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Ochsenfurt
Finger weg von "Dr. Google": Ochsenfurter Facharzt Dr. Umminger liefert wichtige Fakten und Tipps zu Demenz
Immer mehr Menschen in Deutschland erhalten die Diagnose Demenz. Der Ochsenfurter Psychiater Dr. Jens Umminger erklärt, was Betroffene und Angehörige tun können.
Normale Vergesslichkeit oder eine Demenzerkrankung? Wer Zweifel hat, sollte einen Facharzt aufsuchen, rät Psychiater Dr. Jens Umminger.
Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa (Symbolfoto) | Normale Vergesslichkeit oder eine Demenzerkrankung? Wer Zweifel hat, sollte einen Facharzt aufsuchen, rät Psychiater Dr. Jens Umminger.
Leonie Dierolf
 |  aktualisiert: 26.09.2024 02:34 Uhr

Im Jahr 2022 lebten allein in Bayern etwa 270.000 Menschen über 65 Jahren mit Demenz, wie das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit berichtet. Angesichts der bayernweiten Woche der Demenz gibt Dr. Jens Umminger, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie in Ochsenfurt, wertvolle Tipps. Er bietet in seiner Praxis unter anderem Demenzdiagnostik an und erklärt, wie sich Betroffene und ihre Angehörigen faktenbasiert informieren können und welche Hilfsangebote es gibt.

Was sollte man tun, wenn man bei sich oder bei Angehörigen eine Demenzerkrankung vermutet?

Erkennt man bei sich selbst oder bei Angehörigen erste Anzeichen einer Demenz, solle in jedem Fall schnellstmöglich ein Facharzt für Psychiatrie aufgesucht werden, damit eine qualifizierte Demenztestung vorgenommen werden kann, rät Dr. Jens Umminger. Dabei sei es wichtig, keine Zeit zu verlieren, dann – ähnlich wie bei einem Schlaganfall – gelte "time is brain". Fachärzte sollten Patientinnen oder Patienten und deren Angehörige dann einfühlsam, aber trotzdem direkt und individuell aufklären, so Umminger: "Wichtig ist, dass man von Anfang an offen und realistisch mit den Betroffenen und deren Familien spricht", erklärt er. "Man darf auf keinen Fall falsche Hoffnungen wecken." Gleichzeitig führe aber auch Schwarzmalerei nicht zum Ziel.

"Familien sind oft mit der Situation, vor allem psychisch, überfordert."
Dr. Jens Umminger, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie/Psychotherapie

Was sollte man tun, sobald die Diagnose gestellt wurde? 

Das hängt davon ab, wie weit die Erkrankung bereits vorangeschritten ist und welche Einschränkungen im Alltag und im Berufsleben bestehen. Sobald Betroffene auf Fremdhilfe angewiesen sind, sollten diese laut Umminger dringend einen Antrag auf Feststellung einer Behinderung bei dem Versorgungsamt und einen Antrag auf einen Pflegegrad bei der Pflegekasse stellen.

Auch den Angehörigen rät der Facharzt, sich Unterstützung zu holen: "Die Angehörigen sollten auf jeden Fall eine Angehörigengruppe aufsuchen, weil viele Familien, vor allem bei der Diagnosestellung, mit der Situation überfordert sind."

Auf welche Grenzen stößt die Demenzmedikation?

"Es muss klar sein, dass eine Demenz bis heute nur herausgezögert, aber nicht gestoppt werden kann", betont Umminger. Dieses Hinauszögern wird zum einen durch Medikation erreicht. So kommen bei leicht- bis mittelgradiger Demenz sogenannte Cholinesterase-Hemmer zum Einsatz, bei fortgeschrittener Demenz wird ein Glutamat-Agonist eingesetzt. Diese zielen darauf ab, Symptome der Erkrankung zu mildern und die Lernfähigkeit und Alltagskompetenz länger zu erhalten.

In den USA existiert seit diesem Jahr zudem ein neu zugelassenes Präparat, welches vor allem die Alzheimer-Demenz für ein paar Monate komplett aufhalten soll. In Deutschland ist dieses jedoch noch nicht zugelassen, da sich die europäische Arzneimittelbehörde im Juli wegen der Nebenwirkungen gegen die Einführung in Europa entschied.

Hierzulande seien bereits seit längerer Zeit keine neuen Präparate auf den Markt gekommen, so Umminger. Auch von einer Heilung der Krankheit ist die Forschung nach Einschätzung des Facharzts noch weit entfernt. "Unser Ziel ist aktuell, den Betroffenen mehr Lebensqualität im Alltag und teilweise auch im Beruf zu geben", erläutert Umminger. "Dadurch findet auch eine Entlastung der Familie statt." 

Bei Demenz ist häufig eine Kombination aus medikamentöser Behandlung und Gedächtnistrainings sinnvoll.
Foto: Christin Klose, dpa (Symbolfoto) | Bei Demenz ist häufig eine Kombination aus medikamentöser Behandlung und Gedächtnistrainings sinnvoll.

Welche zusätzlichen Therapien können Betroffenen neben Medikamenten helfen?

