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Markt Einersheim
Abschied vom guten alten Briefträger: Was das für Postboten wie Rudolf Hoppert in Markt Einersheim heißt
Weniger Briefe, dafür mehr Pakete: Den Postboten von früher gibt es immer seltener. Rudolf Hoppert übt den altehrwürdigen Beruf seit 45 Jahren aus und zeigt, wie radikal er sich wandelt.
Noch eine Institution im Ort: Rudolf Hoppert ist ein Briefträger vom alten Schlag. Seit zehn Jahren ist er in Markt Einersheim unterwegs, wo er fast jeden Menschen kennt – und von jedem gekannt wird.
Foto: Thomas Obermeier | Noch eine Institution im Ort: Rudolf Hoppert ist ein Briefträger vom alten Schlag. Seit zehn Jahren ist er in Markt Einersheim unterwegs, wo er fast jeden Menschen kennt – und von jedem gekannt wird.
Jürgen Haug-Peichl
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:08 Uhr

Klassische Briefträger gibt es immer weniger in Deutschland: Diese Schlagzeile machte kürzlich bundesweit die Runde. Rudolf "Rudi" Hoppert aus Großlangheim (Lkr. Kitzingen) ist ein Beispiel dafür, wie sich dieser traditionsreiche Beruf seit Jahren wandelt. Der Postbote von heute ähnelt immer mehr dem, was das Sprichwort als eierlegende Wollmilchsau bezeichnet.

Zum Beispiel in Markt Einersheim bei Kitzingen. Dort kennen viele Menschen Hoppert nur als "Rudi von der Post". Der 60-Jährige ist in der Gemeinde mit ihren 1200 Einwohnerinnen und Einwohnern seit zehn Jahren als Postbote unterwegs.

"Postbote Rudi": Eine Instanz in Markt Einersheim

Der drahtige Mann mit dem eiligen Schritt kennt noch jene Zeit, als der Briefträger neben Bürgermeister, Pfarrer und Lehrer so etwas wie die vierte Instanz in einem Dorf war. Heute ist Hoppert das - zumindest in Markt Einersheim - irgendwie immer noch.

Begleitet man ihn, wird klar, warum: "Rudi" mit seinem gelben Post-Lieferwagen ist Kummerkasten, Nothelfer, Dorfkenner und Sozialarbeiter in einem. Ständig grüßt er und wird gegrüßt. Als Unikum und Unikat gleichermaßen sieht er sich. Doch Hoppert weiß: Er ist eine immer seltener werdende Spezies. 

Um 6.45 Uhr geht der Arbeitstag für Rudi Hoppert los

Kurz nach zehn Uhr an einem x-beliebigen Vormittag in Markt Einersheim: Rudi Hoppert ist seit 6.45 Uhr unterwegs. Erst war er im Briefzentrum der Post in Kitzingen, wo er bis gegen neun Uhr seine Fracht aus Paketen, Briefen, Wurfsendungen und Werbeblättern nach einer für Außenstehende undurchschaubaren Ordnung in seinem VW-Bus unterbringt. Hinten ist alles voll bis fast unters Dach, eine Plastikwanne mit Briefen steht zudem vor dem Beifahrersitz.

Bis weit in den Nachmittag hinein ist Hoppert wechselweise zu Fuß oder mit dem VW-Bus in Markt Einersheim unterwegs. Die Tour hat er sich selbst zusammengestellt. Das mache jeder Briefträger von Ort zu Ort anders, sagt er.

Hopperts Wegstrecken fußen auf der sogenannten Ringzustellung, die er erfunden hat. Diese Vorgehensweise spart der Deutschen Post/DHL nach eigenen Angaben 20 Prozent Sprit bei der Zustellung. Briefträger "Rudi" bekam deshalb 2009 im Rahmen eines bundesweiten Ideenwettbewerbs von seinem Unternehmen ein Auto geschenkt.

"Ich läute halt noch gerne an der Haustür – das ist in meinem Beruf wichtig."
Postbote Rudolf "Rudi" Hoppert

An diesem Vormittag in Markt Einersheim spielt das freilich nur bedingt eine Rolle. Denn nach der reinen Lehre von Effektivität und Betriebswirtschaft ist Rudi Hoppert nicht immer optimal unterwegs. Will er auch gar nicht sein. Denn wenn er mal kurz vom Weg abbiegt, um der Kundschaft den Brief jenseits des Briefkastens in den Garten hinterm Haus zu tragen, dann möchte der 60-Jährige Dienstleister sein. Guter Mensch, guter Briefträger vom alten Schlag.

