
Wenn an einer Universität ein öffentlicher Gastvortrag abgesagt wird, ist das nicht zwangsläufig etwas Besonderes. Geschieht dies aber nach Protesten Studierender gegen Referent und Inhalt – dann steht schnell der Vorwurf von "Cancel Culture", also Verbotskultur im Raum: Statt sich mit missliebigen Positionen auseinanderzusetzen, sollen solche erst gar nicht geäußert werden.
Ausgerechnet an einer Hochschule? Hort von geistiger Auseinandersetzung und des Streits um bessere Argumente und Erkenntnisse? Ein Fall an der Uni Würzburg hat die Gemüter erhitzt und Fragen aufgeworfen.
Transsexualität und Transgender: Psychoanalytiker Bernd Ahrbeck zu Vortrag eingeladen
Was war passiert? Der Entwicklungspsychologe und Psychoanalytiker Bernd Ahrbeck, 73, sollte an der Universität einen Vortrag zum Thema "Transsexualität" halten. Dazu eingeladen hatte ihn Prof. Stephan Ellinger, Inhaber des Lehrstuhls für Pädagogik bei Lernbeeinträchtigungen. Die beiden kennen sich seit Jahren, haben auch zusammen publiziert.
Ahrbeck, Professor für Psychologische Pädagogik an der Internationalen Psychoanalytischen Universität Berlin, gilt als Kritiker einer allzu freien geschlechtlichen Selbstbestimmung und ist deshalb nicht unumstritten. Er warnt unter anderem vor leichtfertigen Geschlechtsangleichungen bei Kindern und Jugendlichen. Deren Zahl sei vor allem durch gesellschaftlichen und medialen Einfluss – nicht zuletzt durch Transgruppen – massiv gestiegen. Nicht selten bereuten Betroffene ihre Entscheidung, mahnt er. Die eigene geschlechtliche Identität in Frage zu stellen, sei "gerade bei Jugendlichen in der Pubertät oftmals ein vorübergehendes Phänomen".

Titel seines geplanten Vortrags in Würzburg: "Transsexualität und Transgender. Fakten und Meinungen". Doch kaum hängen die Plakate dafür im Uni-Gebäude am Wittelsbacherplatz, hagelt es Proteste gegen die Veranstaltung. Die Plakate werden beschmiert ("Schande") oder überklebt, mit Aufklebern der Grünen Jugend und "Warnhinweisen" aus dem Referat "Queer:feminismus" der Studierendenvertretung: Ahrbeck sei immer wieder durch transphobe Aussagen aufgefallen, spreche abwertend von "Genderpropaganda".
Auch über soziale Medien wird massiv Stimmung gegen Ahrbeck und den Vortrag gemacht. Trans-Menschen würden von ihm diskreditiert, heißt es gegenüber der Redaktion in einer Stellungnahme, die ihn mit Rechtspopulisten in Verbindung bringt. Man empfinde den Vortrag in Würzburg als "weiteren Versuch, trans*Personen ihre Rechte abzusprechen".
In Mails an Veranstalter Ellinger fordern die Studierendenvertretung und die Grüne Hochschulgruppe, den Vortrag der "transfeindlichen Person" Ahrbeck abzusagen. Die Universitätsleitung ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingebunden. Ellinger versucht umgehend, die Protestierenden zu einem klärenden Gespräch zusammenzubringen – doch noch vor diesem sagt Ahrbeck seinen Vortrag ab.
Er habe massive Störungen oder Tumulte befürchtet, erklärt er gegenüber der Redaktion. Es habe Drohungen gegeben. "Unter diesen Bedingungen wollte ich mir das nicht zumuten." Ist das nun "Cancel Culture"? Sonderpädagoge Ellinger findet ja, das Ausmaß der "Beleidigung und persönlichen Herabsetzung" sei erheblich gewesen.
Er bedauert: "Leider scheint sich in einigen Lagern unserer Gesellschaft die Bereitschaft verflüchtigt zu haben, sich über Streitfragen auf anständige Weise auseinandersetzen zu wollen." Gerade an Universitäten bestehe der Bildungsauftrag auch darin, jungen Menschen das bessere Argument als Werkzeug vorzustellen. "Im Kontext des Vortrags hätte selbstverständlich die Möglichkeit bestanden, sich kritisch auszutauschen."
Während die Protestierenden vor allem über soziale Medien die Öffentlichkeit suchen, findet Ahrbeck – nach eigenen Worten ein "Alt-68er, dem eine rechte Gesinnung unterstellt wird" – Gehör bei konservativen Medien wie der "Welt" und der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Und: Das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit springt ihm mit einer Meldung und einem Schreiben an die Würzburger Hochschulleitung bei.
Bei dem vor wenigen Jahren gegründeten Netzwerk handelt es sich um einen Zusammenschluss von mittlerweile rund 750 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich gegen eine Einschränkung von Meinungsfreiheit im akademischen Kontext wehren. Bernd Ahrbeck ist Mitglied in dem Netzwerk, Kritiker machen dort auch neorechte Strömungen aus.
