In der Rolle der Helga Beimer war Marie-Luise Marjan die Mutter der TV-Nation. Nach über 34 Jahren geht die "Lindenstraße", die erste Soap im deutschen Fernsehen, am Sonntag, 29. März, zu Ende. Für die Vollblut-Schauspielerin ein Moment der Wehmut, schließlich war sie von der ersten bis zur 1758. Folge dabei. Gleichwohl muss den Fans und Freunden der 79-Jährigen nicht bange sein. Im Interview strotzt Marie-Luise Marjan nur so von Vitalität. Sie freut sich – nach einer vermutlich eher kurzen Erholungspause – auf neue Fernsehprojekte, sie lebt für ihre Patenkinder und hat endlich wieder mehr Zeit für die Familie, die zu großen Teilen in Würzburg und Umgebung lebt.
Marie-Luise Marjan: Moment, ich muss Sie unterbrechen. Sagen Sie mir erst einmal, über was wir reden wollen.
Marjan: Familie ist ganz wichtig, damit fangen wir an. Ich grüße meine Familie in Würzburg. Im Oktober sehen wir uns alle wieder zum Familientag.
Marjan: Ein großes Glück. Bei den Treffen einmal im Jahr kommen immer so um die 30 Leute zusammen. Meine Cousins und Cousinen Alfred, Erich, Maria und Johanna sind alle verheiratet, haben Kinder und Kindeskinder. Alle sind sehr bescheiden im Auftreten, sie sind ja Franken.
Marjan: Ja, die Franken sind eher zurückhaltend. In Augsburg habe ich noch einen direkten Cousin. Er heißt Karl und ist der einzige, der den Namen Offner weiterträgt und ihn weitervererbt. Mein Vater Toni Offner ist im Krieg als Flieger abgestürzt, mit 28 Jahren.
Marjan: Ja, einen Halbbruder, er ist fünf Jahre jünger als ich. Das ist die Linie von meiner leiblichen Mutter.
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Marjan: Wir telefonieren sehr oft. Im Mai fahre ich zu seinem Geburtstag nach Bad Hindelang im Allgäu. Denn ich habe ja jetzt etwas mehr Zeit.
Marjan: Oh nein. Ich habe so viel zu tun. Jetzt, kurz vor dem Ende der Serie, muss ich fast jeden Tag ein Interview geben. Der Kalender ist voll bis Ende März. Ab April wird es dann etwas ruhiger, hoffe ich.
Marjan: Wenn ich Ihnen jetzt erzählen würde, wie die Serie endet, müsste ich 15 000 Euro Strafe bezahlen. Das mache ich nicht. Es wäre auch schade, die „Lindenstraße“ soll schließlich spannend bis zum Schluss bleiben.
Marjan: Also, jetzt überlegen Sie mal. Ich bin seit über 34 Jahren dabei, das ist ein langer Lebensabschnitt. Wie lange sind Sie schon als Redakteur angestellt?
Marjan: Dann sind wir gleich lange dabei. Nur, dass Sie weitermachen können – uns ist das verwehrt. Wenn Sie jetzt keine Arbeit mehr hätten, was wäre das für ein Gefühl für Sie?
Marjan: Wissen Sie, erst so langsam fange ich an, das Ende der „Lindenstraße“ zu begreifen. Wir hatten ein ganzes Abschiedsjahr. Jeder Regisseur, der seine Staffel abgedreht hatte, jeder Schauspieler, dessen Rolle zu Ende ging, wurde von Hana und Hans Geißendörfer, den Produzenten, persönlich verabschiedet mit Blumen und Champagner. Das haben wir gefeiert.
Marjan: Ich musste bis zum Schluss drehen, da konnte mich gar nicht so mit meinem Abschied beschäftigen. Am letzten Drehtag hatten Irene Fischer (Anna) und ich eine sehr emotionale Szene, unsere allerletzte Szene überhaupt. Als wir vom Filmset kamen, stand das Studio voller Menschen: die Maske, die Garderobe, die Kollegen, das gesamte Team. Sie hörten nicht auf zu applaudieren, da flossen natürlich die Tränen, es war einfach sehr emotional. Viele von ihnen haben fast ihr ganzes Leben in der Lindenstraße verbracht.
Marjan: Ich habe zuvor 20 Jahre Theater gespielt, unter anderem bei der Freien Volksbühne Berlin, am Thalia Theater Hamburg und zwölf Jahre am Schauspielhaus in Bochum, unter Hans Schalla und Peter Zadek. In der Zadek-Ära kamen dann verstärkt Anfragen für das Fernsehen, 1985 für die Serie „Lindenstraße“.
Marjan: Das hat wohl keiner gedacht. Am Anfang schon gar nicht, da wurde viel an der Serie rumgemäkelt. Es war eine andere Zeit, die Zuschauer waren „Dallas“ und „Denver“ gewöhnt, Serien aus einer anderen Welt, wo die Protagonisten am Morgen schon geschminkt aus dem Bett stiegen. Und nun kamen wir mit dem wahren Alltag.
