Dienstagabend in Geroldshausen im Landkreis Würzburg. Der Gemeinderat ist vom evangelischen Gemeindehaus in die Turnhalle umgezogen, weil es hier mehr Platz gibt. Gut 20 Zuhörer wollen bei dieser Sitzung dabei sein, mehr als sonst.
Es geht um einen Sohn des Dorfes, um den Kriegsverbrecher und SS-Massenmörder Eduard Wirths. Hunderttausende hat er als leitender Standortarzt des Konzentrationslager-Komplexes Auschwitz in den Tod geschickt. Entweder weil er selbst an der Rampe stand und Menschen direkt in die Gaskammern schickte. Oder weil er seine Mitarbeiter, darunter auch Josef Mengele, für diesen Dienst eingeteilt hatte.
Bürgermeister tut sich schwer mit dem Begriff "Kriegsverbrecher"
Das Problem: Wirths Name wird am Kriegerdenkmal in Geroldshausen unter den Gefallenen des Zweiten Weltkrieges aufgeführt. Das Denkmal steht auf öffentlichem Grund. "Also müssen wir entscheiden, wie wir damit umgehen. Ob wir wollen oder nicht", sagt Bürgermeister Gunther Ehrhardt im Gemeinderat mit zittriger Stimme.
Ehrhardt ist aufgeregt. Nur zögernd verwendet er den Begriff "Kriegsverbrecher". Er berufe sich aus "juristischen Gründen" lieber auf das Institut für Geschichte der Universität Würzburg. Dort habe er nachgefragt und klar zu hören bekommen: "Wirths hat Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen. Er ist ein NS-Verbrecher." Ein Enkel von Eduard Wirths, selbst jahrelang Gemeinderat und Inhaber eines Natursteinbetriebs im Ort, sitzt am Dienstag unter den Zuhörern.
Familie Wirths gibt eine schriftliche Stellungnahme ab
Die Familie hat eine schriftliche Stellungnahme abgegeben. "Die Beteiligung unseres Familienmitgliedes an den in Auschwitz verübten, beispiellosen Verbrechen wollen wir nicht leugnen oder beschönigen", schreiben Wirths Nachkommen. Die öffentliche Diskussion um das Kriegerdenkmal treffe sie persönlich. Sie wollen klarstellen: "Die Familie Wirths hat nichts vertuscht, sondern alles ihr Mögliche zur Aufklärung der historischen Tatsachen beigetragen."
Dass Teile der Familie Wirths noch im Ort leben, macht die Diskussion für Gemeinderat Rainer Künzig schwierig. "Auch, weil ich die Familie gut kenne", sagt er. Künzig war von 1996 bis 2002 selbst Bürgermeister in Geroldshausen. "Doch wir müssen die Taten deutlich verurteilen und uns distanzieren. Für uns alle ist unvorstellbar, dass der Name auf dem Ehrenmal steht."
Warum Geroldshausen Anfang des 21. Jahrhunderts ein schlechtes Image bekam
Künzig denkt zurück an den Anfang dieses Jahrhunderts. Damals ist Ulrich Völkleins Tatsachenroman "Der Judenacker. Eine Erbschaft" erschienen, der die Geschichte der Geroldshäuser Juden erzählt und auch die dunklen Verstrickungen Wirths in das NS-Regime entlarvt. Die Veröffentlichung sorgte im Dorf für große Unruhe. Auch, weil viele Eduard Wirths für "einen Guten" gehalten hatten und noch halten, wie Sohn Peter in einem Interview mit Jürgen Matthäus im April 2015 berichtete.
Matthäus leitet die Forschungsabteilung des United States Holocaust Memorial Museum in Washington. Das Tondokument des Gesprächs, viele Fotos von Eduard Wirths aus seiner Zeit in Ausschwitz, aber auch Urlaubsbilder der Familie finden sich im Archiv des Museums, das online zugänglich ist.
Die Diskussion von damals, dass Geroldshausen ein Dorf sei, in dem die Geschehnisse in der Zeit des Nationalsozialismus unter den Tisch gekehrt würden, will der Gemeinderat nicht wieder hochkochen lassen. Dass der Name Wirths auf dem Stein nichts verloren hat, darüber sind sich am Dienstagabend alle einig. Dennoch sind nur zwei Gemeinderäte, Petra Steinbach und Marc Huber, dafür, den Namen dort sofort zu entfernen. "Um ein Statement zu setzen", sagt Huber.
