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Würzburg
Grundrechte: Welche Corona-Regeln sind "verhältnismäßig"?
Maskenpflicht, Ausgangssperre und Lockdown: Wodurch die Eingriffe in die Grundrechte während der Pandemie gerechtfertigt sind, erklärt der Würzburger Jurist Henrik Eibenstein.
Manche Gegner der Corona-Maßnahmen sehen in den pandemiebedingten Verordnungen die Gewaltenteilung ausgehebelt.
Foto: Johannes Kiefer | Manche Gegner der Corona-Maßnahmen sehen in den pandemiebedingten Verordnungen die Gewaltenteilung ausgehebelt.
Jonas Keck
 |  aktualisiert: 08.02.2024 12:26 Uhr

Gegner der Corona-Maßnahmen beklagen die Einschränkung von Grundrechten. Doch wie weit darf der Gesetzgeber in der Pandemie gehen? Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist dabei besonders wichtig. Am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Würzburger Julius-Maximilians-Universität beschäftigt sich Henrik Eibenstein mit den rechtlichen Herausforderungen durch die Corona-Pandemie. Nachfolgend werden die wichtigsten Fragen zu den Grundrechten beantwortet.

Womit begründet der Staat die Einschränkungen in der Corona-Pandemie?

Der Staat begründet die Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie dem Würzburger Juristen Henrik Eibenstein zufolge durch im Grundgesetz verankerte Schutzpflichten. In bestimmten Fällen entsteht für den Staat die Pflicht, das "Leben und die körperliche Unversehrtheit" der Bürger vor äußerlichen Bedrohungen zu schützen. "Das Bestehen solcher Schutzpflichten sagt allerdings noch nichts darüber aus, wie sie konkret zu erfüllen sind", so Eibenstein. Auch gebe es keinen Automatismus, nach dem sich alle Grundrechte solchen Schutzpflichten ausnahmslos unterzuordnen haben.

Der Staat darf Grundrechte nur so weit einschränken, wie es verhältnismäßig ist. Aber was heißt das?

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hat seine Wurzeln laut Eibenstein in unserer Verfassung. Immer dann, wenn staatliche Maßnahmen in Grundrechte eingreifen, müssten sie sich an diesem Grundsatz messen lassen. Konkret verlangt er, dass die Grundrechtsbeschränkung einem legitimen Zweck dient und darüber hinaus geeignet, erforderlich und angemessen ist. Diesen „Vierschritt“ muss jeder Grundrechtseingriff durchlaufen. "Dabei stellt die Bekämpfung einer hochansteckenden Infektionskrankheit fraglos einen legitimen Zweck dar", erklärt der Jurist. Von der Geeignetheit, über die Erforderlichkeit, bis hin zur Angemessenheit setze der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dem Staat aber immer höhere Hürden.

Der Diplom-Jurist Henrik Eibenstein ist  wissenschaftlicher Mitarbeiter mit Lehrprofessur für Öffentliches Recht am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Würzburger Julius Maximilians-Universität
Foto: Nicole Grzeszcuk | Der Diplom-Jurist Henrik Eibenstein ist  wissenschaftlicher Mitarbeiter mit Lehrprofessur für Öffentliches Recht am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Würzburger Julius Maximilians-Universität
Wann sind Beschränkungen der Grundrechte "geeignet" und "erforderlich"?

Während die Geeignetheit nur verlangt, dass der verfolgte Zweck durch die konkrete Grundrechtsbeschränkung gefördert werden kann, zieht die Erforderlichkeit deutlich engere Grenzen. Dieser Prüfungsschritt erfordert nämlich, dass es kein anderes, genauso geeignetes Mittel gibt, das weniger intensiv in das Grundrecht eingreift. "Die große Herausforderung im Rahmen der Corona-Pandemie ist, dass die Tatsachengrundlage größtenteils ziemlich unsicher ist", sagt Jurist Eibenstein. Das heißt: Auch nach über einem Jahr mit dem SARS-CoV-2-Virus gebe es noch immer ein erhebliches "Erkenntnisvakuum" in der Wissenschaft. "Da häufig nicht zuverlässig beantwortet werden kann, ob bestimmte Maßnahmen nicht weniger grundrechtsintensiv, aber gleichsam effektiv wären, kommt dem Staat auch hier ein recht weiter Einschätzungsspielraum zu", erklärt Eibenstein.