Neben einer medikamentösen Behandlung sei auch die Gedächtnistherapie über Ergotherapie zwingend erforderlich, meint der Psychiater. Diese beiden Therapieansätze ergänzen sich seiner Ansicht nach besonders gut. Dabei fordert er, dass auch den Angehörigen von professioneller Seite gezeigt wird, wie sie die Erkrankten im häuslichen Umfeld unterstützen können. So sei ein Demenztraining nach Anleitung durchaus auch von Angehörigen durchführbar. Trotz allem sollten diese privaten Trainings nur als mögliche Ergänzung und niemals als Ersatz für eine professionelle Ergotherapie gesehen werden, so Umminger.

Um den individuellen, für sich passenden Therapieansatz zu finden, rät der Arzt stets, mit einer Überweisung der Hausärztin einen Psychiater aufzusuchen. Durch diesen kann eine ausführliche Beratung bezüglich passender Therapieangebote stattfinden.

Wie kommt man an seriöse Informationen zum Thema Demenz?

Jens Umminger warnt davor, "Dr. Google" zu befragen, da im Internet häufig falsche Dinge bezüglich Demenz verbreitet würden. Der sicherste Weg sei es stattdessen, direkt einen Facharzt oder eine Fachärztin für Psychiatrie zu befragen. Möchte man sich trotzdem über das Internet informieren, empfiehlt Umminger Fachseiten, wie die der Deutschen Gesellschaft für Neurologie oder der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie. "Ich empfehle dringend, im Internet offizielle wissenschaftliche Seiten von offiziellen Gesellschaften aufzusuchen. Von irgendwelchen Chatseiten rate ich definitiv ab", erklärt er.

Wie erhält man einen Pflegegrad oder einen Grad der Behinderung?

Ob tatsächlich ein Grad der Behinderung oder ein Pflegegrad vorliegt, hängt laut Umminger von vielen Faktoren ab. Grundsätzlich lasse sich jedoch sagen, dass eine höhere Pflegebedürftigkeit auch einen höheren Pflegegrad bedeutet. Um diesen festzustellen, wird meist eine Begutachtung im häuslichen Umfeld durchgeführt. Dabei werden die Minuten zusammengezählt, in denen Menschen mit Demenz externe Hilfe benötigen. Dazu zählt unter anderem das Vorbereiten von Mahlzeiten oder das Begleiten bei Spaziergängen, wenn bereits Orientierungsprobleme vorliegen. Anhand der Anzahl dieser Minuten wird man dann in einen Pflegegrad zwischen eins und fünf eingeteilt.

Der davon unabhängige Grad der Behinderung hängt wiederum davon ab, wie körperlich und psychisch eingeschränkt die Betroffenen sind. Dazu wird betrachtet, welche Tätigkeiten im Alltag noch eigenständig erledigt werden können und für welche Hilfe benötigt wird. Der Grad der Behinderung wird dann in Zehnerschritten von 20 bis 100 ausgedrückt. Ab einem Grad von 50 gilt man als schwerbehindert und erhält verschiedene Steuervorteile oder Sonderrechte. Bereits ab einem Grad von 30 oder 40 lässt sich jedoch eine sogenannte Gleichstellung mit einer Schwerbehinderung beantragen, welche Nachteilsausgleiche im Berufsleben mit sich bringt.

Welche Angebote stehen Menschen mit Demenz außerdem zur Verfügung?

Sind Betroffene durch zunehmend körperliche Einschränkungen auf Hilfsmittel wie Rollatoren oder Rollstühle angewiesen, werden diese Kosten durch die Krankenkasse übernommen. Auch Selbsthilfegruppen können sehr hilfreich sein, findet Umminger. Dort können Erfahrungen ausgetauscht werden, man erfährt von neuen Therapieverfahren und erhält psychische Unterstützung. 

Anlässlich der Bayerischen Demenzwoche vom 20. bis 29. September lassen sich im gesamten Bundesland über 1.000 Veranstaltungen rund um die Erkrankung Demenz besuchen. In Ochsenfurt wird am 25. September um 19.30 Uhr im Kino Casablanca der Film "Die Auslöschung" gezeigt. Im Anschluss gibt es die Möglichkeit zum Gespräch mit Expertinnen und Experten. Eine vorherige Anmeldung ist erforderlich. Weitere Informationen und Veranstaltungen finden Sie unter https://www.demenzwoche.bayern.de/

 
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Kommentare
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  • Jutta Nöther
    Es ist richtig, vor ungeprüften Informationen aus den Internet zu warnen. Allerdings ist nicht alles, was es gibt, zweifelhaft.

    Gerade zum Thema Demenz gibt es zwei Facebook-Foren, die wie eine Selbsthilfegruppe funktionieren und tatsächlich wertvolle Informationen und Hilfe leisten:

    "Demenz- Teile deine Sorgen" und "Demenz - für Angehörige und Betroffene".
    Hier schreiben neben Betroffenen auch Fachkräfte, und man erfährt dort wirklich Wichtiges, nebst Trost und Ermutigung.

    Denn Demenz ist eine sehr schlimme Krankheit, die gerade die Angehörigen häufig über ihre Grenzen bringt. Verständnis und Rat von anderen, die das gleiche erleben und/oder wirklich wissen, wovon gesprochen wird, werden daher dringend gebraucht
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