
Es war eine lange, intensive und aufwändige Recherche. Mehrere Monate lang recherchierte der Jungjournalist der Deutschen Journalistenschule Ruben Schaar im Rahmen eines Fellowships für die Main-Post zu einem Würzburger Vermieter und ist dabei einem mutmaßlichen Betrug im großen Stil auf die Schliche gekommen. Der Vermieter, damals Besitzer von 14 Häusern, hatte dem Jobcenter offenbar mehrfach zu hohe Quadratmeterzahlen von Wohnungen mitgeteilt – in Einzelfällen waren die Angaben fast verdreifacht.
Ruben Schaar ging ersten Hinweisen nach, sprach mit rund 40 Mieterinnen und Mietern, sah Unterlagen ein, maß Wohnungen aus und deckte Schritt für Schritt ein mutmaßlich betrügerisches System auf. Veröffentlicht wurde die Geschichte in der Main-Post am 31. März 2022.
Zum dritten Mal zeichneten VRM und die Lingen-Stiftung aus
Nun wurde die herausragende Recherche mit dem Titel "Das Geschäft mit der Wohnungsnot" auch belohnt: Ruben Schaar erhielt beim Gutenberg-Recherchepreis 2022 den mit 3000 Euro dotierten dritten Platz. Zum dritten Mal zeichnete die Verlagsgruppe VRM aus dem Rhein-Main-Gebiet sowie die Lingen-Stiftung (Köln) junge Journalistinnen und Journalisten unter 35 Jahren für exzellenten Journalismus mit diesem Preis aus. Die vier Preisträgerinnen und Preisträger wurden aus 71 Einsendungen ausgewählt.
Charlotte Köhler wurde für ihre Reportage "Derek *2008 ✝ 2019" mit dem ersten Preis ausgezeichnet. Sie schrieb ihr Stück für das Magazin "Go #16.2021" der Reportageschule Reutlingen. Daniel Noglik, Lokalreporter der Ostfriesen-Zeitung, hat sich mit "Die Hells-Angels-Wiesmoor-Connection" den zweiten Preis gesichert. Alexander Gutsfeld bekam einen Sonderpreis für "Narcoland. Das Meth-Kartell im Dreiländereck" zugesprochen.
Jury: Ein Musterbeispiel dafür, wie Lokalzeitungen ihre Wächterfunktion wahrnehmen
Die Jury bezeichnete die Geschichte von Ruben Schaar als eine Recherche mit viel Fingerspitzengefühl. "Er beleuchtet das lukrative Geschäft mit der Wohnungsnot von allen Seiten und berichtet von Ohnmacht und Abhängigkeiten. Er klopft an Türen, und wenn ihm geöffnet wird, erfährt er von zerstückelten Wohnungen, defekten Heizungen, tropfenden Decken, von Schimmel. Und niemand kümmert sich darum", so Jurymitglied Annette Binninger aus der Chefredaktion der Sächsischen Zeitung in ihrer Laudatio.
Ohne die akribische und hartnäckige Arbeit des Reporters sei der mutmaßliche Betrug, dessen Schaden wohl in den Millionen-Bereich geht, nicht entdeckt worden. "Eine Betrugsmasche, wie sie in jeder Großstadt vorkommt, aber nur selten aufgedeckt wird. Ein Musterbeispiel dafür, wie Lokalzeitungen ihre Wächterfunktion wahrnehmen."
Mit der Auszeichnung werde klassisches, journalistisches Handwerk belohnt, sagt Ivo Knahn, Chefredakteur der Main-Post. "Ruben Schaar hat bei seiner Recherche Hartnäckigkeit, Ausdauer und Mut bewiesen und deshalb den Preis sehr verdient."
Erst nach und nach hat sich das Ausmaß des mutmaßlichen Betruges gezeigt
Der 32-jährige Journalist ist Absolvent der Deutschen Journalistenschule. Von 2021 bis 2022 war er für fünf Monate Fellow in der Lokalredaktion Würzburg der Main-Post. Seitdem arbeitet er als freier Journalist und beschäftige sich mit Themen aus Gesellschaft, Politik, Tech- und Internetkultur. Einer seiner Schwerpunkte liegt dabei auf investigativen Recherchen und der multimedialen Umsetzung von Geschichten.
"Zu Beginn der Recherche war es schwierig, meinen Verdacht durch Belege zu bestätigen, weil der Vermieter von vielen Seiten gedeckt wurde", erzählt Schaar. Erst nach und nach habe sich das ganze Ausmaß des mutmaßlichen Betruges gezeigt. Seine Arbeit im Umfeld der Häuser erlebte er als intensive Zeit. "Es ist vor allem die Situation der Mieterinnen und Mieter, die mich häufig mitgenommen hat. Sie haben kaum eine Wahl: Viele fühlen sich in den Wohnungen unwohl und schlecht behandelt, aber sich zu beschweren könnte bedeuten, die Wohnung wieder zu verlieren. Also akzeptieren sie einfach alles. Ich glaube, diese Ausweglosigkeit und diese Enttäuschung machen etwas mit den Menschen."