An welche Grenzen muss sich der Gesetzgeber halten?

Der Spielraum des Staates ist nicht grenzenlos. "Wenn etwa Verwaltungsgerichte in der Vergangenheit Ausgangsbeschränkungen kassiert haben, dann zumeist deshalb, weil sie diese nicht als erforderlich angesehen haben", erläutert der Würzburger Jurist. Gerichte argumentierten, dass eine verstärkte Kontrolle der Kontaktbeschränkungen und das Verbot, besonders frequentierte Bereiche aufzusuchen, zur Kontaktreduzierung ebenso effektiv, aber weniger "grundrechtsintensiv" wären – betroffene Grundrecht also weniger stark einschränken würden. Im vierten Prüfungsschritt wird die Angemessenheit untersucht. Dabei soll sichergestellt werden, dass die mit einem staatlichen Eingriff einhergehenden Belastungen nicht "außer Verhältnis" zu dem verfolgten Ziel stehen. "Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist der Dreh- und Angelpunkt gerichtlicher Überprüfung", so Eibenstein.

Gibt das Infektionsschutzgesetz eine rechtliche Grundlage für eine Impfpflicht gegen Covid-19 her?

Ja. Im Grunde seien das Bundesministerium für Gesundheit sowie die bayerische Landesregierung laut Eibenstein bereits heute durch das Infektionsschutzgesetz dazu in der Lage, durch Rechtsverordnung eine Impfpflicht festzusetzen. Der Deutsche Bundestag könnte ebenfalls durch ein Gesetz eine Impfpflicht einführen. Wer beispielsweise in erzieherischen oder medizinischen Bereichen arbeitet, muss sich bereits gegen Masern impfen lassen, wenn er weiterhin dort tätig sein will. Genau genommen handelt es sich dem Doktoranden der Universität Würzburg zufolge dabei aber nicht um eine Impfpflicht, da sie der Staat nicht mit Zwang durchsetzen kann. Einer "echten Impfpflicht" setzt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des Grundgesetzes laut Eibenstein "sehr hohe Hürden". "Das bloße Interesse an einer schnellen Pandemiebekämpfung rechtfertigt für sich genommen noch keine Impfpflicht", sagt der Jurist.

Welche Folgen können Einzelurteile gegen Corona-Maßnahmen haben?

Klagt ein Bürger vor einem Verwaltungsgericht zum Beispiel erfolgreich gegen eine von der Stadt verfügte Maskenpflicht im öffentlichen Raum, so gilt die Entscheidung zunächst einmal nur für ihn. "Die davon ausgehende Signalwirkung veranlasst die Exekutive allerdings regelmäßig dazu, die entsprechende Anordnung generell aufzuheben oder entsprechend zu überarbeiten", so Eibenstein. In Bayern hat jeder Bürger außerdem das Recht, vor dem Verwaltungsgerichtshof gegen Rechtsverordnungen zu klagen. Die Entscheidung dieses Gerichts ergeht allgemeingültig – also nicht nur für den Kläger.

Wird durch die „Corona-Notbremse“ des Bundes der Föderalismus ausgehebelt?

