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Würzburg/Aschaffenburg
Gerlach will mehr Tempo in Bayerns Rathäusern: Digitalisierung ist mehr, als Formulare in PDFs zu verwandeln
Auto ummelden, Führungszeugnis beantragen: Die Digitalisierung kommt in bayerischen Rathäusern viel zu langsam voran. Was Digitalministerin Judith Gerlach dagegen tut.
Judith Gerlach (CSU) ist seit November 2018 bayerische Staatsministerin für Digitales.
Foto: Daniel Peter | Judith Gerlach (CSU) ist seit November 2018 bayerische Staatsministerin für Digitales.
Jonas Keck
 und  Michael Czygan
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:25 Uhr

Als Markus Söder seine CSU-Parteifreundin Judith Gerlach im November 2018 zur bayerischen Digitalministerin berief, war das eine Überraschung. Mittlerweile hat die 36-jährige Juristin aus dem unterfränkischen Aschaffenburg ihren Platz am Kabinettstisch gefunden. Beim Redaktionsbesuch in Würzburg wirkt die zweifache Mutter sehr entschlossen, die Defizite in Sachen Digitalisierung zu benennen und offensiv anzugehen - allen voran bei der digitalen Verwaltung.

Frage: Frau Gerlach, Sie haben eine digitale Landkarte veröffentlicht, die den Fortschritt oder Nicht-Fortschritt in Sachen Digitalisierung bei den Kommunen zeigt. Da sieht man dann unter anderem, dass die Verwaltungsgemeinschaft (VG) Saal im Landkreis Rhön-Grabfeld mit 74 Verfahren, die online verfügbar sind, recht gut dasteht, die VG Bad Neustadt direkt daneben aber nur 24 anbietet. Woran liegt das?

Judith Gerlach: Diese Landkarte zeigt, wie ernst die einzelnen Kommunen das Thema Digitalisierung nehmen, wie sehr sie es priorisieren. Jede Stadt, jede Gemeinde in Bayern kann unser Förderprogramm "Digitales Rathaus" in Anspruch nehmen, jede Kommune kann zentral und kostenlos vom Freistaat zur Verfügung gestellte Online-Dienste zu verschiedenen Verwaltungsdienstleistungen anbieten. Hier erwarte ich mehr Engagement von Städten und Gemeinden. Ich will nicht verhehlen, dass es kleineren Kommunen häufig schwerer fällt, die Digitalisierung auf den Weg zu bringen, weil sie nicht so viel Personal haben. Es gibt aber auch sehr kleine Kommunen, die da vorbildlich sind.

Die VG Saal ist auch eher eine kleine Behörde.

Gerlach: Sehen Sie, da wird das Thema eben entsprechend ernst genommen.

Dennoch: Auch das vergleichsweise gute Online-Angebot der VG Saal relativiert sich wieder, wenn man liest, dass die Verwaltung dort insgesamt 311 Dienstleistungen anbietet. Es ist also im besten Fall gerade mal ein Viertel digitalisiert?

Gerlach: Wir müssen da jetzt viel nachholen. Ganz ehrlich: Vor Corona bin ich mit dem Thema digitale Verwaltung vielerorts abgetropft. Viele Kommunalpolitiker fanden es wichtig, dass die Bürger beim Bürgermeister vorbeikommen können, um einen Kaffee zu trinken, während sie einen Antrag stellen. Während Corona hat man dann gesehen, wie sehr die Digitalisierung hilft, damit die Bürger nicht mehr ins Rathaus müssen. Gleichzeitig hat sich die Erwartungshaltung der Bürger verändert. Es wird natürlich nach wie vor möglich sein, den Kaffee mit dem Bürgermeister zu trinken. Gleichzeitig erwarten die Menschen jedoch heute auch, dass Verwaltungsdienstleistungen digital angeboten werden. Dieser Rückstand muss aufgeholt werden. Die Staatsregierung lässt die Kommunen dabei nicht allein. Es gibt neben Förderprogrammen auch Schulungsprogramme, um Knowhow in die Kommunen zu bringen.

Jetzt haben Sie ein Gesetz verabschiedet, das den Bürgerinnen und Bürgern ein Recht auf digitalen Austausch gewährt. Was bedeutet das?

