zurück
Giebelstadt
Jahrestag eines tödlichen Hubschrauber-Unglücks: Was sich vor 50 Jahren auf dem Flugplatz Giebelstadt ereignet hat
Beim schrecklichen Unfall am 11. Juni 1973 auf dem Flugplatz Giebelstadt waren sie Augenzeugen: Hanjo Golinski und Karl-Heinz Krause erinnern sich an das Unglück, das vier Leben auslöschte.
Wrackteile auf der Südseite der Startbahn auf dem Flugplatz Giebelstadt: im Vordergrund das Heck des Helikopters, dahinter der völlig zerstörte Pkw von Augenzeuge Karl-Heinz Krause.
Foto: Polizei Ocshenfurt/Archiv des FSCG | Wrackteile auf der Südseite der Startbahn auf dem Flugplatz Giebelstadt: im Vordergrund das Heck des Helikopters, dahinter der völlig zerstörte Pkw von Augenzeuge Karl-Heinz Krause.
Catharina Hettiger
 |  aktualisiert: 16.06.2023 02:31 Uhr

Das Hubschrauber-Unglück auf dem Flugplatz Giebelstadt, das vier Tote und fünf zum Teil schwer Verletzte forderte, scheint, auch 50 Jahre später, in das Gedächtnis der Giebelstädter Augenzeugen Hanjo Golinski und Karl-Heinz Krause eingebrannt zu sein. Wenn Krause beim Treffen mit dieser Redaktion detailgetreu einen Plan aufzeichnet, wo sich damals die Menschengruppe, die Autos und der Hubschrauber befunden haben; wenn einer der beiden beim Erzählen abrupt das Thema wechselt, weil die Erinnerungen zu stark werden; wenn auch heute noch beide auf dem Flugplatz die genaue Stelle zeigen können, wo das Unglück passiert ist – dann wird klar, wie sehr das Geschehene noch immer präsent ist.

"Es war die Zeit des Vietnamkriegs", erinnert sich Karl-Heinz Krause. Anfang Juni 1973 hielt sich eine in Hessen stationierte amerikanische Hubschraubereinheit mit ihren Kampfhubschraubern vom Typ Cobra für zwei Wochen am Flugplatz Giebelstadt auf, um Übungsflüge durchzuführen. Da auf dem Flugplatz jedes Wochenende sowie an Feiertagen Segelflugbetrieb herrschte, kamen die Soldaten und die Segelflieger des dort ansässigen Flugsportclub Giebelstadt bald in Kontakt. "Die Amerikaner wollten wissen, wie ein Segelflugzeug funktioniert – für sie war das bis dahin unbekannt", sagt Golinski. Am Wochenende vor dem Unglück hatten die Fluglehrer des Vereins daher alle interessierten US-Soldaten zu einem Rundflug im Segelflugzeug eingeladen.

In der Mittagshitze die Thermik falsch eingeschätzt

Am Pfingstmontag hätten sich die Piloten revanchieren wollen: Sie seien zu den Segelfliegern gekommen, um ihnen, mit der Erlaubnis ihres Chefs, Manöver und Tricks mit dem Hubschrauber zu zeigen. Der Segelflugbetrieb wurde eingestellt, dann demonstrierten die Cobra-Piloten in einer ersten Vorführung ihr Können; nach der Landung stieg eine zweite Crew in den Hubschrauber und erklärte, nun taktische Flüge zu zeigen. Die Piloten seien mit dem Hubschrauber auf der Nordseite hinter dem Wald verschwunden, erzählt Krause, sie hätten diesen im Tiefflug umrundet – und seien für die Segelflieger zwar noch zu hören, aber nicht mehr zu sehen gewesen. Als sie wieder auftauchten, hätten die Piloten den Startplatz der Segelflieger im Tiefflug aus nördlicher Richtung umkreist. Nach einer Steilkurve sei der Hubschrauber dann direkt auf die Zuschauer zugeflogen.

Seit ihrer Jugend leidenschaftliche Segelflieger: Hanjo Golinski (links) und Karl-Heinz Krause. Nach dem Unglück war eine Weile unklar, wie es mit dem Flugsportverein Giebelstadt weitergehen sollte.
Foto: Silvia Gralla | Seit ihrer Jugend leidenschaftliche Segelflieger: Hanjo Golinski (links) und Karl-Heinz Krause. Nach dem Unglück war eine Weile unklar, wie es mit dem Flugsportverein Giebelstadt weitergehen sollte.

Es war gegen halb zwölf Uhr mittags und sehr heiß. "Die warme Luft ist dann nicht mehr so tragfähig, der Pilot hat die thermischen Verhältnisse falsch eingeschätzt", sagt Hanjo Golinski. Und so flog der Hubschrauber direkt auf die Gruppe zu – "der Pilot hat die Abfangkurve zu spät eingeleitet".