Oder die Sache mit der alten Dame in einem unscheinbaren Reihenhaus: Von ihr weiß Hoppert, dass sie schlecht zu Fuß ist. Also hat er mit ihr schon vor langer Zeit ausgemacht, dass er am Briefkasten vorbei durch den Vorgarten geht und ans Fenster im Erdgeschoss klopft. Sie macht ihm auf, er gibt ihr die Post - ein Schwätzchen inklusive.

'Rudi von der Post' weiß, was die Kundschaft will: Wie hier bei einer Frau in Markt Einersheim geht Zusteller Rudolf Hoppert schon mal Extrawege am Briefkasten vorbei, um die Lieferung am Fenster zu übergeben.
Foto: Thomas Obermeier | "Rudi von der Post" weiß, was die Kundschaft will: Wie hier bei einer Frau in Markt Einersheim geht Zusteller Rudolf Hoppert schon mal Extrawege am Briefkasten vorbei, um die Lieferung am Fenster zu übergeben.

Es dürfte nicht übertrieben sein, zu behaupten: Rudolf Hoppert kennt so gut wie alle Menschen in Markt Einersheim. Und alle kennen ihn. Der Briefträger weiß zwangsläufig, bei welchen Eheleuten gerade der Haussegen schief hängt, wer was regelmäßig im Internet bestellt und zu welchen Uhrzeiten zu Hause ist, wie die lokale Prominenz wohnt und warum bei manchen Häusern der Eingang samt Briefkasten nicht mit GPS-Adresse zu finden ist, sondern nur mit jahrelanger Erfahrung irgendwo hinterm Haus.

"Einmal kam ich an einer Arztpraxis vorbei. Da sah ich das Auto eines Kunden stehen. Also wusste ich, dass ich die Briefe nicht bei ihm zu Hause einwerfen muss. Ich hab' sie ihm einfach in die Arztpraxis gebracht", erzählt Hoppert.

Dienstleister, guter Mensch, Briefträger vom alten Schlag: Immer und überall mit den Leuten reden, lieber einmal mehr als einmal zu wenig an der Haustür klingeln und nicht einfach die Sendung vor der Tür ablegen – das sieht Hoppert als sein Erfolgsrezept. Und als seine Abgrenzung gegenüber der Konkurrenz à la UPS, Amazon, Hermes und Co.

Ein Schwätzchen hier, ein Lächeln da: Postbote Rudolf Hoppert will sich für die Kundschaft Zeit nehmen – sofern es der Zeitdruck in seinem Job zulässt.
Foto: Thomas Obermeier | Ein Schwätzchen hier, ein Lächeln da: Postbote Rudolf Hoppert will sich für die Kundschaft Zeit nehmen – sofern es der Zeitdruck in seinem Job zulässt.

Doch ein unreflektiertes Loblied auf Briefträger dieser Art ist fehl am Platz. Rudi Hoppert weiß, dass er seit Jahren in der Mühle des extremem Zeitdrucks steckt. Jener Druck, der generell aus der Zustellbranche bekannt ist. Und so wirkt der 60-Jährige an diesem Vormittag in Markt Einersheim wie üblich gehetzt, obwohl es gar kein außergewöhnlicher Arbeitstag ist.

Den Druck und die körperliche Belastung verhehlt er nicht. Kann er gar nicht, denn 2019 zwang ihn das alles in die Knie: Burnout, also seelisch-körperlicher Zusammenbruch. Jetzt sei er mit Hilfe von Medikamenten wieder einigermaßen hergestellt, sagt der Mann, der seine fünf erwachsenen Kinder, deren Kinder und seine Vereinstätigkeiten daheim in Großlangheim als Ausgleich für seinen anstrengenden Beruf sieht.

Postbote Rudi Hoppert legt jeden Tag mehr als einen Halbmarathon zu Fuß zurück

Früher kamen in der Freizeit noch Halbmarathon-Läufe dazu. Und das bei einem Mann, der nach eigener Rechnung jeden Arbeitstag 23 Kilometer zu Fuß zurücklegt. Jeden Tag also etwas mehr als einen Halbmarathon – oft noch mit einer selbst konstruierten Umhängetasche für all die Briefe und Werbeprospekte.

