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Würzburg
"Ich muss mein Kind in die Schule bringen": 48-jährige Mutter in Würzburg wegen Schwarzfahrens vor Gericht
Lappalie oder verfolgenswerte Straftat? Eine Schwarzfahrerin stand in Würzburg vor Gericht. Wie der Fall ausgegangen ist und warum sich am Ende alle einig waren.
Weil sie mehrfach ohne Fahrschein gefahren war und ein Hausverbot ignoriert hatte, war eine zweifache Mutter am Amtsgericht Würzburg angeklagt.
Foto: Thomas Obermeier | Weil sie mehrfach ohne Fahrschein gefahren war und ein Hausverbot ignoriert hatte, war eine zweifache Mutter am Amtsgericht Würzburg angeklagt.
Aaron Niemeyer
 |  aktualisiert: 01.04.2024 02:40 Uhr

Die zierliche Frau mit den gefärbten Haaren ist aufgekratzt. "Wofür ist die Kamera?", will sie vom Reporter wissen, der vor dem Verhandlungssaal des Würzburger Amtsgerichts wartet. Als sie erfährt, dass über ihren Fall berichtet werden soll, kullern ihr erleichterte Tränen über das Gesicht: "Ich bin froh, dass die Sache jetzt vor Gericht geklärt wird", sagt die Frau.

Angeklagt war die 48-Jährige wegen des Vorwurfs des Hausfriedensbruchs sowie der Erschleichung von Leistungen: "Am 23.8.23 gegen 12 Uhr betrat die Angeklagte eine Straßenbahn im Bereich der Reuterstraße, obwohl gegen sie, wie sie wusste, ein Betretungsverbot bestand", lautete die Anklage. Außerdem habe sie damals vorsätzlich ihre Fahrkarte nicht bezahlt.

Vor Gericht landete der Fall, weil die 48-Jährige einen Strafbefehl nicht akzeptieren wollte. Dass die WVV im Jahr 2015 ein Hausverbot gegen sie ausgesprochen hatte, räumt sie ein. Dass sie mehrfach Ärger wegen Schwarzfahrens hatte, ebenfalls. Dies sei jedoch eine Sache der Vergangenheit. Was darüber hinaus passiert sein soll, ließ sich nicht klären: Hatte die zweifache Mutter in manchen Fällen eine gültige Fahrerlaubnis? Wird sie von einem Kontrolleur schikaniert? Diese Fragen blieben offen.

Wie soll die Angeklagte ohne Straßenbahn zum Heuchelhof kommen?

Wichtiger waren die Lebensumstände der Frau: "Ich wohne am Heuchelhof, ich muss mein Kind in die Schule bringen", argumentierte sie. Zur Arbeit, wenn sie denn eine habe, komme sie ebenfalls nur mit der Straßenbahn. Trotz Hausverbots habe es mit Kontrolleuren in der Vergangenheit meist auch keine Probleme gegeben, weswegen sie nicht davon ausgegangen sei, dass das Verbot noch eine Rolle spiele.

"Die Dame wurde öfter von uns kontrolliert", sagte ein als Zeuge geladener Kontrolleur. Auch vor kurzer Zeit sei die Frau wieder ohne Fahrschein angetroffen worden. Ein Auszug aus dem Zentralregister ergab, dass die Frau in der Vergangenheit schon Strafbefehle in ähnlichen Sachen erhalten hatte. Um Schwarzfahrerei und ähnliche Delikte ging es am Ende jedoch nicht mehr. 

Würzburger Richterin: "Mein Strafgefühl ist nicht besonders groß"

"Wie soll ich ohne Straßenbahn nach Hause kommen?", wollte die Angeklagte von Richterin Lisa Müller wissen. "Ich weiß es auch nicht", antwortete diese und räumte ein: "Mein Strafgefühl ist nicht besonders groß." Auch aus Sicht der Staatsanwaltschaft war der Fall nicht weiter verfolgenswert: "Es ist schwierig, wenn ich über Jahre hinweg kein öffentliches Verkehrsmittel nutzen kann", hieß es von Seiten der Anklage, die das Verfahren mit Zustimmung der Richterin einstellen ließ.

