zurück
Berlin/Würzburg
Josef Schuster als Notarzt im Einsatz: Tragischer  Tod von DDR-Bürgerrechtler Werner Schulz beendet Tagung beim Bundespräsidenten
Ein tragischer Todesfall beendete die Gedenkveranstaltung zum 9. November in Berlin. Der Rettungseinsatz des Würzburger Mediziners kam für Werner Schulz zu spät.
Josef Schuster bei einer Gedenkveranstaltung zum 9. November in Schloss Bellevue in Berlin. Vor seiner Rede hat er vergeblich versucht, den Grünen-Politiker Werner Schulz zu reanimieren, der zusammengebrochen war.
Foto: Daniel Biscan | Josef Schuster bei einer Gedenkveranstaltung zum 9. November in Schloss Bellevue in Berlin. Vor seiner Rede hat er vergeblich versucht, den Grünen-Politiker Werner Schulz zu reanimieren, der zusammengebrochen war.
Michael Czygan
 |  aktualisiert: 09.02.2024 05:44 Uhr

Der tragische Tod von DDR-Bürgerrechtler Werner Schulz sorgte am Mittwochmittag für ein jähes Ende der Tagung "Wie erinnern wir den 9. November", zu dem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der Zentralrat der Juden in Deutschland ins Schloss Bellevue geladen hatten.

Der frühere DDR-Bürgerrechtler und Grünen-Europaabgeordnete Werner Schulz starb am Mittwoch während einer Gedenkveranstaltung zum 9. November in Berlin.
Foto: Karlheinz Schindler, dpa | Der frühere DDR-Bürgerrechtler und Grünen-Europaabgeordnete Werner Schulz starb am Mittwoch während einer Gedenkveranstaltung zum 9. November in Berlin.

Thema des Symposions am Sitz des Bundespräsidenten war die Frage nach dem angemessenen Gedenken am 9. November, dem wohl bedeutendsten – und dennoch so ambivalenten - Datum der deutschen Geschichte. Am 9. November 1918 endete das Deutsche Kaiserreich mit dem Ausrufen der Republik. In der Pogromnacht am 9. November 1938, als der Mob überall im Lande Synagogen plünderte und in Brand setzte, startete die industrielle Vernichtung von Millionen Jüdinnen und Juden in Deutschland und Europa. Am 9. November 1989 fiel in Berlin die Mauer, die deutsch-deutsche Teilung war überwunden.

Präsident Steinmeier hatte seine 15-minütige Begrüßungsrede in Anwesenheit von rund 150 Experteninnen und Experten aus Wissenschaft und Politik noch nicht beendet, da wurde Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden, von einem Mitarbeiter des Bundespräsidialamts aus der ersten Reihe im Großen Saal herausgeführt. Warum, das war zu diesem Zeitpunkt noch nicht erkennbar.

Schusters Rede, die auf die von Steinmeier folgen sollte, fiel erst einmal aus. Die folgenden Referenten zogen ihre Vorträge vor. Gleichzeitig machte sich Unruhe im Saal breit. Was war passiert? Wenig später wurde auch der Bundespräsident selbst vor die Tür geleitet. Beobachtern wurde langsam klar, dass etwas Schlimmes geschehen sein musste. Die Tagung lief zunächst gleichwohl weiter.

Josef Schuster mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Mittwoch in Berlin.
Foto: Daniel Biscan | Josef Schuster mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Mittwoch in Berlin.

Gut 40 Minuten nach seinem Auszug kehrte Josef Schuster an der Seite Steinmeiers zurück in den Großen Saal. Wenig später holte der 68-Jährige seine Begrüßungsrede nach. An einen routinemäßigen Tagungsverlauf war aber nicht mehr zu denken. Eine Gesprächsrunde folgte noch, bevor der Bundespräsident erneut vors Publikum trat und die traurige Nachricht überbrachte, dass Werner Schulz (72), einer der renommierten Vertreter des demokratischen Widerstands in der DDR und späterer Grünen-Politiker, auf der Toilette zusammengebrochen und gestorben ist. Die Reanimationsversuche von Notarzt Josef Schuster seien vergeblich gewesen, berichtete Steinmeier dem sichtlich geschockten Publikum.