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Marjan: Das stimmt. Aber das änderte sich, zum Ärger des Publikums. Nachdem Hans Beimer Helga verlassen hatte, sind die Zuschauer auf die Straße gegangen. Bei einer Demo in Bamberg zum Beispiel, da wurden Transparente hochgehalten: „Womit hat Helga das verdient?“ Oder auch: „Hansemann und Taube sollen wieder zusammenkommen.“ Aber der Alt-68er Geißendörfer wollte keine heile Welt zeigen, er wollte sich mit der „Lindenstraße“ auch politisch engagieren.
Marjan: Auch Migration. Zum Zehnjährigen der Lindenstraße gab es eine Broschüre, da wurden alle Themen aufgeführt, das reichte von A wie Aberglaube und Aids bis Z wie Zahnschmerzen und Zölibat. Das waren damals schon 665 Begriffe.
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Marjan: Hören Sie mal: Ich finde den Ausdruck „nachgelassen“ so was von falsch. Erstens hat die „Lindenstraße“ ein Alleinstellungsmerkmal, es gab keine anderen Soaps, nichts Vergleichbares, was der „Lindenstraße“ das Wasser reichen konnte. Später kamen sogar Jungproduzenten, um bei uns das Serienhandwerk zu lernen. Die meisten Serien sind aber wieder verschwunden. Wir sind noch da, bis Ende März im Fernsehen. Und weiterhin in den digitalen Kanälen, in der Kinemathek in Berlin, auch im Museum. Die „Lindenstraße“ stirbt nicht, sie ist deutsche Fernsehgeschichte, die bleibt.
Marjan: Lange Jahre hatten wir noch zehn Millionen, dann fünf Millionen Zuschauer jeden Sonntag. Wie heute mit Zahlen und Quoten gehandelt wird, das ist schon fast unanständig. Wir haben jeden Sonntag über zwei Millionen Zuschauer, nach 34 Jahren. Das ist Wahnsinn in der heutigen Fernsehlandschaft. Sie dürfen nicht vergessen, dass es heute viel mehr Sender und Programme gibt. Außerdem ist die Gesellschaft mobiler geworden. Die Leute gucken „Lindenstraße“ auf dem I-Pad, auf dem Smartphone, am Computer. Das wird alles nicht gerechnet, aber da können Sie locker nochmal zwei Millionen hinzuzählen. Wir stehen doch top da.
Marjan: Also, es gibt einige Angebote, aber ich muss die erst sichten. Dieses Jahr werde ich nur Lesungen annehmen. Ich sage immer, jetzt kommt der dritte Lebensabschnitt. Wie lange werde ich noch leben?
Marjan: Ja, die Hundert könnte ich ansteuern. 20 Jahre noch? Wenn die Welt nicht vorher kaputt geht. Furchtbar, was man so in den Nachrichten hört. Aber ich lasse mich nicht unterkriegen. Zunächst muss ich erst mal die Feier zu meinem 80. Geburtstag im August vorbereiten.
Marjan: Mit mir hat nie jemand gesprochen. Wahrscheinlich hat die Presseabteilung von RTL den Wunsch geäußert, es wäre doch ein Knaller, wenn die beliebte Mutter Beimer zu uns in die Serie käme. Bei so viel Lob habe ich mich gebauchpinselt gefühlt. Aber ich habe nie daran gedacht, in eine lang laufende Daily Soap einzusteigen.
Marjan: So eine Art Miss Marple, eine Kommissarin mit Augenzwinkern, die könnte ich mir vorstellen. Aber auch schöne Liebesfilme, nach den Büchern von Rosamunde Pilcher. Im Sommer in Cornwall drehen, das wäre schön… Aber jetzt erst mal langsam, langsam.
Marjan: Ein paar Worte genügen da eigentlich nicht. Seit 29 Jahren setze ich mich ehrenamtlich für die Kinderhilfswerke Unicef und Plan ein. Ich habe eine eigene Stiftung unter dem Dach von Plan gegründet und kümmere mich immer wieder um meine Patenkinder.
Marjan: Das erste Patenkind, ab 1990, war ein Mädchen namens Sulachana in Indien, dann folgten Sunil in Sri Lanka und Yen in Vietnam, später Fabiola in Paraguay und die kleine Alexis in Haiti. Ich habe sie alle besucht, hatte sichtbaren Anteil an ihren Entwicklungen und konnte direkt erfahren, wie sie mit ihren Familien in ihren Dörfern leben. Das jüngste Patenkind ist Juvencia in Mosambik, die habe ich noch nicht persönlich kennengelernt.
Marjan: Diese Begegnungen empfinde ich immer als sehr beglückend. Es ist auch wichtig, den vielen Unterstützern zu zeigen, was aus ihrem gespendeten Geld geworden ist. Daher ist immer ein Kamerateam dabei und macht dokumentarische Beiträge. Reden kann man viel, aber die Menschen haben einen Anspruch darauf, auch das Ergebnis ihrer Unterstützung zu sehen. Kinder geben den Spenden ein Gesicht.