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Würzburg
"Ich habe selber eine Freundin durch einen Femizid verloren" – Würzburger Aktivistinnen fordern Ende der Gewalt
Femizid: Frauen werden getötet, weil sie Frauen sind. Eine neue Würzburger Ortsgruppe und ein Jurist erklären, warum nicht von Einzelfällen gesprochen werden sollte.
Auch am 8. März wurde in Würzburg gegen Femizide und geschlechtsspezifische Gewalt demonstriert.
Foto: Patty Varasano | Auch am 8. März wurde in Würzburg gegen Femizide und geschlechtsspezifische Gewalt demonstriert.
Anna Breitling
 |  aktualisiert: 28.03.2025 02:39 Uhr

Im Dezember 2024 wird wieder eine Frau getötet, diesmal in Gelsenkirchen. Um ihr zu gedenken, rufen bald darauf Würzburgerinnen zu einer Mahnwache auf dem Würzburger Domplatz auf. Der Anlass ist einer von vielen: Im Jahre 2023, wie aus der aktuellsten Statistik des Bundeskriminalamtes hervorgeht, wurde fast täglich in Deutschland eine Frau durch einen Femizid getötet. Femizide sind Tötungen von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts. Damit sind sie die tödliche Form von geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen.

Die Mahnwache im Dezember wurde von Lilly (27) und Sandra (29), die nur mit Vornamen genannt werden wollen, als Reaktion auf den Aufruf der bundesweiten Gruppe "Stoppt Femizide" organisiert. Wie sie der Redaktion erzählen, motivierte sie der Zuspruch vor Ort zur Gründung der Ortsgruppe.

Lillys persönlicher Verlust treibt sie an

"Ich habe selbst eine Freundin aus meiner Heimat Köln durch einen Femizid verloren", erzählt Lilly. Im November 2021 wurden die 24-jährige Derya und ihr vier Jahre alter Sohn Kian durch dessen Vater ermordet. Unter anderem, weil Derya Unterhalt von ihm forderte. Der Täter wurde für den Doppelmord vom Kölner Landgericht zu lebenslanger Haft verurteilt. Für Lilly wurde der Mord an ihrer Freundin nicht eindeutig genug mit geschlechtsspezifischer Gewalt in Zusammenhang gesetzt. Diese Erfahrung treibe sie persönlich an, das Thema medial sichtbarer zu machen.

Geschlechtsspezifische Gewalt in Unterfranken

Die Polizei Unterfranken nennt verschiedene Faktoren, die erschwerend für die zahlenmäßige Erfassung von Femiziden sind. Nicht nur die Uneinigkeit über die Definition in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen sei problematisch, viele Fälle könnten aufgrund von fehlender Datengrundlagen nicht in Statistiken mit aufgenommen werden, zum Beispiel Tötungen im Prostituiertenmilieu. Die aktuellste Statistik der Polizei Unterfranken erfasste im Jahr 2023 bezüglich geschlechtsspezifischer Gewalt 632 Fälle im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt und 460 Fälle von häuslicher- und Partnerschaftsgewalt. Dabei kam es in 5 Fällen zu vollendetem Mord und Totschlag.
Quelle: anbr

Mittlerweile hat die Würzburger Gruppe an Mitgliedern gewonnen, sieben Menschen sind regelmäßig an verschiedenen Aktionen beteiligt, zuletzt anlässlich des "feministischen Kampftages" am 8. März. Durch einen Redebeitrag, einen "leeren Block" und die Auflistung der Namen von Femizidopfern, wurde den ermordeten Frauen in Deutschland gedacht. "Wir nennen ihre Namen, um den Frauen eine Stimme zu geben, die heute nicht mehr zu Wort kommen können", erklärt die Würzburgerin Sandy ihre Protestaktion.

Die beiden haben klare Forderungen: mehr Aufmerksamkeit und Reaktionen in Politik und Gesellschaft auf geschlechtsbezogene Gewalt und mehr Unterstützung für Betroffene, zum Beispiel durch den Ausbau von Frauenhäusern. Sie arbeiten nach eigener Aussage mit anderen Ortsgruppen zusammen und möchten in Zukunft auch Opferbegleitung anbieten. 

