Die beiden Frauen aus Unterfranken könnten unterschiedlicher nicht sein: Die eine ist groß, schlank, mit rot-blonden Strähnchen und ansteckendem Lachen. Sie wirkt taff, selbstbewusst. Die 21-jährige kann zupacken. Das sieht man ihr an, wenn sie ihr 13 Monate altes Baby in die Höhe hebt, bis es vor Freude quietscht. Die andere Frau hat lange dunkle Haare, wirkt schüchtern, sanft. Die 22-Jährige spricht leise, nachdenklich. Was sie sagt, hat Hand und Fuß. Sie wirkt wie das Mädchen aus gut behütetem Haus. Zwei Jahre zuvor waren beide drogenabhängig. Darum wollen sie anonym bleiben.
- Lesen Sie auch: Warum ein Joint heute gefährlicher ist als vor zehn Jahren
Die 21-jährige fing mit 14 an, Cannabis zu rauchen. Erst mit Freunden, dann zuhause, allein, täglich. Mit 18 kam der Reiz nach mehr. Sie probierte synthetische Drogen. "Amphetamin macht wach. Um runter zu kommen, habe ich gekifft. Da war mir alles egal. Ich wollte mich nicht mehr bewegen. Dann musste ich fit sein, also wieder Aufputschmittel, ein endloser Teufelskreis." Mit 20 wurde sie von der Polizei erwischt, verlor ihren Führerschein, wurde schwanger. Beim ersten Ultraschallbild durchzuckte sie die Gewissheit: "Das kann ich meinem Kind nicht antun!"
Die 22-jährige probierte Ecstasy auf einer Party. "Das ist nicht schlimm. Alle machen das", sagte ein Kumpel. Die Wirkung überwältigte sie: "Ich war voller Euphorie, wollte mit jedem kuscheln." Bei Ecstasy wird der Körper mit Serotonin, dem Botenstoff der Glücksempfindung, geflutet. Lässt die Wirkung nach, sind die Speicher leer, die Aufnahme wird sogar gehemmt. "Das Runterkommen war übel. Ich musste weinen. Nachts konnte ich nicht schlafen, bin durchs Dorf gelaufen und dachte ´Das mach ich nie mehr!`". Zwei Wochen später schluckte sie wieder Pillen. Irgendwann rauchte sie Cannabis, konsumierte Speed, später Kokain und DMT.
- Lesen Sie auch: Immer mehr Cannabis-Konsumenten landen in der Suchthilfe
Nach außen lief ihr Leben weiter. Sie arbeitete, ging in der Mittagspause heim und schlief, um den Tag durchzustehen. "Ich habe es so gedreht, dass niemand etwas mitbekommt. Doch jedes Mal, wenn die Wirkung nachließ, kam die Depression. Ich war so verzweifelt." Sie wechselte ihren Freundeskreis, gab Hobbys auf, wurde schlecht in der Berufsschule und zog sich zurück. Monate später konnte sie ihre Sucht nicht länger verheimlichen. Die Eltern waren entsetzt. "Doch Erwachsene, die schreien, machen alles nur schlimmer. Einfühlsamkeit, das hätte ich gebraucht", sagt die 22-Jährige rückblickend.
Ganz anders erging es ihrer Leidensgenossin: "Wenn ich geraucht habe, sagte meine Mutter: `Das ist nicht so schlimm. Das haben wir früher auch gemacht. Cannabis wird sogar in der Medizin verwendet." Heute würde die 21-Jährige widersprechen: "Auch Cannabis ist schlimm. Wenn man einmal drin hängt, kommt man nicht mehr raus - vor allem mit 14."
Sechs Monate Entzug während der Schwangerschaft
Die Schwangere ging sechs Monate lang durch die Hölle, wie sie selbst sagt. "Nachts hatte ich Alpträume, habe geschrien, bin schweißgebadet aufgewacht. Mir war übel. Ich stand unter innerlicher Unruhe, als hätte ich Ameisen im ganzen Körper." Dann war es vorbei. Noch in der Schwangerschaft absolvierte sie "FreD", das Projekt zur Frühintervention bei erstauffälligen Drogenkonsumenten: "Der Kurs hat mich bestärkt. Ich weiß, wo ich nie mehr hin will!" Dann kam ihr Baby zur Welt: Es war gesund.
Die Dunkelhaarige erfuhr über eine Freundin von dem Kurs. Sie meldete sich selbst an, als einzig Freiwillige. "Auf einmal hatte ich die Risiken schwarz auf weiß, habe meinen eigenen Konsum analysiert. Mir wurde schlagartig klar: So weit ist es mit mir schon gekommen!"Monate des Entzugs und der Rückfälle später sagt sie: "Ich will ich nie mehr so drauf sein." Heute habe sie Zeit, ihr Leben zu genießen, Zeit, sich darüber zu freuen, dass: "Hey , die Sonne scheint, die Vögel zwitschern!"
An Drogen zu kommen sei einfach
An Drogen zu kommen sei einfach, sagen die beiden Frauen. Ob übers Internet oder Darknet, in Parkanlagen ("da sitzen nachts Grüppchen zusammen, schnupfen und kiffen") oder in der Schule ("die halbe Klasse hat Cannabis geraucht"), mit 14 sei es in mancher Clique schwerer, sich rauszuhalten als mitzumachen. In jedem Freundeskreis gebe es jemanden, der etwas dabei habe oder jemanden kennt, der etwas besorgen könnte. Gedealt werde bei privaten Feiern, in Diskotheken oder auf Techno-Festivals, in Städten und auf kleinen Dörfern in Unterfranken.
Die beiden Frauen sind ohne bleibende Schäden davongekommen. Andere aus ihrem Freundeskreis hatten nicht so viel Glück. Einige haben ihre Sucht nicht überlebt.