Einmal im Jahr, heuer an diesem Sonntag, 28. April, wird der Würzburger Residenzplatz in Blau geflutet. Dann schicken sich mehr als hundert Kinder, Jugendliche und Erwachsene in ihren strahlend blauen T-Shirts mit der Aufschrift "Annettes Kinderturnen e.V. Der Verein, der alle bewegt" an, ihre Strecken beim Würzburger Residenzlauf zu bewältigen. Für die meisten von ihnen ist das eine große Herausforderung, haben sie doch mit zum Teil erheblichen körperlichen oder geistigen Handicaps zu kämpfen. Aber zu kämpfen haben sie in ihren zahlreichen Übungseinheiten gelernt. Und so wird dieser Kampf vor der Residenz für die meisten von ihnen zu einer gewinnenden und bewegenden Erfahrung – und sorgt für ein hundertfaches großes Strahlen in Blau!
Verantwortlich für dieses Strahlen ist Annette Wolz. Die Erzieherin arbeitet hauptberuflich als Leiterin der offenen Ganztagsschule an der Mönchbergschule und betreut dort Kinder aus 54 Nationen. Und quasi im Nebenberuf leitet sie den inklusiven Verein "Annettes Kinderturnen", in dem die 58-jährige Mutter einer 26-jährigen Tochter pro Woche sechs Stunden Kinderturnen, vier Stunden Taiji/Qigong, zwei Stunden Neuro-Reha-Sport und Wassergymnastik sowie achteinhalb Stunden Schwimmen betreut. Die Einheiten finden in Stadt und Landkreis Würzburg statt und bieten für 60 Euro Jahresbeitrag alles, was das Sportherz eines Menschen mit oder ohne Handicap begehrt. Etwa 230 Mitglieder hat der 2008 gegründete inklusive Verein mittlerweile und mit Ausnahme der Verwaltung – Kassenwart ist zum Beispiel Annettes Papa – macht Annette Wolz dort "praktisch alles"!
Der Verein wurde bereits mehrfach ausgezeichnet
Und das nicht nur mit Engagement und Ausdauer, sondern ganz offensichtlich auch richtig gut. Jedenfalls hat ihr eingetragener Verein schon acht Auszeichnungen eingeheimst, darunter das vom Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales sowie vom Bayerischen Behinderten- und Rehabilitations-Sportverband verliehene Siegel "EISs" (Erlebte Inklusive Sportschule). Erfreulich für den Verein: Derartige Auszeichnungen sind oft mit Fördermaßnahmen oder Zuschüssen für Sportgeräte verbunden. Denn alleine mit den Jahresbeiträgen lässt sich ein inklusiver Verein, der Hallenmiete, spezielle Sportgeräte und Fahrtkosten stemmen muss, kaum finanzieren.
Doch was motiviert Annette Wolz, ihre nahezu komplette Freizeit dem inklusiven Sportangebot zu widmen? Zunächst war da ein sogenanntes Aha-Erlebnis, als sie mit ihrer dreijährigen Tochter zum Kinderturnen ging "und die Kleinen dort viel zu viel herumstanden". Also versuchte sie es selbst und gestaltete 2001 an der Burkharder Schule in Würzburg zwei Einheiten pro Woche mit Kindergartenkindern und deren Geschwister.
Das machte nicht nur Spaß, sondern es gab auch so viel Lob und Anerkennung, dass für Annette Wolz der Weg vorgezeichnet war. Zunächst machte sie eine Übungsleiter-Ausbildung für Breiten- und Behindertensport, dann ließ sich über sieben Jahre hinweg in Taiji und Qi Gong schulen und erwarb einen Neuro-Reha-Schein. Durch diese Ausbildung darf sie laut Primärpräventions-Gesetz manche Kurse fast vollständig mit der Krankenkasse abrechnen und kann ihre Vereinsmitglieder so finanziell entlasten.
Ein Kindersport, der gut für alle ist
2008 schließlich gründete sie "Annettes Kinderturnen e.V.". Sie wollte einen Kindersport anbieten, "der gut für alle ist". Auch Schwerstbehinderte sollten eine Möglichkeit bekommen, ihrem Bewegungsdrang nachgeben zu können. "Ich habe immer gesagt, dass ich für alle da sein und es schaffen muss, allen gerecht zu werden", sagt die 58-Jährige. "Die Welt ist bunt, das lernen die Kinder von alleine. Alle gucken voneinander ab, jeder lernt von jedem! Meine Kurse belege ich zu 60 Prozent mit Menschen ohne und zu 40 Prozent mit Menschen mit Handicap. Das ist der inklusive Gedanke."
Und nun also wieder der Residenzlauf. "Unser Vereins-Höhepunkt", sagt Annette Wolz. Seit Januar wird speziell für diesen Lauf trainiert, seit Februar läuft die Organisation. "Du brauchst ja für nahezu jeden Teilnehmenden eine Art Beipackzettel", sagt die Würzburgerin. Der eine möchte beim Laufen gerne allen die Hand geben, die andere nur neben Annette laufen. "Das muss alles be- und abgesprochen werden." Deshalb sind die ersten am Residenzlauf-Sonntag auch schon um 7 Uhr in der Früh da. Zum Glück gibt es seit geraumer Zeit die Möglichkeit, mit Handicap-Kindern in der Residenz auf die Toilette gehen zu können. "Unser blaues T-Shirt ist quasi die Eintrittskarte für den geschützten Raum Residenz. Dafür haben wir ein wenig kämpfen müssen, waren aber letztendlich erfolgreich. Das ist wirklich wichtig für uns", sagt die Erzieherin.
Siegerehrung zeigt die Wertschätzung
Gelaufen wird im blauen T-Shirt von allen mit Zeitnahme. Denn etwa sechs Wochen nach dem Residenzlauf gibt es an der Treppe vor der Kirche im Steinbachtal eine Siegerehrung, bei der jede und jeder getrennt nach Leistungsgruppe, Alter und Geschlecht eine Urkunde und ein kleines Präsent wie Gummibärchen, Stifte, Handtücher oder Duschsachen bekommt. "Das ist mir einfach wichtig, da geht es ja auch um Wertschätzung", sagt Annette Wolz, die stets auf der Suche nach Unterstützern für ihre Sportler/innen ist. So spendet zum Beispiel die Firma bofrost seit 2008 nach dem Bambini- und dem No-Limits-Lauf für jede/n im blauen T-Shirt auf dem Residenzplatz ein Eis. "Für viele ein echtes Highlight", freut sich die Würzburgerin jetzt schon wieder auf grinsende Schleckermäuler.
Die Vorfreude auf den 34. Residenzlauf ist bei der 58-Jährigen generell sehr hoch. Die Vorbereitungen jedenfalls sind bislang absolut rund gelaufen und genügend Helferinnen und Helfer haben sich auch wieder gemeldet. "Ohne die würde das nie und nimmer funktionieren", sagt die Vereins-Chefin. Bislang freilich gab es noch nie Probleme, ausreichend Unterstützende zu finden. Wahrscheinlich deshalb, weil es halt mehr Menschen gibt, die wie Annette Wolz denken: "Ich tue etwas Gutes, mache Menschen damit glücklich - und mich selbst auch!"