Beim einstigen Staatsbetrieb Post ist Hoppert schon sein gesamtes Berufsleben lang. Vor 45 Jahren habe er den Beruf gelernt, der damals noch Postjungbote hieß, erinnert er sich. So wurden die Nachwuchskräfte im einfachen Postdienst bezeichnet. Heute ist Hoppert schon deshalb eine Rarität, weil er aus dieser Zeit den Status als Beamter in die Gegenwart retten konnte.

Früher, ja das seien noch Zeiten gewesen. Doch nicht immer gute, betont der Briefträger. Die digitalen Apparate wie Scanner oder Mini-Drucker an seinem Hosengürtel seien heute Helfer, die vieles einfacher machten im Vergleich zu früher.

Pickepacke voll ist Rudolf Hopperts Postbus. Längst liefert er in Markt Einersheim nicht nur Briefe, sondern in steigendem Maße auch Pakete aus. Diese Verbundzustellung hat seinen Beruf verändert.
Foto: Thomas Obermeier | Pickepacke voll ist Rudolf Hopperts Postbus. Längst liefert er in Markt Einersheim nicht nur Briefe, sondern in steigendem Maße auch Pakete aus. Diese Verbundzustellung hat seinen Beruf verändert.

Überhaupt ist der Wandel seines Berufes für den Briefträger nicht generell etwas Schlechtes. "Verbundzustellung" lautet bei der Post seit etwa 20 Jahren der Schlüsselbegriff dafür. Er meint, dass Dienstleister wie Rudi Hoppert längst nicht mehr nur Briefe, sondern alles Mögliche zustellen – vor allem in steigendem Maße Päckchen und Pakete. Der boomende Online-Handel lässt grüßen. 

So ist Rudi Hoppert von der Post längst jene eierlegende Wollmilchsau, die alles macht: Zustellung im Eiltempo, Einschreiben und Rücksendungen annehmen, Briefmarken verkaufen und quasi im Vorbeigehen auch noch die gelben Post-Briefkästen im Ort leeren. Diese Vielfalt unterscheide seinen Job von dem der privaten Paketzusteller, betont Hoppert.

Warum Postbote Hoppert die Verbundzustellung gut findet

Die Verbundzustellung ist für den 60-Jährigen auch deshalb gut, weil er damit einen kleineren Zustellbezirk habe. Als er früher mal reiner Paketzusteller war, sei sein Radius deutlich größer gewesen. Bis zu 170 Kilometer am Tag sei er damals gefahren.

Das will Rudi Hoppert heute nicht mehr. Da sind ihm seine stundenlangen Touren durch Markt Einersheim viel lieber. Ein Schwätzchen hier, ein Lächeln da: "Ich läute halt noch gerne an der Haustür – das ist in meinem Beruf wichtig", sagt er. Dabei wird klar: Es steckt noch viel drin in ihm vom Briefträger des alten Schlags. Rudi von der Post: ein Unikum mit steigendem Seltenheitswert.

Der Stellenwert des Briefes nimmt ab

21 Briefe auf ein Paket: So war 2010 bei der Deutschen Post das Verhältnis bei der Zustellung. 2015 lag das Verhältnis in Deutschland bei 15:1, 2020 nur noch bei 8:1. Diese Zahlen gelten analog auch für Mainfranken, sagte Postsprecher Alexander Böhm auf Anfrage. Er schätzt, dass der Trend in der Region anhalten wird: 2030 werde das Verhältnis von Briefen zu Paketen wohl auf 3:1 sinken. 
In Mainfranken, dem Postleitzahlen-Gebiet 97, gibt es bei der Post 810 Bezirke mit Verbundzustellung, also für Briefe und Pakete gleichermaßen. In 115 Bezirken seien Brief- und Paketzustellung noch getrennt, so Sprecher Böhm.
Die Deutsche Post will die Verbundzustellung weiter ausbauen, sodass der klassische Briefträger immer seltener wird. In Teilen der Belegschaft wird das Vorgehen aber mit Bedenken registriert. Maik Brandenburger von der Kommunikationsgewerkschaft DPV wies kürzlich darauf hin, dass die körperliche Belastung für Beschäftigte, die bisher nur Briefe ausgetragen haben, in der Verbundzustellung steigen dürfte – schließlich müssten sie dann auch schwere Pakete schleppen. "Viele Zustellerinnen und Zusteller arbeiten schon am Limit und mitunter darüber hinaus – eine zusätzliche Belastung wird den ohnehin schon hohen Krankenstand noch weiter nach oben treiben." Die Gewerkschaft warnt vor einer weiteren Arbeitsverdichtung und Personalabbau als Folge der ausgeweiteten Verbundzustellung.
aug/dpa
 
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