Femizide entstehen aus tief verwurzelten Geschlechterrollen

"Patriarchale Geschlechterrollen spielen bei Femiziden eine elementare Rolle in den Motiven der Täter", sagt Enis Tiz. Er promovierte an der Universität in Würzburg zum Thema "Ehrenmorde". Der Jurist erklärt die gesellschaftliche Bedeutung des Begriffs "Femizid": "Es geht um eine konkrete Bezeichnung für ein Verbrechen, das geschlechtsspezifisch gegen Frauen ausgeübt wird."

Besonders deutlich würden die Besitzvorstellungen der Täter gegenüber der Frauen an sogenannten Intimiziden – also Morden an (Ex)-Partnerinnen, die oft im Zusammenhang mit Trennungswünschen oder sexualisierter Gewalt stehen. "Wenn ich sie nicht haben kann, dann soll sie keiner haben", zitiert Tiz eine Phrase, die ihm oft in Gerichtsurteilen begegne. 

Würzburger Forscher: "Femizide dürfen nicht in den Hintergrund geraten."

Die Dunkelziffer sei immens, Bedrohung und Erpressung durch die Täter erschwerten vielen Gewaltopfern den Zugang zu Hilfestellen. "Mit einem Gang zur Polizei oder zur Hilfestelle ist es oft nicht getan", fügt Tiz hinzu. "In vielen Fällen suchen Frauen Hilfe, zum Beispiel in Frauenhäusern, und werden dann trotzdem vom Täter gefunden", berichtet er über seine Erfahrungen als Strafrechtler. Viele Frauen würden so das Vertrauen in präventive Schutzmaßnahmen verlieren. Er plädiert für Prävention, durch frühe Aufklärung während der Schulzeit und den Ausbau von Hilfestellen.

Ein zentrales Problem im gesellschaftlichen Umgang mit Femiziden sei die Tabuisierung des Themas. Anstatt Femizide als isoliertes Randthema abzustempeln, müsse geschlechtsspezifische Gewalt in den gesellschaftlichen Fokus rücken: "Femizide dürfen nicht in den Hintergrund geraten, wir müssen als Gesellschaft auf Augenhöhe darüber sprechen. Es ist immer sinnvoll, wenn sich Gruppen dafür einsetzen, aufzuklären." 

 
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Kommentare
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  • Martin Deeg
    …..“Ein zentrales Problem….sei die Tabuisierung des Themas.“….

    Das is ja wohl ein schlechter Scherz.

    Seit Jahrzehnten wird das Thema Gewalt/häusliche Konflikte etc. auf allen Ebenen durch die „Gewalt gegen Frauen“ dominiert, diese eindimensional in den Medien, durch feministischen Aktivismus und Lobbyismus in alle gesellschaftlichen und politischen Instanzen getragen.

    Wieviele Berichte hierzu gab es allein in den letzten Monaten in dieser Zeitung dazu?

    Dass man bei dem Thema dennoch nicht vorankommt und die sinnlose „Forderung“ nach einem Ende von Gewalt auch nicht dazu führen wird, dass das „aufhört“….egal!

    Immer weiter, ohne jemals zu hinterfragen was tatsächlich die Gründe und Dynamiken für Eskalationen und Tötungsdelikte sind, weshalb Rollenmuster reproduziert und übernommen werden……

    „Schade“!!
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  • Rahel Behnisch
    Meiner Meinung nach wird im Artikel gegen Ende eben schon sehr deutlich eines der zentralen Probleme benannt, die zu Femiziden führen: patriarchale Geschlechterrollen und männliche Besitzvorstellungen, also auch Objektifizierung von Frauen in Partnerschaften.
    Auch die Forderungen innerhalb des Artikels sind viel breiter dargelegt, als Sie es darstellen: Unter anderem werden von unterschiedlichen Parteien der Ausbau von Frauenhäusern, eine Verbesserung der Datengrundlage für die Polizeistatistik, mehr begriffliche Klarheit auf juristischer Ebene und eben auch eine Enttabuisierung gefordert. Zudem wird in einem Zitat auch der Wunsch nach mehr Aktionen und Engagement ausgesprochen. Das ist doch eine sehr schöne Bandbreite an Möglichkeiten, wo begonnen werden kann, etwas zu verändern. Und ja, immer wieder Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Thema zu lenken, ist natürlich auch eine wichtige Grundlage(!), um Veränderung zu bewirken.
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