Dafür gab es kurz Applaus aus der Besucherbank, wo eine Freundin der Beschuldigten das Verfahren verfolgt hatte. "Momentan ist das Hausverbot noch in der Welt", mahnte jedoch die Staatsanwältin. Ob ein solches Hausverbot nach Jahren tatsächlich noch gültig ist, ist fraglich. Die 48-Jährige will sich nun bei der WVV darum bemühen, dass es offiziell aufgehoben wird.

 
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  • Martin Deeg
    Aus Anlass der wie gewohnt wenig sachbezogenen Diskussion hier noch die fachkundige Ansicht von Thomas Fischer, Autor des gleichnamigen Standardwerks zum StGB:

    ..."Sich durch Nichtstun Verhalten wie alle anderen" sei keine Handlungsbeschreibung im Sinn des Art. 103 Abs. 2 GG. Und das bloße Fehlen einer Berechtigung erzeuge keine abgrenzbare Tathandlung. Die Justiz hält am Gegenteil fest, weil es doch nun einmal so ist...

    ....Schwarzfahren sollte nicht weiter bestraft werden. Es ist in der Substanz nur das Nichtzahlen einer Schuld. Das reicht für keine der anderen Varianten des § 265a StGB. Die geschädigten Unternehmen können sich zivilrechtlich wirksam wehren. Das Unrecht des bloßen Schwarzfahrens ohne Zugangserschleichung rechtfertigt weder eine Verfolgung als Straftat noch eine solche als Ordnungswidrigkeit. Wenn das die Rechtsprechung nicht einsieht, muss der Gesetzgeber es ihr ins Strafgesetzbuch schreiben."

    Quelle: LTO, "Sollte Schwarz­fahren weiter bestraft werden?"
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  • Lutz Saubert
    Recht und Gerechtigkeit sind häufig zwei verschiedene Dinge.
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  • Martin Deeg
    Sagen Sie bloß!

    Allerdings passt diese Phrase hier eher nicht. Es geht um die konkrete Frage der Kriminalisierung eines nicht kriminellen Verhaltens, Art. 103 GG.
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  • Michael Zink
    Irgenwie paßt da was nicht zusammen. Vielleicht fehlt etwas im Bericht, daß das seltsame Urteil erklärt.

    "Ich wohne am Heuchelhof, ich muss mein Kind in die Schule bringen."
    Meines Wissens gibt es am Heuchelhof sogar zwei Grundschulen. Zumindest ältere Kinder sollten eigentlich allein zur Schule kommen.

    "Außerdem habe sie damals vorsätzlich ihre Fahrkarte nicht bezahlt."
    und
    "Dass sie mehrfach Ärger wegen Schwarzfahrens hatte, ebenfalls. Dies sei jedoch eine Sache der Vergangenheit."
    ist auch seltsam.
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  • Michael Heßmann
    @ Roland Albert
    Ich, als Landbewohner muss mir ein Auto leisten. Mit Nahverkehr geht nichts.
    Aber in der Stadt soll alles für lau sen.
    Bekomme ich dann die Kosten für mein Auto ersetzt?
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  • Bernhard Schebler
    @ Roland Albert, warum soll die Frau umsonst fahren, alle anderen müssen auch bezahlen!
    Will die Frau auch alle Lebensmittel umsonst?
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  • Martin Deeg
    Sagt Ihnen der Begriff "Tafel" etwas?
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  • Bernhard Schebler
    @ Martin Deeg , da sage ich besser nichts dazu, sonst wird mein Kommentar wieder gesperrt.
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  • Martin Deeg
    :-)

    By the way: das "Schwarzfahren" ging massiv zurück, als es das 9-Euro-Ticket gab (aus dem dann ja flugs ein 49-Euro-Ticket wurde, danke FDP...)
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  • Michael Zink
    Sicher, daß es zurück ging?
    Wurde vielleicht einfach nur weniger kontrolliert? Das war damals zumindest mein Verdacht.
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  • Martin Deeg
    "9-Euro-Ticket wirkte offenbar gegen Schwarz­fahren

    Nach jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes sind im Jahr 2022 die Verurteilungen wegen Schwarzfahrens deutlich zurückgegangen."....

