Posten. Zocken. Streamen. Pausenlos online sein. Für immer mehr Menschen ist ein Alltag ohne Smartphone und Internet undenkbar. Mindestens drei Stunden pro Tag sind zwölf bis 25-Jährige nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in ihrer Freizeit im Schnitt im Netz. Ist das schon zu viel – oder gar gefährlich? "Sucht beginnt dann, wenn man durch den Konsum so eingeschränkt ist, dass man andere Dinge vernachlässigt", sagt Dr. Klaus Wölfling. Der Leiter der Ambulanz für Spielsucht an der Psychosomatischen Klinik der Universitätsmedizin Mainz erforscht seit Jahren die Phänomene Online- und Computerspielsucht. Am 2. Juli ist er zu Gast an der Uni Würzburg. Im Interview erklärt der Psychologe, was Social Media mit Alkohol und Kokain gemeinsam hat.
Wie oft ziehen Sie selbst pro Tag das Handy aus der Hosentasche?
Dr. Klaus Wölfling: Nicht allzu häufig, da ich meist im Patientengespräch bin. Aber ich schaue natürlich auch nach Nachrichten und Informationen. Was ich nicht mehr mache, ist dienstliche E-Mails aus der Klinik am Wochenende oder nach 18 Uhr zu lesen. Das war ein Lernprozess.
Der gelingt nicht allen. Ab wann wird denn normale Handy-Nutzung zur Sucht?
Wölfling: Das kann man nicht unbedingt an der Häufigkeit der Nutzung festmachen. Es geht eher darum, ob psychische Folgeerscheinungen auftreten. Das heißt Sucht beginnt dann, wenn man durch den Konsum so eingeschränkt ist, dass man andere Dinge vernachlässigt. Oder wenn es zu Entzugserscheinungen kommt, wenn das Handy aus bleiben muss. Manchmal sind es bestimmte Nutzungsformen, die besonderes Suchtpotential für Betroffene haben – wie zum Beispiel Spiele oder Social Media.
Sind Facebook, Instagram und Co. heute also das, was vor 30 Jahren die Tabakindustrie war?
Wölfling: Das ist aktuell noch nicht ganz so, aber es gibt natürlich Parallelen. In der kommenden Klassifikation der psychischen Krankheiten sind bei Internetsucht nicht mehr nur Codes für Spielsucht vorgesehen, sondern auch für sonstige Formen des Internets. Im Kampf gegen diese Süchte sind dann auch Social-Media-Plattformen gefragt, die im Prinzip etwas anbieten, das Suchtpotenzial besitzt.
Was ist es denn, was süchtig daran macht?
Wölfling: Speziell bei Social Media geht es um die Selbstwertzufuhr, die dort leicht zu erreichen ist. Und um die ständige Verfügbarkeit von Kontakten und scheinbarer Nähe, die im wirklichen Leben nicht existieren. Ein anderer Punkt ist, dass Abwechslung und Aktivität immer möglich sind. Das Aushalten von Langeweile hingegen ist heutzutage für manche Personen schwierig.
Ist es richtig, dass wie bei Alkohol oder Nikotin auch beim übermäßigen Gebrauch von Smartphones im Gehirn zu viel Dopamin ausgeschüttet wird?
Wölfling: Ja, man geht heute davon aus, das Neurotransmitter wie Dopamin zum Beispiel die Sucht modulieren. Nicht nur Alkohol, Cannabis oder Kokain werden so durch die Veränderung des Belohnungssystems zum Suchtstoff – sondern eben auch das Verhalten in Computerspielen oder sozialen Netzwerken. Tatsächlich hat die Social-Media-Nutzung im Prinzip einen Effekt darauf, wie Personen Belohnung erleben. Das heißt, man ist nicht abhängig nach dem bestimmten Stoff, sondern sozusagen nach der Belohnung für ein bestimmtes Verhalten.
Ist es dabei egal, ob ich mich in der digitalen Welt auf dem Handy oder am Laptop bewege?
Wölfling: Laptop und PC haben ein höheres Suchtpotential, da die Nutzer meist weniger rausgehen und damit auch mit weniger Eindrücken konfrontiert werden. Je mehr man sich isoliert, desto mehr leistet das der Sucht Vorschub.
Neben dieser Isolation: Was ist an der Online- oder Handysucht gefährlich?
Wölfling: Es kann zu körperlichen Auswirkungen, fast Entzugserscheinungen kommen, wenn man das Handy längere Zeit nicht nutzen oder nicht spielen kann. Beispielsweise spürt man innere Unruhe, man schwitzt, zittert. Auf der anderen Seite beeinträchtigt eine Sucht das normale, gesunde Leben. Betroffene vernachlässigen etwa die Beziehung, den Beruf oder die Körperpflege und rutschen so in eine Spirale ab.
Sind davon eher junge Leute betroffen oder auch ältere?
Wölfling: Im Prinzip ist der Großteil der Patienten zwischen 20 und 30 Jahre alt, das ist auch international so beschrieben. Aber zu uns in die Ambulanz kommen auch Betroffene mit 67. Es ist also ebenfalls ein Phänomen des Erwachsenenalters, auch wenn es häufig als Jugendproblem gilt. Wichtig ist: Bereits im Jugendalter, also unter 20, gibt es bestimmte Aspekte, die die Basis für späteres Suchtverhalten legen.
Welche Aspekte sind das zum Beispiel?
Wölfling: Wenn man im Alter von unter zehn Jahren schon sehr intensiv Handy und Computer nutzt beispielsweise. Oder wenn es keine Grenzen gibt, wenn ohne Regeln konsumiert wird. Den Kindern das Handy auch mal zu verweigern, das ist sicher eine unangenehme Erziehungsaufgabe der Eltern. Aber passiert das nicht, dann entsteht häufig im Erwachsenenalter die Suchterkrankung.
Wie viel Internet, Laptop und Handy erlauben Sie denn Ihren Kindern?
Wölfling: Unterhalb des zwölften Lebensjahres sollten es eigentlich nur zwischen ein- und eineinhalb Stunden täglich sein, ab dem zwölften Lebensjahr ein bisschen mehr. Das sind Empfehlungen, die beispielsweise auch amerikanische Kinderärzte vertreten, und da gehe ich ganz klar mit.
- Sucht-Studie: So gefährlich sind Computerspiele für Kinder
- Immer online, immer gehetzt: Über die Sehnsucht nach Entschleunigung
Und wie kann man Handy-Sucht behandeln? Smartphone aus und das war’s?
Wölfling: Das ist ein längerer Prozess. Da geht es zunächst darum, zu erkennen, ob der Patient so stark abhängig ist, dass ein stationärer Entzug in einer Klinik nötig ist oder ob eine ambulante Betreuung reicht. In der Therapie schaut man dann, welche Funktion das Suchtverhalten hat, was innerpsychisch durch den Konsum befriedigt wird und was im eigentlichen Leben unerreicht bleibt. Gleichzeitig ist es auch wichtig, zu prüfen, wo das Suchtverhalten her kam.
Mit Chancen und Schattenseiten der Digitalisierung unseres Alltags sowie Einsatzmöglichkeiten Künstlicher Intelligenz im privaten, medizinischen und therapeutischen Bereich beschäftigt sich die öffentliche Informations- und Vortragsveranstaltung des Arbeitskreises Suchthilfe der Uni Würzburg. Von 14 bis 17.30 Uhr geht es am 2. Juli in der Neubaukirche (Domerschulstraße 16) in Würzburg um das Thema "Künstliche Intelligenz – Chancen und Risiken für den Menschen".