"Wir haben Verletzte und Tote gesehen – diesen Anblick kann man nie mehr auslöschen."
Hanjo Golinski, Augenzeuge des Hubschrauber-Unglücks von 1973

"Wir standen direkt an meinem Auto und haben den Hubschrauber gesehen, wie er auf uns zukommt", sagt Karl-Heinz Krause mit erstickter Stimme, dann unterbricht er sich. Das, was vor 50 Jahren passiert ist, scheint plötzlich wieder ganz nah. "Hanjo sagte, der Pilot unterschreitet die Sicherheitsmindesthöhe, wir müssten das nachmessen", fährt der 74-Jährige schließlich fort, die Worte kosten ihn sichtlich Kraft. "Wir hatten uns noch keine zehn Meter wegbewegt, da hat der Heckrotor des Hubschraubers den Boden berührt und ist aufs Auto geprallt." Das Auto wurde in den Boden gedrückt und nach hinten geschoben, an der Kante der Asphaltbahn überschlug es sich. Das Heck des Hubschraubers wurde abgerissen, das Cockpit rutschte noch etwa 30 Meter über die Startbahn, so die Augenzeugen.

Die 17-jährige Gabriele Renninger, die am Auto gelehnt hatte, war sofort tot. Ihr Vater, Richard Renninger, zweiter Vorsitzender des Flugsportclubs, hatte sich vor dem absackenden Hubschrauber gerade noch zu Boden werfen können. Ebenfalls getötet wurden der 32-jährige Walter Dürer, damaliger Geschäftsführer der Raiffeisenbank Giebelstadt, der 23-jährige Bäcker Karlheinz Helfricht und der 43-jährige Fluglehrer Willi Möller. Helfricht hatte nur wenige Monate zuvor einen Unfall auf der B19 schwer verletzt überlebt.

Der Hubschrauber-Pilot wurde laut damaligen Zeitungsberichten schwer, der Co-Pilot leicht verletzt; drei weitere Mitglieder des Flugsportclubs erlitten zum Teil schwere Verletzungen.

Der völlig zerstörte Cobra-Kampfhubschrauber.
Foto: Polizei Ochsenfurt/Archiv des FSCG | Der völlig zerstörte Cobra-Kampfhubschrauber.

Trotz Schock löste Golinski bei der Flugplatz-Vermittlung Großalarm aus

"Die später Getöteten standen gegen 11.30 Uhr am Start-Tisch (…), dort lagen auch ihre Leichen, als die ersten Helfer eintrafen, ein Opfer war noch 15 Meter weit mitgeschleift worden", heißt es im Bericht der Main-Post vom 12. Juni 1973.

"Wir hätten genauso dran sein können", sagt Hanjo Golinski und wirkt noch immer sichtlich erschüttert. "Wir standen unmittelbar neben den Opfern Gabriele Renninger und Karlheinz Helfricht – als der Hubschrauber uns überflogen hat, haben wir uns instinktiv zu Boden geworfen", sagt Karl-Heinz Krause.

Spurensicherung nach dem Unglück: Auf Position 3 stand das Auto des Augenzeugen Karl-Heinz Krause.
Foto: Polizei Ochsenfurt/Archiv des FSCG | Spurensicherung nach dem Unglück: Auf Position 3 stand das Auto des Augenzeugen Karl-Heinz Krause.

Damals schaltete sein Körper in den Notfall-Modus: Nach dem Absturz stieg Golinski in das Auto eines Flugkameraden, fuhr zur Telefon-Vermittlung auf dem Flugplatz und löste dort einen Großalarm aus. Anschließend fuhr er zurück, "und dann bin ich zusammengeklappt", so der 74-Jährige. Mit einem Schock wurde er ins Krankenhaus eingeliefert. "Wir haben Verletzte und Tote gesehen – diesen Anblick kann man nie mehr auslöschen", sagt er.

"Diejenigen, die am 11. Juni nicht dabei waren, waren schließlich der Motor, dass es (mit dem Flugsportclub) weiterging."
Karl-Heinz Krause, Augenzeuge des Hubschrauber-Unglücks von 1973

"Der große Zusammenbruch kam erst am nächsten Tag", erinnert sich Karl-Heinz Krause. Im Moment des Unglücks "entwickelt man ganz andere Kräfte, man handelt instinktiv richtig". So habe er versucht, Richard Renninger von seiner getöteten Tochter fernzuhalten. "Wo ist die Gabi?", sei dessen einzige Frage gewesen. Am Abend fährt Krause den zweiten Vorsitzenden allein nach Hause. "So etwas wie Notfallseelsorger gab es damals noch nicht", sagt Hanjo Golinski. Man sei nach dem Unfall einfach nach Hause geschickt worden. Noch heute werden beide unruhig, wenn sie das Geräusch eines Hubschraubers hören, noch heute haben sie das Gefühl, sofort in Habachtstellung gehen zu müssen.