"Eine sinnvolle Lösung bedarf viel Beratung", meint dagegen Doris Krämer. Auch andere sind dafür, sich Zeit zu lassen. Und so beschließt der Geroldshausener Gemeinderat einstimmig, die von Wirths verübten Kriegsverbrechen auf "das Schärfste" zu verurteilen. Die Räte erkennen an, dass die Aufnahme Wirths in die Liste der Kriegsgefallenen auf dem Ehrenmal falsch war und ist. Dabei sehen sie auch, dass "die Aufarbeitung die Möglichkeiten der Gemeinde übersteigt" und beschließen, sich Unterstützung zu holen. Dann soll wieder diskutiert werden, was mit dem Namen Wirths im Kriegerdenkmal passiert.
Internationales Auschwitz-Komitee reagiert mit Unverständnis
Christoph Heubner, Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, versteht das Vertagen nicht: "Wenn alle Gemeinderäte der Meinung sind, dass der Name von Eduard Wirths auf dem Mahnmal der Gemeinde nicht hätte eingraviert werden dürfen, müssen sie ihn jetzt auch entfernen lassen und eine historische Unwahrheit korrigieren", kommentierte er am Mittwoch die Entscheidung. Gleiches hatte zuvor auch der Würzburger Josef Schuster, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, gefordert.
Mit dem Begriff der "Aufarbeitung" könne er wenig anfangen, sagt Heubner: "Zur Lebensgeschichte von Eduard Wirths und zu seinem verbrecherischen Wirken in Auschwitz liegen alle Fakten auf dem Tisch." Auschwitz-Überlebende gingen davon aus, dass die Täter von Auschwitz hätten vor Gericht gestellt werden müssen, so Heubner: "Nur die Allerwenigsten von ihnen haben je einen Gerichtssaal von innen gesehen, stattdessen sind die meisten als ehrbare Männer in die Mitte der Gesellschaft zurückgekehrt: Das ist Eduard Wirths nach seinem Freitod auch gelungen. Und das ist der große Schmerz der Überlebenden."
Noch lange stehen einige der Zuhörer nach der Entscheidung auf dem Parkplatz vor der Turnhalle und diskutieren, was sie jetzt machen können. Zufrieden sind sie nicht, sagen sie. Dass der Name Wirths auf dem Kriegerdenkmal erst einmal bleiben soll, sei schwer auszuhalten.
Nach so viel - versäumter! - Zeit, ist eine Phase für eifriges gemeinsames Nachdenken, Antwort-Suchen und Lösung-Finden angesagt.
Nicht nur in Geroldshausen.
Zu Dr. Eduard Wirths ist einiges an Information leicht zu finden.
z.B. https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/eduard-wirths/
Talentiert, strebsam, erfolgsorientiert - anpassungsbereit.
Wie viele machen heute mit dieser Grundausstattung Karriere - und werden dafür bewundert?
Und einige der heutigen Karriereleute gehen in ihrer "Anpassungsbereitschaft" ziemlich weit!
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Jede Zeit hat ihre Irrtümer.
Und die irre Monstrosität seiner Irrtümer ist die fatale "Größe" des Tausendjährigen Reiches.
Dreißig Jahre später wäre E. Wirths auch Arzt geworden - aber wohl ohne den verqueren Rassenwahn.
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Der grundgesetzlich verbriefte Konsens über individuelle Grundrechte und Freiheiten aller Menschen hat unsere Gesellschaft in einen grandiosen Raum von Möglichkeiten geführt.
Das sollten wir verstehen und erhalten.
All das haben Eure Söhne/Brüder/Väter, die von einem verbrecherischen Regime in einem sinnlosen Krieg verheizt wurden, und für deren Andenken dieses Denkmal eigentlich stehen sollte, wirklich nicht verdientI
Bedankt Euch bei Eurem Gemeinderat!
Nur mal zum verdeutlichen: Das war der Vorgesetzte von dem berühmt berüchtigten Lagerarzt Josef Mengele. Vielleicht ist der Name den Gemeinderäten ein Begriff.
Wenn man jetzt in den großen Medien, evt auch in den Nachrichten aus Geroldshausen berichtet, was hat man dann gekonnt???
siehe FAZ: https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/bayern-kz-arzt-von-auschwitz-bleibt-vorerst-mit-name-auf-ehrenmal-in-geroldshausen-17237046.html
Geld regiert die Welt.
Sie sind auch nicht für Verbrechen ihrer Verwandtschaft verantwortlich.