Bei Wind, Regen, Schnee und Kälte ist sie frühmorgens draußen unterwegs. Von Haus zu Haus. Mit schwerem Gepäck, denn Zeitungspapier bringt viel Gewicht auf die Waage. Mitten in der Nacht hat sie schon Post sortiert, die sie neben den Zeitungen auch zustellt. Zeitungszustellerin ist ein harter Job. Gut entlohnt ist er nicht. Mehr als der Mindestlohn ist nicht drin. Es war noch dunkel, als sie die Zeitung mit klammen Fingern in den Briefkasten geworfen hat.
"Die im Dunkeln sieht man nicht", schrieb Bert Brecht. Wir nehmen meist nicht bewusst wahr, wer alles für uns tätig ist. Und bei den Arbeitsbedingungen schauen wir manchmal lieber nicht so genau hin.
Denken wir an die Fahrer, die unsere Geschenke liefern?
So geht es mir bei dem Weihnachtsgeschenk, das ich für meine Tochter bequem im Internet bestellt habe. Transportiert wurde es vielleicht von dem Lkw-Fahrer aus Georgien, der seinen 40-Tonner wieder einmal über die erlaubte Lenkzeit hinaus über deutsche Autobahnen gelenkt hat. Seit Monaten haust er schon in seinem Führerhaus, nachts irgendwo auf einem Parkplatz, wenn er denn endlich eine Lücke für seinen Lkw gefunden hat. Eigentlich müsste er in Deutschland nach deutschem Mindestlohn bezahlt werden, doch sein osteuropäisches Subunternehmen zahlt gerade mal fünf Euro Stundenlohn. Zu Weihnachten wird er mit seiner Familie nur per Videoanruf verbunden sein. Ein Flug nach Hause ist finanziell einfach nicht drin.
Die Postbotin, die das bestellte Weihnachtsgeschenk nach kurzem Klingeln an meiner Haustür abgelegt hat, sehe ich nur noch von hinten. Zu sehr ist sie unter Zeitdruck, in der Vorweihnachtszeit ganz besonders. Die Pakete, die sich in ihrem Zustellfahrzeug stapeln, dürfen bis zu 32,5 kg wiegen. Diese zu wuchten, geht massiv auf den Rücken. Sie hofft, an Heiligabend nicht wieder bis in die Abendstunden hinein unterwegs zu sein – und in der nächsten Woche dieselben Pakete als Retoure wieder abholen zu müssen.
Ich mache mir Sorgen um den sozialen Frieden im Land
Als Betriebsseelsorger war ich in den letzten Wochen immer wieder mit den Sorgen gerade der Menschen konfrontiert, die für wenig Lohn arbeiten und in prekären Beschäftigungsverhältnissen stecken. Dass sich ihre Energierechnungen oft mehr als verdoppeln und die Preise für Lebensmittel in die Höhe schießen, stellt zu viele vor Existenzsorgen. Die finanziellen Sorgen überschatten bei ihnen und ihren Familien das diesjährige Weihnachtsfest.
Gleichzeitig erhalten andere – quasi als Weihnachtsgeschenk – staatliche Entlastungen, obwohl sie die Preissteigerungen ohne große Einschränkungen tragen könnten. Von dem reichsten Prozent der Menschen in unserem Land ganz zu schweigen, denn viele mit großem Vermögen profitieren sogar in der Krise. Das ärgert mich und bereitet mir Sorge für den sozialen Frieden in unserem Land. Wenn die starken Schultern in unserer Gesellschaft nicht bereit sind, ihren Fähigkeiten entsprechend Belastungen zu tragen, die durch den verbrecherischen Krieg Russlands ausgelöst wurden, läuft etwas grundlegend falsch.
Solidarisches Handeln ist heute mehr gefragt denn je
Denn Eigentum verpflichtet – und zwar dazu, es zum Gemeinwohl einzusetzen. So steht es im Grundgesetz. Solidarisches Handeln ist heute mehr denn je gefragt. Wie wäre es, wenn diejenigen, die ohne Not auf ihre staatlichen Hilfen und ihre Krisengewinne verzichten können, diese sozialen Projekten zugute kommen lassen würden? Für mich wäre das ein wirksames Zeichen für den Zusammenhalt der Gesellschaft, wenn schon die Regierung keine gerechte Lastenverteilung hinbekommt.
Die Weihnachtsgeschichten der Bibel lenken unseren Blick auf Menschen, die mit ihrer Hände Arbeit kaum ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Ihnen ist Gott offenbar besonders nahe. Denn Gott lässt sich nicht – wie die Sterndeuter fälschlicherweise annehmen – in Palästen finden. Gott kommt in ärmlichen Verhältnissen zur Welt – in der Gesellschaft von Hirten, die für einen Hungerlohn Tag und Nacht bei ihrer Herde verbringen. Gott kommt zur Welt als Kind eines Bauhandwerkers, der vermutlich keine Zimmerei besaß, sondern auf den Großbaustellen der Stadt Sepphoris schuften musste. In der Nachbarschaft von Nazareth gelegen wurde sie damals mit römischen Prachtbauten als politisches und militärisches Zentrum ausgebaut. Von der Mutter des göttlichen Kinds überliefert die Bibel die Worte: "Gott stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und lässt die Reichen leer ausgehen."
"Gott will im Dunkeln wohnen und hat es doch erhellt"
Die Botschaft von der Menschwerdung Gottes lenkt unseren Blick auf Menschen, die nicht im Scheinwerferlicht stehen und leicht übersehen werden. Sie schenkt ihnen Ansehen und macht auf ihre Menschenwürde aufmerksam. "Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt", bringt das Jochen Klepper in seinem Weihnachtslied auf den Punkt.
Ich richte darum an diesem Weihnachtsfest meinen Blick bewusst auf die Mitmenschen, die oft unter unfairen Arbeitsbedingungen meine Weihnachtsgeschenke hergestellt, transportiert oder in die Regale geräumt haben. Auf die, die an Weihnachten in Notaufnahmen, Pflegeeinrichtungen oder Fabrikhallen selbstverständlich ihre Arbeit tun. Auf die, denen die Sorge schlaflose Nächte bereitet, dass ihr Einkommen nicht reicht, um in einer warmen Wohnung über den Winter zu kommen und ihre Familien zu ernähren. Auf die, die nicht nur im übertragenen Sinn im Dunkeln arbeiten wie die Zeitungszustellerin.
Welche Menschen gibt es, denen Sie in diesen Tagen besondere Aufmerksamkeit schenken möchten?
Und dazu muss nicht einmal besonders altruistisch veranlagt sein.
Familie ist eigentlich selbstverständlich, man hilft Nachbarn weil sie einem helfen, natürlich ist man dann auch nett zueinander.
Und bei Menschen die man nicht kennt ist kann man nett und hilfsbereit sein in der Hoffnung dass die sich ebenso verhalten.
Ein freundliches Lächeln, ein paar freundliche Worte, Türaufhalten und Platzanbieten werden fast immer mit einem Lächeln und Dankeschön belohnt.
Es ist schlimm wenn man erst bestimmte Feiertage braucht um daran erinnert zu werden.