    Quelle: LTO
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  • Michael Zink
    Wer auch immer LTO ist.

    Abgesehen davon beweist ein Rückgang der erkannten Schwarzfahrten nicht, daß weniger schwarzgefahren wurde. Es könnte auch an weniger Kontrollen oder an nicht aufgefallenen unrechtmäßig vorgezeigten Tickets gelegen haben.
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  • Martin Deeg
    ….“Von Mai auf Juni sei die Zahl der ausgestellten EBE-Bescheide um zwei Drittel zurückgegangen, sagte ein Sprecher der Nordwestbahn. Auch bei National Express verzeichnete man einer Sprecherin zufolge einen Rückgang.…

    …Grundsätzlich haben die genannten Verkehrsunternehmen eigenen Angaben zufolge seit der Einführung nichts an den Kontrollen geändert. Es habe keine Sonderkontrollen, aber auch nicht weniger Kontrollen oder weniger Personal gegeben, hieß es etwa von Vias.“…

    Quelle: Zeit

    EBE bedeutet „Erhöhtes Beförderungsentgelt“….
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  • Martin Deeg
    ….“an nicht aufgefallenen unrechtmäßig vorgezeigten Tickets“…

    Was soll das sein?
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  • Hermann Spitznagel
    Leider verstößt der Kommentar gegen die Kommentarregeln auf mainpost.de. Wir haben den Kommentar deshalb gesperrt.
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  • Martin Deeg
    ...."Auch aus Sicht der Staatsanwaltschaft war der Fall nicht weiter verfolgenswert"...

    Da stellt sich dann allerdings die Frage, weshalb hier überhaupt eine Anklage beantragt und zugelassen wurde, mit Folge einer öffentlichen Prangerwirkung und auch einer im sozialen Umfeld identifizierenden Berichterstattung - und natürlich wieder den "Urteilen" der Würzburger "Moral"-Elite hier im Forum....

    Frage: warum gibt es in Würzburg kein Sozialticket bzw. nur bis zum 3. Lebensjahr eines Kindes?
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  • Hiltrud Erhard
    Für mich geht das Urteil schon in die Richtung einer Farce. Ist das jetzt die Aufforderung für alle kein Ticket mehr zu kaufen?
    Ist das jetzt die Aufforderung an die Stadt die Kontrollen einzustellen
    Ist das jetzt die Aufforderung an die Stadt Straßenbahn fahren, umsonst zu machen?

    Sollte es nicht viel mehr die Aufgabe der Frau sein, sich einen Job zu suchen, einer Arbeit nachzugehen und ihrem Kind ein Vorbild zu sein?
    Welches Weltbild vermittelt sie da mit ihrem Kind?
    Regeln sind einfach da eingehalten zu werden. Ohne Regeln würden wir im Chaosenden!
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  • Martin Deeg
    Solange selbsternannte Erzieherinnen und Erzieher wie Sie die Einhaltung der "Regeln" und die "Moral" der Mitmenschen überwachen und anprangern, werden wir sicher nicht im "Chaos enden". Danke! Unbedingt: danke!

    Bisserl arg überheblich allerdings, auch noch das Kind der Frau für Ihre Stampede zu missbrauchen.
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  • Wolfgang Keller
    In ihrem Alter kann sie auch mit dem Rad fahren. So kommt sie auch nach Hause und macht obendrein noch etwas für ihre Gesundheit.
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  • Jo Schmitt
    Kind vergessen.

    Ach: Der Herr fährt mit der Benzinkarosse, oder liege ich daneben?
    Er kann es sich ja leisten denke ich ...

    Mich würde eher interessieren wie ein Unternehmen, das einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag (ÖDLA) umzusetzen hat ein "Hausverbot" durchbekommen hat. Das halte ich schon für ziemlich grenzwertig.

    Es ist an der Zeit, daß für Personen mit geringen Einkünften das "Sozialticket" kommt. Schon alleine deshalb, um einer Ausgrenzung an der Teilhabe - auch und gerade an Mobilität - entgegenzutreten. Auch im Sinne einer Beschäftigungssicherung.
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