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Würzburg/Halle
Josef Schuster: Justiz ermutigt antisemitische Straftäter
Nicht überall in Deutschland ist Polizeischutz für Synagogen Standard. Josef Schuster will das nicht hinnehmen. Auch an der Justiz übt der Zentralratspräsident Kritik. Ein Exklusiv-Interview.
Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, besuchte am Donnerstag die Synagoge in Halle, der der antisemitische Anschlag am Mittwoch galt.
Foto: Ronny Hartmann, afp | Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, besuchte am Donnerstag die Synagoge in Halle, der der antisemitische Anschlag am Mittwoch galt.
Michael Czygan
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:28 Uhr

Josef Schuster feiert gerade mit seiner Familie das jüdische Versöhnungsfest Jom Kippur, als er am Mittwoch vom antisemitischen Angriff auf die Synagoge in Halle erfährt. Er hält sich an das Arbeitsverbot am höchsten jüdischen Feiertag. Erst am Abend, nach Sonnenuntergang, gibt er erste Erklärungen ab.

Auch am Tag danach ist der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland ein gefragter Gesprächspartner.  Am späten Vormittag besucht er den Tatort zusammen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff. 

Am Nachmittag folgen weitere Gespräche unter anderem mit Bundesinnenminister Horst Seehofer. Zwischendurch nimmt sich der 65-jährige Internist, der seit November 2014 an der Spitze des Zentralrats steht, Zeit für ein Exklusiv-Interview mit dieser Redaktion. Darin mahnt er Politik und Justiz, die Bedrohung jüdischen Lebens in Deutschlands konsequenter zu verfolgen. 

Herr Schuster, wie haben Sie denn vom Anschlag in Halle erfahren?

Josef Schuster: Der Gottesdienst in Würzburg macht an Jom Kippur zwischen 13.30 Uhr und 16.30 Uhr eine Pause. Ob das nun religiös korrekt ist oder nicht: Einen Blick auf die Mails habe ich mir trotz Jom Kippur nicht verkneifen können. Da habe ich dann die ersten Meldungen gelesen.

Wie war Ihre Reaktion?

Schuster: Die war und ist es immer noch: schockiert. Wenn jemand ausgerechnet an Jom Kippur ein jüdisches Gemeindezentrum angreift, dann hat er sich viel dabei gedacht. Dann ist das zum einen ein bewusst antisemitischer Anschlag. Zum anderen hat sich der Täter einen Tag ausgesucht, von dem er sicher wusste, dass die Synagoge gut besucht ist.

Wie viele Menschen waren denn in Würzburg in der Synagoge?

Schuster: Um die Mittagszeit waren es zirka 50. Etwas früher am Tag waren es deutlich mehr, am Abend auch.

Hatten die Gemeindemitglieder Angst?

Schuster: Beim Nachmittagsgottesdienst um 17 Uhr hatte ich nicht das Gefühl, dass Angst herrschte, auch wenn die Leute sehr betroffen waren. Die Polizei hatte ja eigens die Sicherheitsmaßnahmen hochgefahren. Das hat zur Beruhigung beigetragen.

Sie haben es einen Skandal genannt, dass die Polizei die Synagoge in Halle an Jom Kippur nicht bewacht hat. Hat es denn eine entsprechende Bitte seitens der Gemeinde gegeben?

Schuster: Es gab nach meiner Kenntnis mehrfach Gespräche zwischen der Gemeinde und den Polizeiverantwortlichen. Da hieß es immer, die technischen Schutzmaßnahmen seien ausreichend. Sie waren auch gut, denn der Täter hat es nicht geschafft, die Tür zu durchschießen. Allerdings: Ich war gerade mit dem Bundespräsidenten am Tatort und muss sagen, es ist für mich eher ein Wunder, dass die Tür gehalten hat. Polizeistreifen dienen der Abschreckung. Ich weiß nicht, ob der Täter den Anschlag auch versucht hätte, wenn eine Streife vor Ort gewesen wäre. Die Streife wäre aber zumindest in der Lage gewesen, den Täter unschädlich zu machen. Vermutlich hätte er dann nicht die beiden Menschen erschießen können.

