine Geburt gleicht einer anderen und jede Frau empfindet sie anders. Eine selbstbestimmte, natürliche Geburt, möglichst ohne große Schmerzen: das wünschen sich alle werdende Mütter.
In der Realität kommt es oft anders. Immer mehr Kinder kommen per Kaiserschnitt zur Welt – geplant oder per Notkaiserschnitt. Fast jede dritte Geburt in einem deutschen Krankenhaus ist ein Kaiserschnitt. Rund 220.700 Frauen haben laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2020 so entbunden. Damit lag die Kaiserschnittrate bundesweit bei 29,7 Prozent.
Welche Vorteile und Risiken hat eine spontane Geburt? In welchen Situationen ist ein Kaiserschnitt erforderlich? Fragen an Dr. Hanns-Jörg Grimminger, vierfacher Vater und Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Missioklinik in Würzburg.
Dr. Hanns-Jörg Grimminger: Ja tatsächlich. Es gibt die schöne Geburt. Das Schmerzempfinden Erstgebärender ist völlig unterschiedlich. Man kann grob sagen, ein Drittel der Frauen hat sehr starke Schmerzen, ein Drittel hat Schmerzen und ein Drittel hat nur mäßige Schmerzen. Auch Frauen mit Schmerzen können sogenannte Traumgeburten erleben. Zusätzlich können Schmerzmittel oder auch eine Periduralanästhesie (PDA) zum Einsatz kommen.
Grimminger: Diese Frauen gehen gut vorbereitet in die Geburt. Diese Frauen gehen open minded -also offen in die Geburt. Vielleicht ist es auch wichtig, sich schon vorher mit dem Schmerz zu beschäftigen. Was vielen auch hilft ist eine positive Einstellung zur Geburt. Je mehr Druck man sich im Vorfeld macht, desto eingeschränkter ist man dann während des Geburtsprozesses.
Dr. Hanns-Jörg Grimminger: Die meisten Eltern wollen beides: die Sicherheit einer Geburtsklinik und eines Perinatalzentrums und eine babyfreundliche Umgebung. Wir haben als Klinik das Alleinstellungsmerkmal, das wir ein babyfreundliches Krankenhaus sind und trotzdem haben wir hier die Möglichkeit 24/7 auch einen Kaiserschnitt zu machen. Das ist in Geburtshäusern anders. Natürlich werden dort nur Niedrigrisiko-Patientinnen genommen. Aber trotzdem: Sollte es bei einer Geburt zu einem irreversiblen Abfall der Herztöne kommen, muss sofort gehandelt werden.
Grimminger: In Bayern gibt es neun Kliniken, die als babyfreundlich zertifiziert sind. Sie ermöglichen den Hautkontakt mit dem Baby schon direkt nach der Geburt, auch nach einem Kaiserschnitt. Wir haben ein 24 Stunden Rooming-in, das heißt Mutter und Baby werden nach der Geburt nicht mehr getrennt, sondern bleiben in ständigem Kontakt. Nach der Geburt unterstützen wir die Mütter beim Stillen. Babyfreundliche Krankenhäuser bieten eine umfassende Betreuung rund um die Geburt, angefangen von der Schwangerenvorsorge bis zu Beratungsangeboten nach der Entlassung. Im gesamten Klinikalltag steht die Eltern-Kind-Bindung im Vordergrund.
Grimminger: Das klingt wie eine einfache Frage, aber die Antwort darauf ist schwierig. Per Definition ist eine natürliche Geburt eine vaginale Geburt, die spontan beginnt und möglichst ohne ärztliche Interventionen oder technische Hilfsmittel auskommt. Frauen, die sich gut auf die Geburt vorbereiten, haben in der Regel weniger Angst und verlangen auch seltener nach Schmerzmitteln. Nach vaginalen Geburten scheinen bei der Mutter deutlich seltener schwere Komplikationen aufzutreten wie zum Beispiel Infektionen oder schwerwiegende geburtshilfliche Notfälle. Insgesamt ist der stationäre Krankenhausaufenthalt deutlich kürzer.