"Der Föderalismus lässt sich überhaupt nicht aushebeln", sagt der Jurist. Der Bundesrat, der die bundespolitischen Interessen der Länder bündelt, kann immer bei der Gesetzgebung des Bundes mitwirken – teilweise muss er das sogar. Das gilt in gleicher Weise für die „Corona-Notbremse“, also die Änderung des Infektionsschutzgesetzes. Zum Beispiel hat der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans angekündigt, im Bundesrat Einspruch gegen die derzeitige Fassung der Gesetzesänderung zu erheben. Für das Infektionsschutzrecht liegt die Gesetzgebungskompetenz aber ohnehin beim Bund.

 
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  • U. S.
    Vor einem Jahr hat man in den Läden keine Kinder gesehen. Vor einem Jahr hat man auf den Strassen kaum Autos gesehen. Vor einem Jahr waren die Leute ängstlich und haben Abstand gehalten. Man glaubte an eine Pandemie.

    Jetzt sind Kinder wieder überall dabei, der Autoverkehr ist wie einst und Abstand wurde auch wieder zum Fremdwort. Der Glaube an die ach so tödliche Krankheit schwindet offensichtlich...

    Impfung? Die Einen wollen sie unbedingt und die Anderen weisen sie weit von sich (bis sie dazu genötigt werden). Ob die Impfung wirklich sicher ist, wirklich vor Corona schützt und wie lange man eventuell immun sein wird ist, glaubt man den Medien die jeden Tag etwas anderes darüber bringen, unklar.

    Einschränkungen? Außer Masken und immer noch andauerndes Berufsverbot: keine. Ausgangssperre? Existiert bei den vielen Ausnahmen doch auch nur auf dem Papier.
    Einkaufen? Alles Lebensnotwendige ist problemlos zu bekommen.
    Meinung? Darf gesagt werden.

    Wo bitte haben wir eine Diktatur?
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  • D. E.
    Impfung scheint aber in Israel ganz gut zu funktionieren. Seit 4 Wochen ist Lockdown beendet.

    https://ourworldindata.org/explorers/coronavirus-data-explorer?zoomToSelection=true&time=2020-12-24..latest&pickerSort=desc&pickerMetric=total_cases&hideControls=true&Metric=Confirmed+cases&Interval=7-day+rolling+average&Relative+to+Population=false&Align+outbreaks=false&country=ISR~DEU~GBR
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  • R. S.
    Hätten wir bei uns in Deutschland eine Diktatur, wären nicht 20 000 hirnvernagelte Demonstranten auf den Straßen sondern 20 000 Vermisstenfälle von Personen, die plötzlich irgendwo im Nirgendwo verschwunden wären!
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  • R. B.
    Das Posting verstößt gegen unsere Netiquette und wurde daher gesperrt.
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  • A. H.
    apropos "Diktatur": Wenn die Probleme der Zukunft (Klimawandel, Trockenheit und Wasserknappheit) so wie sie drohen eintreffen, werden die, die heute von angebl. Diktatur sprechen, sich npch mit Wehmut an die 2021 erinnern......
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  • G. D.
    Warum muss dieses Bild mit dem Begriff "Diktatur" gezeigt werden. Die Corona-maßnahmen sind weit davon entfernt, dem zu entsprechen, was in einer wirklichen Diktatur gilt. Wasser auf die Mühlen der sog. "Querdenker".
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  • J. S.
    Ein sehr treffendes Bild! Der Wind in den Mainstream-Medien dreht sich zwar nur sehr langsam, aber es ist doch vereinzelt spürbar.
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  • D. E.
    Es fehlt jeglicher Realitätssinn die Einschränkungen mit Diktatur zu vergleichen. Bei einer Diktatur wären solche Bilder und eine Demo unmöglich.
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  • S. K.
    Dieser Kommentar trägt nicht zur Diskussion bei und wurde daher gesperrt.
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  • I. E.
    Ich würde mal ein anderes Bild dem entgegenstellen - hier mal der Link:

    https://shop.bestattungsmuseum.at/praktische-dinge/212/mundschutz-corona-leugnen-sichert-arbeitsplaetze-bestattung-wien

    Trifft es übrigens besser als das Bild im Artikel!
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