Gerlach: Das bedeutet, dass wir uns "digital first", das Digitale zuerst, als Regel in der Verwaltung setzen. Alle Prozesse, die auf den Weg gebracht werden, sollen nicht nur digital gedacht, sondern auch digital umgesetzt werden, beispielsweise in einer Smartphone-App. Nochmal: Das heißt nicht, dass Bürgerinnen und Bürgern der analoge Weg verwehrt ist. Jeder kann seine Anträge auch auf dem klassischen Weg stellen. Aber das Regel-Verhältnis dreht sich um. Zunächst mal denken wir das Verfahren digital. Früher haben wir es analog entwickelt – und dann mal geschaut, wie es digital funktioniert. "Digital first" hört sich für viele heute sicher selbstverständlich an, ist es aber in der Verwaltung vielfach noch lange nicht.

Gibt es denn eine Blaupause? Machen es andere Bundesländer, andere Länder in Europa besser?

Gerlach: Man muss das Rad nicht immer neu erfinden. Bei unserer Bayern-App haben wir uns auch von Österreich inspirieren lassen. Ansonsten wird immer Estland als Vorzeigeland genannt. Das ist es auch, aber der Vergleich hinkt. Zum einen leben dort wesentlich weniger Menschen, die von der Verwaltung erreicht werden müssen. Zudem ist das Land zentral organisiert, in Deutschland haben wir 16 Bundesländer, dazu in Bayern über 2000 Kommunen, die alle in kommunaler Selbstverwaltung entscheiden wollen und können. Das sind komplett andere Strukturen. Und dann konnte Estland bei seiner Verwaltungsreform nach dem Ende der Sowjetunion komplett auf der grünen Wiese anfangen. Wir haben historisch gewachsene, etablierte Vorgänge, die wir jetzt nachträglich digitalisieren. Das kostet Zeit, das ist sehr viel mühseliger. Bei der Digitalisierung reicht es eben nicht, ein Formular auf Papier eins zu eins in ein PDF zu verwandeln.

Sondern?

Gerlach: Die Digitalisierung der Verwaltung bietet die Gelegenheit, nicht einfach nur eine neue Technik über bestehende Dienstleistungen zu kippen, sondern die Verwaltung insgesamt bürgerfreundlicher, serviceorientierter zu organisieren. Wir haben die Chance, verständliche und nutzerfreundliche Anträge zu erarbeiten. So wie ein Unternehmen überlegt, was braucht mein Kunde, damit er mir treu bleibt, müssen wir beim Staat fragen, was braucht der Bürger, damit es ihm ähnlich leichtfällt, mit uns zu kommunizieren wie mit ein paar Klicks Schuhe im Internet zu kaufen. Das will ich erreichen, daher kommt meine Begeisterung für das Thema.

Und dennoch müssen Sie aufpassen, dass Sie all jene, häufig ältere Bürgerinnen und Bürger nicht verlieren, für die Digitalisierung fremd ist, die ganz gerne persönlich ins Amt kommen – und Formulare lieber mit dem Kuli ausfüllen.

Gerlach: Nein, dieser Weg wird nicht abgeschnitten, die Rathäuser werden nicht geschlossen. Der analoge Weg bleibt bestehen, auch wenn er sicher Stück für Stück weniger genutzt wird. Ich bin aber sicher: Wenn routinemäße Dienstleistungen digital und automatisiert abgewickelt werden, haben die Behördenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter viel mehr Kapazitäten, um sich um die Aufgaben zu kümmern, bei denen es menschliches Gespür braucht.

Kürzlich beim Besuch des Labors für Anwendungen von virtueller Realität an der Uni Würzburg: Ministerin Judith Gerlach und Minister Florian Herrmann, der Leiter der bayerischen Staatskanzlei.
Foto: Daniel Peter | Kürzlich beim Besuch des Labors für Anwendungen von virtueller Realität an der Uni Würzburg: Ministerin Judith Gerlach und Minister Florian Herrmann, der Leiter der bayerischen Staatskanzlei.
Man spürt ihre Leidenschaft für das Thema Digitalisierung. Besteht da nicht die Gefahr, dass sich ihre Kolleginnen und Kollegen im Kabinett bei dem Thema zurücklehnen und alle Verantwortung Ihnen zuschieben?