Grimminger: Egal ob Kaiserschnitt oder natürliche Geburt - keine Geburt ist besser oder schlechter. Das besprechen wir auch immer vorab mit den Patientinnen. Es kann immer Situationen geben, die das Eingreifen von Ärzten oder weitere Maßnahmen, wie beispielsweise einen Kaiserschnitt, erforderlich machen. All dies geschieht im Sinne der Gesundheit von Mutter und Kind und sollte nie kategorisch ausgeschlossen werden. Bei einem Kaiserschnitt kann es Nachteile für die nächste Geburt geben. Hier kann sich zum Beispiel die Plazenta ablösen. Allerdings sind die Inkontinenz und die Senkungsrate beim Kaiserschnitt etwas niedriger.
Grimminger: Die Rate für Wunsch-Kaiserschnitte ist bei uns extrem niedrig. Ein Kaiserschnitt ist immer eine Körperverletzung, eine Bauch-Operation. Wenn wir eine Indikation haben, das kann auch eine psychische Belastung sein, dann führen wir auch einen Kaiserschnitt durch.
Grimminger: Wir versuchen, die Patientinnen möglichst interventionsarm durch die Geburt zu begleiten. Es gehört bei einer Geburt viel dazu, möglichst wenig zu tun. Wir schaffen das mit sehr gut geschultem Personal. Wenn wir eine PDA - also eine Periduralanästhesie - legen, gibt es unter anderem auch die Möglichkeit eine "leichte" PDA zu applizieren, die es der Frau weiterhin möglich macht, sich bei der Geburt zu bewegen. Eine PDA dient der Schmerzlinderung. Allerdings kann es in seltenen Fällen zu Komplikationen wie Kopfschmerzen oder Blutdruckabfall zu kommen.
Grimminger: Bei uns haben Frauen die Möglichkeit, viele Geburtspositionen einzunehmen und sie werden auch dabei unterstützt, die für sie beste Position zu finden. Die Mobilität der Patientinnen ist uns sehr wichtig. Die Frauen können im Vierfüßlerstand, im knien, mit einem Seil, einem Gebärhocker oder auch in einer Wanne entbinden. Das Einnehmen verschiedener Positionen während der Wehenverarbeitung hat auf jeden Fall einen positiven Einfluss auf den Geburtsverlauf.
Grimminger: Nicht der Wirkstoff hat vermutlich die schweren Fälle von Nebenwirkungen verursacht, sondern die falsche Dosierung. Cytotec war in Deutschland als Mittel zur Behandlung von Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren zugelassen. Doch man fand heraus, dass der Wirkstoff Misoprostol die Gebärmutter zu Kontraktionen anregt und den Muttermund weicher macht. Daher wurde es im Off-Label-Use auch als Einleitungsmedikament in der Geburtsmedizin angewendet. Da das Medikament nur in einer 200 Mikrogramm-Dosierung vorlag, musste es geteilt werden. Wurde die Teilung und Erstellen eines neuen Medikamentes nicht von pharmazeutisch geschultem Personal, etwa in einer Krankenhausapotheke durchgeführt, konnte das Ergebnis ein zu starker Wirkstoffgehalt sein.
Grimminger: Seit September 2021 ist das Medikament Angusta in der Geburtshilfe zugelassen. Es besteht aus dem gleichen Wirkstoff und enthält nur 25 Mikrogramm Misoprostol. Wir haben in der Geburtsmedizin ohnehin sehr wenige Medikamente, die wir einsetzen dürfen. Und Angusta ist ein sinnvolles Medikament.
Grimminger: Eine Geburt ist ein extrem forderndes physisches und psychisches Ereignis. Eine echte Gewaltanwendung während des Geburtsprozesses ist unprofessionell und sollte nicht vorkommen. Wir setzen auf eine gute Betreuung und einen guten Personalschlüssel. Wir haben regelmäßig Teamsitzungen, bei denen wie alle möglichen Probleme auch besprechen. Was wir aber auch merken ist, dass gerade die sozialen Medien unheimlich Druck in Hinsicht ihrer Erwartungshaltung aufbauen. Nicht jede Frau gebärt mit einem strahlenden Lächeln.
Grimminger: Das war die Geburt meiner eigenen Kinder.
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