Rund eine halbe Million Menschen in Deutschland kann sich kein Leben ohne Internet und Computerspiele vorstellen. Ihr Freizeitverhalten deklarieren Ärzte als Sucht. Die Jahrestagung der Drogenbeauftragten der Bundesregierung beschäftigt sich an diesem Mittwoch in Berlin mit den Gefahren und Lösungen.
Süchtig nach Internet und Computerspielen: Ist das überhaupt eine offizielle Krankheit?
Nein. Bei der Jahrestagung der Drogenbeauftragten soll deshalb die Frage diskutiert werden, ob dieses Krankheitsbild offiziell anerkannt wird, meint die Drogenbeauftragte Marlene Mortler (CSU). Internetsüchtige sind mit ihrem Problem jedoch nicht allein: Bei vielen speziellen Beratungsstellen können sie sich Hilfe holen.
Wie entsteht Internetabhängigkeit überhaupt?
Die eine Sucht gibt es nicht, vielmehr kann sie sich in verschiedenen Formen äußern: Chatten, Gamen, Surfen, Online-Porno-Konsum. Ebenso unterschiedlich sind die Gründe. «Von Frustration über Mobbing, Depressionen oder soziale Phobien: Der Computer bietet davon Ablenkung», sagt die Oberärztin Susanne Pechler vom Isar Amper Klinikum München-Ost.
Warum sind gerade Computerspiele für viele so verlockend?
«Wir sind soziale Wesen. Es würde kein Spaß machen, wenn wir nicht mit anderen Menschen spielen würden», erklärt Dong-Seaon Chang vom Max-Planck-Institut für Biologische Kybernetik bei der Konferenz in Berlin. Bei allen menschlichen Interaktionen würden im Gehirn Belohnungsreize aktiviert – vor allem bei Spielen. Ob diese in der echten oder der virtuellen Welt ausgetragen werden, sei für diese hormonelle Wirkung - also das Glücksgefühl - egal.
Wie stark sind Erwachsene betroffen?
Computerspiel-Sucht ist kein reines Jugendphänomen, sagt Psychologe Florian Rehbein vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen. In ersten repräsentativen Studien in Niedersachsen und Deutschland stellte er zwar ein etwas höheres Suchtverhalten bei Heranwachsenden (1,2 Prozent) im Vergleich zu Erwachsenen (0,8 Prozent) fest. Nach Sicht von Oberärztin Pechler zieht sich das Phänomen durch alle Gruppen. «Ich habe Patienten im Alter von 14 bis 67 Jahren, vom Akademiker bis zum Hartz-IV-Empfänger», sagt sie. Allgemein sei zu beobachten, dass mehr Männer betroffen seien.
Was sind die Anzeichen für eine mögliche Computersucht bei Kindern?
Immer schlechtere Noten in der Schule, täglich länger als vier bis fünf Stunden vor dem Rechner, in der Freizeit nur Zocken im Kopf: Eltern sollten alarmiert sein, wenn sie Signale wie diese bei ihren Kindern feststellen, sagt Psychologe Rehbein. Oberärztin Pechler meint: «Ab 30 Stunden pro Woche wird es kritisch.»
Welche Rolle spielen mobile Games?
Die mobilen Endgeräte, also Smartphones oder Tablets, sind für Computerspielabhängigkeit immer bedeutsamer, erklärt Bert te Wildt, Oberarzt der Ambulanz der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie des LWL-Universitätsklinikums Bochum. Denn mobile Spiele würden immer professioneller und interaktiver. Dennoch: «Die meisten Betroffenen spielen eher auf leistungsfähigen Standrechnern», sagt te Wildt. Durch die zunehmende Zahl der Virtual-Reality-Spiele könnte sich das Problem verschärfen.
Wie gefährlich ist die digitale Sucht im Vergleich?
In der Wissenschaft ist das Thema Internet- und Computerspielsucht erst seit wenigen Jahren etabliert. Deshalb fehlen Untersuchungen, mit denen sich das Suchtpotenzial vergleichen lässt, sagt Rehbein. Unklar ist auch, wie sich Computerspielsucht langfristig auswirkt. «Sicher ist aber, dass sie viel geringere Auswirkungen auf finanzielle Schäden hat wie etwa bei der Glücksspielsucht.»
Wie gelingt eine Heilung?
«Fürchten muss sich niemand. Man wird nicht eingesperrt», sagt Oberärztin Pechler. Oft sei schon eine ambulante Therapie hilfreich. «In der Psychotherapie wird über die Probleme gesprochen, und es werden Auswege erarbeitet.» Auch Hausaufgaben wie ein Wochenprotokoll bekommen die Patienten. Darin müssten sie notieren, wie oft sie am Computer sitzen und wie es ihnen dabei geht. Zudem könne ein geregelter Tagesablauf helfen.