Josef Schuster (von links), der Präsident des Zentralrats der Juden, Jeremy Issacharoff, der Botschafter des Staates Israel in Deutschland, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender legten am Donnerstag in Halle Blumen am Tatort Döner-Imbiss nieder.
Foto: Jan Woitas, dpa | Josef Schuster (von links), der Präsident des Zentralrats der Juden, Jeremy Issacharoff, der Botschafter des Staates Israel in Deutschland, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender ...

Erst vor wenigen Tagen hat ein Mann in Berlin versucht, in eine Synagoge einzudringen. Er wurde überwältigt, aber Ihrer Ansicht nach viel zu schnell wieder auf freien Fuß gesetzt.

Schuster: An der Synagoge gab es Schutz seitens der Polizei. Das Problem war hier die Justiz. Es erschließt sich mir in keiner Weise, dass es nicht als Mordversuch gewertet werden kann, wenn ein Mensch mit einem Messer auf einen Polizeibeamten zugeht. Mit der Begründung, der Polizist sei bewaffnet und der Versuch deshalb untauglich gewesen, hat die Staatsanwaltschaft ihn wieder auf freien Fuß gelassen, ja noch nicht einmal dem Haftrichter vorgeführt. Das ist für mich völlig unverständlich.

Was läuft da falsch?

Schuster: Ich glaube, bei der Justiz hat man die Problematik antisemitischer Straftaten bislang offensichtlich nicht richtig erkannt. Wenn ich die Urteile sehe, die Strafen, die verhängt werden, die sind nicht abschreckend. Und damit laufen wir Gefahr, dass potenzielle Straftäter eher ermutigt als  Straftaten verhindert werden.

"Ich glaube, bei der Justiz hat man die Problematik antisemitischer Straftaten bislang offensichtlich nicht richtig erkannt." 
Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland

Was kann die Polizei besser machen?

Schuster: Wir dürfen hier nicht sagen: die Polizei. Wir haben in Berlin erlebt, dass die Beamten absolut korrekt gehandelt haben. Auch in Halle hat kein einzelner Polizist etwas falsch gemacht. Angesichts fehlender Schutzmaßnahmen muss man aber sicherlich die Verantwortlichen hinterfragen. Und ja, es gibt die Sorge, dass es in Polizeikreisen leider auch – und ich befürchte etwas überproportional - rechtspopulistische und rechtsextreme Strömungen gibt. Denken Sie an den Skandal rund um das Polizeikommissariat in Frankfurt, von wo aus eine Droh-Mail an eine NSU-Opferanwältin verschickt wurde. Die Hintergründe müssen lückenlos aufgeklärt werden.

Sind die jüdischen Einrichtungen in Bayern, auch in Würzburg, ausreichend geschützt?

Schuster: Ich denke, dass die Schutzmaßnahmen, wie wir sie vor allen Synagogen in Bayern bei Gottesdiensten und Veranstaltungen, auch unabhängig von jüdischen Feiertagen, haben, gut sind. Ja, davon bin ich überzeugt.

Sie haben selbst gesagt: Der Anschlag von Halle steht für eine neue Dimension des Antisemitismus in Deutschland. Nur mit Glück konnte ein noch größeres Blutbad verhindert werden. Was erwarten sie nun von der Politik?

Schuster: Ich erwarte zunächst mal, dass noch einmal alle Sicherheitsmaßnahmen kritisch geprüft werden. Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, hat erklärt, dass er die Sicherheit jüdischer Einrichtungen als Thema auf die Agenda der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz in 14 Tagen in München setzt. Ich finde gut, dass er das tut. Gleichzeitig bin ich aber auch irritiert, dass man dies erst auf die Agenda setzen muss. Ich war eigentlich der Meinung, dass es in allen Bundesländern ein klares Sicherheitskonzept gibt. Mittlerweile weiß ich, dass es nicht nur in Sachsen-Anhalt kein solches Konzept gibt, sondern auch in Sachsen. Nach meinen Erkenntnissen ist auch dort Polizeischutz vor Synagogen nicht üblich.

Welche Rolle spielt die AfD? Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann sprach von geistigen Brandstiftern.