Gerlach: Nein, diese Gefahr sehe ich nicht. Es gibt eine Übereinkunft in der Staatsregierung, dass wir auf allen Ebenen digitaler werden müssen. Da hilft auch das erwähnte Digitalgesetz, das das Recht der Bürgerinnen und Bürger auf digitale Teilhabe festschreibt und an das alle Ressorts gebunden sind. Innerhalb der Regierung haben wir einen Digitalrat gegründet, wo wir die anstehenden Themen gemeinsam besprechen, zum Beispiel Anforderungen in Sachen Cyber-Sicherheit. Umsetzen müssen dies dann die zuständigen Ministerien, der Digitalrat übernimmt das Monitoring, schaut also, ob wir vorankommen. Digitalisierung funktioniert nur als Teamleistung.

Wird es das eigenständige Digitalministerium auch nach der Landtagswahl noch geben?

Gerlach: Ich bin mir sehr sicher, dass ein Digitalministerium weiterhin besteht. Das Thema fällt ja nicht weg auf einmal. Wie es aufgestellt wird, welche Themen dort behandelt werden, wird sich noch entscheiden. Nicht nur die Technologien wandeln sich. Die Herausforderungen in zwei, drei Jahren werden sicher andere sein als heute.

Haben Sie Wünsche?

Gerlach: Ich würde mir auf jeden Fall wünschen, dass das Thema digitale Verwaltung weiter im Digitalministerium gebündelt bleibt, weil wir so zentrale Vorgaben machen können. Mein Anspruch ist, dass Verwaltungsdienstleistungen überall in Bayern gleichermaßen digital verfügbar sind, egal ob in den Städten oder auf dem Land.

Können Sie sich vorstellen, auch in der nächsten Staatsregierung wieder Digitalministerin zu sein?

Gerlach: Ich mag das Thema sehr, aber diese Entscheidung liegt natürlich nicht nur bei mir.

 
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Kommentare
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  • M. P.
    Mehr Tempo, spricht die Frau, die seit knapp vier Jahren Staatsministerin für Digitales ist.

    " ... unmittelbar nach ihrer Ernennung zur Digitalministerin gab Judith Gerlach auf die Frage, wie sie zum Themenbereich „Digitalisierung“ stehe, diese offene Antwort: „Ja, Digitalisierung ist jetzt sicher nicht mein Spezialbereich, aber ein absolutes Zukunftsthema.“

    Eine der großen Aufgaben erledigte sie mit Hingabe:
    Sie half Frau Doro Bär (auch eine Digitalbeauftragte) beim Anlegen eines Insta-Accounts. Oder war es Facebook?
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  • L. W.
    In Sachen Digitalisierung

    ist Bayern, wie wahrscheinlich auch der Rest Deutschlands, noch Entwicklungsland.

    Aktuell erlebt. Mein zuständigen Gesundheitsamt ist nicht in der Lage einen QR Code zuzusenden, der in der Corona Warn App gelesen werden kann. Die Nachricht von einer positiven Testung konnte via QR Code vom testenden Institut abgerufen werden aber dass ich diese Nachricht an meine unwissentlichen Kontakte weiter gebe funktioniert nicht.
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  • T. P.
    Das geht jetzt genauso schnell wie bei der Fr. Dorothee Bär.
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  • R. H.
    Es ist ja ganz nett, dass die Digitalministerin den Rathäusern gut Tipps gibt.
    Diese „Leidenschaft“ in den Münchner Ministerien würde Bayern aber auch ein Stück weiterbringen. Wer im Bekanntenkreis mal mitbekommen hat, wie im Kultusministerium die Zuweisung der Referendare und Junglehrer läuft, wird schnell mit mir feststellen, das hier noch ein Karteikartenkrieg läuft. Unflexibel, ineffiziente werden die Referendare und Junglehrer durch Bayern verschickt. Dies ist nicht nur demotivierend, sondern auch umweltschädlich weil dadurch viele Wochenendpendler entstehen und kostet dem Steuerzahler viel Geld (Zweitwohnungsregelung).
    Stimmt, Bayern muss das Rad nicht wie in der Vergangenheit immer wieder neu erfinden. Hessen hat im Kultusministerium hierfür ein digitales funktionsfähiges Portal. Dadurch werden nicht nur individuelle Wünsche besser erfüllt, sondern eine Tauschbörse erleichtert für die Referendare und Junglehrer auch einen angemessenen Schulwesen.
    Ja es gibt viel zu tun, …
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