Mit dieser Todesanzeige gedachte der Flugsportclub Giebelstadt seinen drei Kameraden und seiner Kameradin, die beim Hubschrauber-Unglück getötet worden waren.
Foto: Archiv Robert Popp/Main-Post | Mit dieser Todesanzeige gedachte der Flugsportclub Giebelstadt seinen drei Kameraden und seiner Kameradin, die beim Hubschrauber-Unglück getötet worden waren.

Nach dem Unglück war unklar, wie es mit dem Flugsportclub Giebelstadt weitergeht. "Wir haben hin- und herüberlegt, ob wir weitermachen sollen", sagt Hanjo Golinski. "Wir mussten alle erstmal den Schock überwinden." Die damals zirka 15 bis 20 am Flugplatz anwesenden Club-Mitglieder waren der Stamm des Vereins gewesen; unter den Getöteten befanden sich die Tochter des zweiten Vorsitzenden und der Kassier des Vereins. "Diejenigen, die am 11. Juni nicht dabei waren, und der erste Vorsitzende Rudi Liewald waren der Motor, dass es weiterging", erinnert sich Krause. Manche seien ausgeschieden, weil sie sich nicht vorstellen konnten, an den Ort des Geschehens zurückzukehren. "Es war schwer am Anfang", so Golinski, "aber wenn du einmal mit der Fliegerei verwachsen bist…"

Enge Verbundenheit zum Segelfliegen von Kindheit an

Sowohl Hanjo Golinksi als auch Karl-Heinz Krause sind seit ihrer Kindheit mit dem Segelfliegen verbunden: 1952 wurde der Flugsportclub Giebelstadt (FSCG) offiziell gegründet, Golinskis Vater war eins der Gründungsmitglieder. Ende der 60er Jahre treten Golinski und Krause dem FSCG bei.

"Ich bin ein absoluter Segelflieger, ich hab' mein Leben lang kein anderes Hobby ausgeübt", sagt Karl-Heinz Krause. Segelfliegen ist für ihn kein normales Hobby – "das geht nur im Team, Alt und Jung gemeinsam: Damit einer fliegen kann, müssen am Boden vier Leute tätig sein". Hanjo Golinski schätzt die Kameradschaft unter den Fliegern und Fliegerinnen. Zuverlässigkeit, schöne Abende, an denen man sich gegenseitig seine Flugerlebnisse des Tages erzähle, enger Kontakt zur Natur – das alles verbinden die 74-Jährigen mit dem Segelfliegen.

Zähes Verfahren belastete die Hinterbliebenen der Getöteten

Was beide bis heute bitter stimmt, ist das langwierige Verfahren im Nachgang des Unglücks sowie die Tatsache, dass jugendliche Opfer im Hinblick auf Entschädigungen anders bewertet wurden als Erwachsene. "Schnellere Entschädigungen für die Hinterbliebenen der Opfer wären wünschenswert gewesen", sagt Krause. Es habe bis 1975 gedauert, bis das zuständige Amt für Verteidigungslasten den Fall abgewickelt hatte.

Der Unglückscrew gegenüber verspüren die beiden Männer dagegen keinen Groll: "Das waren selbst Piloten, die wollten das ja auch nicht", sagt Goliniski. "Wir hatten immer ein hervorragendes Verhältnis zu den Amerikanern in Giebelstadt", so Krause. Die Piloten seien zur Behandlung ihrer Verletzungen nach Amerika verlegt worden, man habe sich nicht wiedergesehen.

Wie haben Karl-Heinz Krause und Hanjo Golinski seitdem den 11. Juni verbracht? "Wir haben uns getroffen, eine Gedenkminute eingelegt und sind auf die Friedhöfe gegangen", sagt Golinski. Auch an diesem Sonntag, dem 50. Jahrestag des Unglücks, werden sie sich mit Hinterbliebenen am Flugplatz zu einer Gedenkminute treffen.

Hinweis der Redaktion: Trotz sorgfältiger Recherche konnte der Rechteinhaber der historischen Fotos nicht ermittelt werden. Rechteinhaber werden gebeten, sich bei der Redaktion zu melden.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Giebelstadt
Catharina Hettiger
Flugsportclub Giebelstadt
Kampfhubschrauber
Krankenhaus Tauberbischofsheim
Segelflieger
Startbahnen
US-Soldaten
Vietnam-Krieg (1961-1974)
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top