Schuster: Aus Worten wird Gewalt. Zunächst werden die roten Linien des Sagbaren verschoben. So verroht erst die Sprache, dann das gesellschaftliche Klima, schließlich folgen solche Taten. Da spielt die AfD sicherlich eine Rolle. Denken Sie an die Äußerungen prominenter AfD-Vertreter vom Vogelschiss in der deutschen Geschichte oder vom Mahnmal der Schande.

Josef Schuster (links) und Innenminister Horst Seehofer am Donnerstag vor der Presse in Halle.
Foto: Hendrik Schmidt, dpa | Josef Schuster (links) und Innenminister Horst Seehofer am Donnerstag vor der Presse in Halle.

Was erwarten Sie von der Zivilgesellschaft?

Schuster: Von der Zivilgesellschaft erwarte ich eigentlich nichts Besonderes, was  manchmal gar nicht so leicht ist. Ich erwarte Zivilcourage. Damit meine ich, dass man am Stammtisch, wenn man mit Freunden zusammensitzt und hier nicht nur antisemitische, sondern auch rassistische, fremden- oder frauenfeindliche Äußerungen getätigt werden, aufsteht, die Dinge benennt und den Finger in die Wunde legt. Dann wäre schon viel getan.

Was können oder sollten Medien tun. Wir haben in der Redaktionskonferenz lange diskutiert, wie viel Platz wir dem Attentäter einräumen. Einerseits wollen wir seine Persönlichkeit und die Motive möglichst genau ausleuchten, andererseits verschafft ihm das genau die Aufmerksamkeit, die er offenbar sucht.

Schuster: Ich glaube, diesem Täter ging es in erster Linie darum,  möglichst viele jüdische Menschen zu ermorden. Warum er sich in dieser Weise, also mit dem Video, selbst inszeniert hat, wissen wir  nicht genau.

Sollte man ihn im Bild zeigen?

Schuster: Nein. Das Bild ist keine Nachricht. Das steigert tatsächlich nur die Publizität des Mannes.

 
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    ..."Und ja, es gibt die Sorge, dass es in Polizeikreisen leider auch – und ich befürchte etwas überproportional - rechtspopulistische und rechtsextreme Strömungen gibt."....