Der Bundespräsident bat die Zuhörerinnen und Zuhörer um eine Trauerminute und beendete dann die Tagung. Sie soll zu einem späteren Zeitpunkt fortgesetzt werden. Josef Schuster war wenig später wieder auf dem Heimweg nach Würzburg, wo er am Abend beim Gedenken an die Pogromnacht vor 84 Jahren sprechen wollte.

Der 68-Jährigen, der über viele Jahre eine internistische Praxis in der Würzburger Innenstadt betrieb, ist noch immer als Notarzt im Einsatz. Regelmäßig übernimmt Schuster Bereitschaftsdienste beim Bayerischen Roten Kreuz.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Würzburg
Michael Czygan
Gedenkveranstaltungen
Josef Schuster
Juden in Deutschland
Tagungen
Werner Schulz
Zentralrat der Juden in Deutschland
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • P. S.
    Nachdem die Veranstaltung wenig später nach der Rede abgebrochen wurde ist es einfach unverständlich, weshalb diese Rede unbedingt noch nötig war. Selbst wenn Herr Schulz da noch gelebt haben sollte ist es einfach respektlos.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • H. H.
    Meinen Respekt für Josef Schuster

    das war sicher nicht einfach für ihn, aber ich vermute auch, es entspricht den Anforderungen, die er an sich selber stellt.

    Und mein Beileid an die Angehörigen von Werner Schulz, dem es immerhin noch vergönnt war, die Freiheit wiederzuerlangen!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • A. K.
    Ich verstehe die Kritik daran, dass Schuster seine Rede gehalten hat, obwohl bei der Veranstaltung jemand verstorben ist, nicht. Schuster hat nichts falsch gemacht, sondern professionell gehandelt. Er hat als Arzt zuerst versucht, notfallmäßig zu helfen und als Vorsitzender des Zentralrates der dt. Juden, dann eine Rede anlässlich eines Gedenktages gehalten. Beides entspricht seinem Berufsbild.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • G. A.
    Eine Begrüßungsrede ist immer höflich und nötig. Wir kennen den genauen Wortlaut nicht. Dank an Josef Schuster für seinen Einsatz.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • K. F.
    Schade und traurig, dass eine Gedenkveranstaltung zum 9. November 1938 auf solch tragische Weise enden musste, mein aufrichtiges Beileid den Hinterbliebenen von Werner Schulz. Sicher, war es eine fragliche Geschichte, dass Herr Schuster seine Rede noch gehalten hatte und die Veranstaltung nicht an einem anderen Tag wiederholt wurde. Denke, die geladenen Gäste hätten das alles verstanden und wären an einem anderen Tag genauso wieder gekommen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • A. K.
    Das war kein Kaffeeklatsch, den man ein an einem beliebigen Tag wiederholen kann.
    Zu so einem Anlass sind Gäste geladen die von sonstwo kommen und i.d.R. einen vollen Terminkalender haben. Die Gedenkfeier ist wahrscheinlich vor Monaten geplant worden.
    Und ein Gedenken zum 09. November wird man schwerlich an irgend einem anderen Termin nachholen wollen. Wer so denkt, kann vermutlich den 9. November nicht in den richtigen geschichtlichen Zusammenhang bringen und sich auch nicht erschließen, warum der Vorsitzende des Zentralrates der dt. Juden dabei eine Rede hält. Wahrscheinlich wurde hier, wie so oft, der Artikel nur überflogen und der Anlass wieder mal gar nicht erfasst.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • P. S.
    Tut mir leid für Werner Schulz. Was ist nicht verstehe: Wie kann Schuster nach diesem Vorfall noch seine Rede halten? Selbst wenn er als Notarzt an Todesfälle gewöhnt ist, etwas mehr Pietät wäre hier sicher nicht schlecht gewesen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • M. Z.
    Schulz wird da noch gelebt haben und vom Rettungsdienst versorgt/transportiert worden sein.
    Sonst würde es wirklich nicht zusammen passen, erst weiter zu machen und dann doch abzubrechen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • M. R.
    Schon mal daran gedacht, dass die Rede für ihn wichtig war?

    Auch um mit dem eben erlebten klar zu kommen?
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • M. K.
    Mitgefühl und seine eigenen Aufgaben erfüllen gehen zusammen.
    Deshalb finde ich richtig das er am Abend gesprochen hat.
    Sonst könnte keine ÄrztIn und keine PflegerIn am eigenen Leben teilnehmen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten