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Röttingen
Gelungener Spagat zwischen Pointe und Betroffenheit: "Honig im Kopf" bei den Frankenfestspielen Röttingen
Das Stück beweist, dass im leichten Sommertheater unter freiem Himmel auch schwere Fragen ein interessiertes und begeisterungsfähiges Publikum finden können.
Nichts wie weg: Enkelin Tilda (Ida Dobrenz) und Opa Amandus (Ingo Brosch) fliehen an den Sehnsuchtsort Venedig.
Foto: Thomas Obermeier | Nichts wie weg: Enkelin Tilda (Ida Dobrenz) und Opa Amandus (Ingo Brosch) fliehen an den Sehnsuchtsort Venedig.
Manfred Kunz
 |  aktualisiert: 22.07.2023 05:34 Uhr

"Honig im Kopf" von Til Schweiger war mit sieben Millionen Zuschauern einer der erfolgreichsten deutschen Filme der letzten 50 Jahre. Seit 2016 gibt es die tragikomische Geschichte auch in einer Bühnenfassung von Florian Battermann. Für die Jubiläumsspielzeit zum 40-jährigen Bestehen der Frankenfestspiele Röttingen hat Intendant Lars Wernecke die Komödie für das Freilichttheater im Hof von Burg Brattenstein ausgewählt.

Der stürmische Schlussapplaus nach knapp zwei Stunden unterhaltsamer Schauspielkunst war weit mehr als Anerkennung und Bestätigung für diese Stückauswahl. Denn er honorierte zudem die Tatsache, dass im leichten Sommertheater unter freiem Himmel auch schwere Fragen ein interessiertes und begeisterungsfähiges Publikum finden können. Kommt doch hinter der flotten und pointenreichen Komödie sehr schnell das gerne verdrängte Thema der Altersdemenz zum Vorschein.

Wir werden Zeugen, wie sich die Missgeschicke häufen

Das fängt schon bei einfachen Fragen an: Ist Opa Amandus Rosenbach (Ingo Brosch), zu Beginn mitten im Publikum und damit einer von uns, einfach nur vergesslich? Kommt er bloß über den Tod seiner Frau Margarete nicht hinweg? Verwechselt er mit Absicht die Vornamen seiner Schwiegertochter? Und warum kann er sich den Vornamen seiner Enkelin nicht merken und nennt sie immer nur "meine principessa"? Ist das alles schon beginnende Demenz? Oder gar Alzheimer?

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Ganz allmählich, geradezu beiläufig tauchen wir ein in die Geschichte der Familie von Amandus Rosenbach, dem ehemaligen Tierarzt, der nach dem Tod seiner Frau im eigenen Haushalt nicht mehr klarkommt und ins Haus seines Sohnes Niko (Nikolas Sebastian Knauf), dessen Frau Sarah (Nina Juraga) und deren Tochter Tilda (Ida Dobrenz) zieht. Wir werden Zeugen, wie sich die Missgeschicke häufen, wie der selbstgebackene Kuchen im Herd verbrennt, wie der Kaffee ungenießbar wird oder das Gartenfest im Fiasko endet.

Was alle immer mehr ahnen, aber kaum aussprechen - die Diagnose von Frau Fr. Holst macht es offiziell: Amandus Rosenthal ist auf dem Weg in die Demenz. Der "Honig im Kopf" wird zähflüssiger, das Zusammenleben mit der Familie immer schwieriger. Einziger Ausweg ist das Pflegeheim -  die "Altersresidenz" wie Sohn Niko großspurig sagt.

Opa Amandus (Ingo Brosch, von links) bringt mit seinen Aussetzern die Familie seines  Sohnes Niko (Nikolas Sebastian Knauf) mit Tochter Tilda (Ida Dobrenz) und Frau Sarah (Nina Juraga) durcheinander.
Foto: Thomas Obermeier | Opa Amandus (Ingo Brosch, von links) bringt mit seinen Aussetzern die Familie seines  Sohnes Niko (Nikolas Sebastian Knauf) mit Tochter Tilda (Ida Dobrenz) und Frau Sarah (Nina Juraga) durcheinander.

Da rastet Tilda aus: auf keinen Fall will sie Opa ins Heim geben. Stattdessen flieht die Enkelin mit Amandus an seinen Sehnsuchtsort, nach Venedig, dorthin, wohin er einst mit seiner Margarete die Flitterwochen verbrachte. Es sind die zutiefst menschliche Fürsorge und das unbefangene Ernstnehmen der Schrullen des geliebten Großvaters, die die Enkelin zur letzten Vertrauten und zum rettenden Bezugspunkt für den immer vergesslicher Werdenden machen.

In Venedig findet auch die Familie wieder zusammen

So gelingt diesem ein glückliches Eintauchen in eine lange zurückliegende, aber immer noch präsente Vergangenheit, das Schwelgen in Erinnerungen, die auch die Krankheit nicht auslöschen kann. Gedankenversunken blickt Amandus, alleine am Meer sitzend, hinaus in ein leeres Nirgendwo - das stärkste Bild und der eindringlichste Moment der manchmal etwas zu plakativen Inszenierung von Adisat Semenitsch.

In Venedig findet auch die Familie wieder zusammen, Nico versöhnt sich mit seiner Frau Sarah und nimmt den Vater samt Betreuerin wieder auf. Tilda bekommt neun Monate später ein Brüderchen, und einige Wochen danach muss Opa Amandus doch noch ins Pflegeheim. Ein versöhnliches Ende eines kurzweiligen Stückes, bei dem alle Darsteller den Spagat zwischen Pointe und Betroffenheit mit Bravour meistern. Ob wir Zuschauer in unserer Lebenswirklichkeit diesen Spagat genauso meistern können, ist eine andere Frage.

Weitere Vorstellungen: 15., 22., 25., 29., 30. Juli sowie 3., 4.,  11. August. Karten: frankenfestspiele-roettingen.de

 
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