    Das ist zweifellos richtig, aber auch hier: weshalb benennt man nicht auch die Tatsache, dass es diese "Strömungen" in der Justiz gibt - und m.E. noch stärker als bei der Polizei, weil man als intelligenter Rechtsradikaler dort sehr viel mehr Macht ausüben kann, das System "von innen" aufrollen. Es muss doch langsam Fragen aufwerfen, wieso eine derart starke Gewichtung auf alles vermeintlich "Linke", auf Sozialhilfeempfänger u.ä. erfolgt, während rechte, rassistische und antisemitische Taten kleingeredet, eingestellt und verschleppt werden! Gerade Staatsanwälte haben hier große Macht, und das völlig unkontrolliert, eine Dienstaufsicht findet faktisch nicht statt. Gerade die bayerische Justiz ist nach meiner Erfahrung als ehemaliger Polizeibeamter ein Sammelbecken rechter Strömungen, das keiner konrtrolliert!
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    am besten den Mossad einschalten, die fackeln nicht lange
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  • thomashemmerich@web.de
    Gleich vorneweg: Ich bin genauso erschüttert, über das was da passiert, ist wie viele andere auch, aber:
    - Muss von Hr. Schuster gleich wieder die Polizei kritisiert werden? Habe noch am Tag des Verbrechens auf einem Nachrichtensender ein Interview mit einem "Sprecher" der dortigen Jüdischen Gemeinde gesehen, der als Betroffener in der betroffenen Synagoge war und gesagt hat, dass dies nicht notwendig gewesen wäre.
    "Man war im vorher im Austausch mit der Polizei und es gab keinerlei Anzeichen für etwas derartiges".
    Warum müssen Hr. Schuster, Hr. Steinmeier und Hr. Haseloff einen Tag später zu dem Tatort reisen, um diesen in "in Augeschein zu nehmen"? Was bringt das? Wie viele Polizisten waren hier anwesend und notwendig, diese Personen zu begleiten und zu beschützen? Wären diese Polizisten nicht anderswo sinnvoller gewesen? Hat sich durch das persönliche anschauen des Tatorts nun etwas verändert? Wenn heute dorthin gefahren wäre, würde man mich einen Gaffer nennen.
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  • Helmut_Faul_HF2017
    Der "Mann", der in Berlin mit einem Messer in die Synagoge eindringen wollte, ist Moslem. Warum wird das hier verschwiegen ?
    Viele antisemitische Straftaten der letzten Jahre wurden von Moslems begangen. Das wissen die Medien und das weiss auch Herr Schuster. Warum wird dieser Aspekt des Antisemitismus immer so gerne verschwiegen ? Was versprechen sich Medien und Politik davon ?
    Beim Kampf gegen den Antisemitismus muss man die Augen in alle Richtungen offen halten.
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  • thomashemmerich@web.de
    Ja, das Frage ich mich auch.
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  • fabian-koenig@t-online.de
    Ich verstehe Ihren Einwand nicht. Es ist doch vollkommen irrelevant, ob jemand, der Juden oder Andersdenkende/-seiende töten will, ein Islamist oder ein Rechtsextremer ist. Beides Arschlöcher. Aber so, wie Sie Ihren Einwand formulieren, liegt der Verdacht nahe, dass Sie die Gefahr durch Rechtsextreme kleinreden und hiervon ablenken wollen. Das ist leicht durchschaubar.
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  • Albatros
    Wir haben einen Hinweis zu Ihrem Kommentar: Können Sie Ihre Thesen belegen? Zum Suchbegriff "Anis Amri" finden wir bei der Main-Post z.B. 641 Ergebnisse, zu "Axt-Anschlag" 351 Ergebnisse.
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  • uwe.luz@t-online.de
    Ich habe Helmut_Faul nicht so verstanden, dass die Gefahr von Rechtsextremen kleingeredet werden soll. Recht hat er vielmehr, wenn er sagt, dass wir auch über den Islam sprechen müssen - und zwar klar und deutlich. Wenn man in einem Fußballstadion in Istanbul nicht einmal die Stadtflagge von Mönchengladbach ausrollen darf, ohne dass die Polizei kommt, stellt eine „Religion“, die Haß gegen Juden und Christen lehrt (vgl. Sure 9, Vers 5) ein Problem dar. Wenn wir glaubhaft gegen Antisemitismus eintreten wollen, betrifft das nicht nur Nazis und linke Palästinensertuchträger, sondern auch zahlreich Muslime.
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  • fabian-koenig@t-online.de
    Das mag ja sein und ist sicher richtig. Aber hier und jetzt geht es nicht um den islamistischen Terrorismus, sondern um den rechtsextremen Terrorismus und um seine geistigen Wegbereiter. Wenn von einer "Wende 2.0" gesprochen wird, von einer angeblichen Völkerwanderung und in diesem Zusammenhang von einer angeblichen Islamisierung Deutschlands, dann muss man sich nicht wundern, wenn i-welche Fanatiker das zum Anlass nehmen, jetzt selbst "in den Kampf" zu ziehen. Das war in Neuseeland so, das war in Kalifornien so und das war auch letztes Jahr in Berlin so, als am 3.10. nur knapp ein Attentat verhindert werden konnte, das -ernsthaft- einen "Umsturz" und Systemwechsel zum Ziel hatte. Wir haben 12.000 gewaltbereite Rechtsextreme im Land, dazu die wachsende Reichsbürgerszene und dann auch noch (da hat Hr. Schuster Recht) eine Polizei/Justiz, die in Teilen des Landes mE selbst mit solchen Subjekten infiltriert zu sein scheint, zumindest aber nicht konsequent handelt. DAS macht mir Sorgen.
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  • Albatros
    Wir haben einen Hinweis zu Ihrem Kommentar: Wir haben Ihnen die Zahlen der Artikel genannt, in denen es um Anis Amri ging, diese wurden nicht über einen Zeitraum von zwei Tagen veröffentlicht. Können Sie belegen, dass zu islamistischem Terror weniger anhaltend berichtet wird wie über rechten Terror?
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  • p-koch-dettelbach@t-online.de
    Falls sich die Innenminister in D nicht irren wurden fast alle antisemitische Straftaten der letzten Jahre von Rechtsradikalen begangen.
    So viel zum Thema, dass die Rechten immer abwiegeln und mit dem braunen Finger auf andere zeigen.
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