Die Nachverfolgung von Kontakten von Corona-Infizierten bringt die bayerischen Gesundheitsämter längst an ihre Grenzen. Dass die Ämter dabei inzwischen von Hochschulmitarbeitern, Bundeswehrsoldaten oder Polizisten unterstützt werden, scheint dabei nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Gleichzeitig kritisieren nun Polizeigewerkschaften, dass in diesen Zeiten ausgerechnet die Ordnungshüter als sogenannte Contact-Tracer zur Verfügung stehen sollen.
Man könne es sich "personell nicht leisten auch noch polizeifremde Aufgaben im Wege der Amtshilfe zu übernehmen", heißt es unmissverständlich von der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Deren Appell an die bayerische Staatsregierung: "Lösen Sie unsere Polizeikräfte aus der Amtshilfe für die Gesundheitsämter heraus." Der unterfränkische GdP-Vorsitzende Christian Schulz macht deutlich: "Die Unterstützung der Gesundheitsämter darf nicht dazu führen, dass wir uns nicht mehr auf unser Kerngeschäft konzentrieren können."
Söder: 1000 Polizisten als Unterstützer in Gesundheitsämtern
Ins gleiche Horn stößt der Bezirkschef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) Thorsten Grimm: "Natürlich hat die Nachverfolgung in Zeiten von massiv steigenden Corona-Infektionszahlen höchste Priorität, um Infektionsketten nachvollziehen zu können." Man sehe das "als gemeinschaftliche und gesamtgesellschaftliche Aufgabe", so Grimm. "Aber es muss für derartige Aufgaben nicht zwingend die Polizei herangezogen werden und somit das Personal fremdverwendet werden."
Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte Mitte Oktober erklärt, man werde "die Gesundheitsämter stärken müssen". Daher kündigte er an: "Wir werden noch mal 2000 zusätzliche Abordnungen machen für alle Gesundheitsämter in Bayern: davon 1000 Beamtenanwärter und 1000 aus der Polizei." Laut Innenministerium werden seitdem die sogenannten Contact-Tracing-Teams aus allen staatlichen Bereichen verstärkt. Das soll "bis auf Weiteres" so laufen.
77 unterfränkische Polizisten laut Gewerkschaft als Contact-Tracer
Die Frage, wie viele Polizisten inzwischen zur Unterstützung der Gesundheitsämter abgerufen sind, beantwortet das Ministerium nicht. Aber: Die zu stellenden Kontingente der Polizei richteten sich nach der Einwohnerzahl im Zuständigkeitsbereich der einzelnen Präsidien, die dann nach "Leistungsfähigkeit der einzelnen Dienststellen" entscheiden, von wo konkret Beamte abgezogen werden. Bayernweit sei bereits ein Drittel des Polizeikontingents von Gesundheitsämtern abgerufen worden.
Wie das Polizeipräsidium Unterfranken betont, habe die Auswahl der Beamten "auf Freiwilligkeit" basiert. Ende Oktober seien in der Region "bis zu 20 Beschäftige gleichzeitig zur Unterstützung der Contact-Tracing-Teams tätig" gewesen. Laut DPolG unterstützen derzeit insgesamt 77 Polizistinnen und Polizisten die hiesigen Gesundheitsämter. Bayernweit ist nach Gewerkschaftsangaben mittlerweile "jeder 40. Polizeibeschäftigte mit der Nachverfolgung von Corona-Kontakten beauftragt".
Sinkende Akzeptanz für Einschränkungen macht Polizei das Leben schwer
"Das ist schon eine ziemlich beachtliche Zahl, die auch ein großer Apparat wie die bayerische Polizei nicht einfach mal so im Vorbeigehen aus dem Boden stampft", so DPolG-Bezirkschef Grimm. Hinzu komme nun, dass "die Corona-Maßnahmen, gerade in Lockdown-Zeiten, durch teils massive Polizeipräsenz überwacht werden müssen". Was die Arbeit für die Beamtinnen und Beamten nicht einfacher macht: Laut DPolG und GdP nimmt die Akzeptanz für die Corona-Maßnahmen in Teilen der Bevölkerung ab.
Außerdem warnen die Gewerkschaften, dass das Virus auch vor der Polizei nicht Halt mache. Ende vergangener Woche waren laut GdP 184 bayerische Polizisten mit dem Coronavirus infiziert, 345 waren in Quarantäne. In Unterfranken kam man indes noch glimpflich davon: Wie das Präsidium auf Nachfrage erklärt, waren Ende Oktober zwei Polizeibeamte infiziert, die Zahl der Beamten in Quarantäne liege "im unteren einstelligen Bereich".
Fehlende Software erschwert Contact-Tracing
"Die temporäre personelle Unterstützung der Gesundheitsämter hat keine Auswirkung auf die Einsatzfähigkeit der unterfränkischen Polizei", beruhigt das Polizeipräsidium. Auch dem Innenministerium liegen nach eigenen Angaben "derzeit keine Erkenntnisse vor, dass aufgrund abgestellter Unterstützungskräfte die Sicherstellung der Funktions- und Einsatzfähigkeit der Polizeidienststellen gefährdet würde".
Um der Polizei ihre Unterstützung für die Gesundheitsämter zu erleichtern, so eine Ministeriumssprecherin, würden derzeit "die Voraussetzungen geprüft", dass die Polizisten ihrer Tätigkeit als Kontaktverfolger in ihren Dienststellen oder im Homeoffice nachgehen können. Ob das klappt, ist fraglich. Wie etwa das Würzburger Gesundheitsamt kürzlich gegenüber dieser Redaktion erklärte, fehle es unter anderem an einer Software, die eine Kontaktverfolgung auch aus dem Homeoffice ermöglichen würde. "Wir können unsere Datenbank nicht webbasiert einsetzen", erklärte Sprecherin Dagmar Hofmann. Die Folge: Alle Contact-Tracer können nur vor Ort im Landratsamt arbeiten.
Eine ganz andere Lösung schlägt die GdP vor: Die "zweifelsohne notwendige Unterstützung der Gesundheitsämter" könne "wie schon in der Flüchtlingskrise durchaus durch pensionierte Polizeibeamte, Beamte und Rentner des öffentlichen Dienstes erfolgen".