In seiner Stellungnahme verurteilt das Netzwerk die "erzwungene Absage des Vortrags" als "Ausdruck von Cancel Culture" und sieht darin eine Verletzung der Wissenschaftsfreiheit. Gastredner Ahrbeck sei persönlich verunglimpft und diffamiert worden. Wörtlich heißt es: "Die Universität muss eine Stätte des freien argumentativen Austausches auch und gerade über sensible Themen bleiben!"
Unipräsident Paul Pauli: "Es gab kein Redeverbot"
Das findet auch Würzburgs Unipräsident Prof. Paul Pauli. An der Universität müsse man die Grenzen für Meinungs- und Positionsvielfalt sehr weit ziehen, sagt Pauli. Er bedauere, dass keine Form für den Vortrag – etwa mit kritischer Begleitung – mehr gefunden werden konnte. Den Vorwurf von Cancel Culture will der Unipräsident daher nicht stehen lassen. Der Referent selbst, nicht die Uni, habe den Vortrag abgesagt: "Es gab kein Redeverbot."

Aufgrund des Vorfalls wolle die Universitätsleitung mit den Fakultäten jetzt aber einen Modus finden, wie mit solchen Situationen künftig umzugehen ist. Der Fall werde die Uni-Gremien beschäftigen, sagt Psychologe Pauli: "Wir brauchen einen Ablaufplan beim Verdacht, dass irgendwo die Wissenschaftsfreiheit eingeschränkt wird."
Deutscher Hochschulverband: vor Verlust von Debatten- und Streitkultur gewarnt
Vor deren Verengung warnte bereits vor sechs Jahren der Deutsche Hochschulverband in einer Resolution. Man beobachte mit Sorge, dass "die Debatten- und Streitkultur an den Universitäten erodiert". "Political Correctness" werde zunehmen ausgrenzend und aggressiv instrumentalisiert.
Gehalten hat Psychoanalytiker Bernd Ahrbeck seinen Vortrag in Würzburg übrigens dann doch noch. Am geplanten Tag, allerdings privatissimo in einem Mini-Plenum vor einer Handvoll vertrauter Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Ob es dort zu Widerspruch kam, ist nicht bekannt.
(Hinweis der Redaktion: Im Zuge der Recherchen wurde selbstverständlich auch das Queer:Feminismus-Referat der Studierendenvertretung um Beantwortung von Fragen zu dem Vorgang gebeten. Aus der entsprechenden Stellungnahme wurde im Artikel zitiert. Dies war in einer früheren Version dieses Beitrags nicht klar ersichtlich. Die entsprechende Stelle wurde ergänzt.)
darf offenbar heutzutage nur noch dann stattfinden, wenn ausschließlich politisch korrekte Positionen diskutiert werden sollen. Ob bzw. inwieweit das Resultat dann mit der Wirklichkeit übereinstimmt, ist eine komplett andere Frage...
Et tamen movetur!
Spricht man mit jemanden, mit dem sich zu reden nicht lohnt, dann ist das Zeitverschwendung. Redet man himngegen nicht mit demjenigen, der ein brillanter Kopf ist, dann ist das ein Verstoß gegen die Menschlichkeit.
Reden muss man miteinander , um im freien Wettbewerb die beste Lösung für ein Problem herauszukristallisieren, und Aufklärung, auch wenn sie unbequem ist, tut Not.
Sind wir nicht alle gleiche Menschen? Es geht doch nicht um Populismus oder meidale Wirksamkeit oder warum kann man nicht normal miteinander umgehen? Wer sich zur Schau stellen möchte kann das doch tun? Die Gesellschaft ist doch vielfältig! Dazu gehört aber sich gegenseitig zu begegnen und auch für Kritik offen zu sein!
Uns sollten in der derzeitigen Situation andere Probleme interessieren als die künstliche, aus wahlkampftaktischen Gründen hochgespielte Genderdebatte!
Damit kann man gegen alles meckern, ohne selbst nachdenken zu müssen!
Für mich zeigt schon der Begriff "Referat "Queer:feminismus" der Studierendenvertretung", dass diese angebliche "Vertretung" eine ideologisch einseitig vereinnahmte Gruppierung ist, die hoffentlich nicht für die Gesamtheit zukünftiger Akademiker und Führungskräfte steht.
Natürlich werden Theorien und Thesen, die grundsätzlich falsifizierbar sein müssen, kontrovers diskutiert. Das wäre auch bei dem Vortrag in Würzburg so geschehen. Doch diese Diskussion war aber offenbar gar nicht gewünscht, vielmehr wollte man sich mit den Inhalten nicht auseinandersetzen, sondern die Veranstaltung sabotieren und einen kritischen Wissenschaftler mundtot machen. Dieses Vorgehen ist weder wissenschaftlich, geschweige denn demokratisch.
Geradezu absurd ist es aber, als Rechtfertigung für dieses heutige Verhalten die Studentenbewegung von 1848, deren Ziele Demokratie und Liberalität waren, anzuführen. Es ist eine nachträgliche Beleidigung derjenigen Menschen, die damals ihr Leben verloren.
Die Studentenrevolte wurde als Bsp angeführt da ich den Eindruck gewonnen hatte sie erwarten das Studenten kritiklose, Stille Ressonazkörper sein sollten.