
Die Demenz seiner Frau ist eine der großen Herausforderungen im Leben des Kinder- und Jugendbuchautors Paul Maar. Nun hat der Sams-Erfinder ein Kinder-Theaterstück über die Krankheit geschrieben. Theater-Leiterin Anne Maar hat es auf die Bühne gebracht: "Opa Bär und die Menz" steht aktuell auf dem Spielplan im Theater-Lkw des Theaters Schloss Maßbach. Im Doppelinterview sprechen Vater und Tochter über das Stück - und die Alzheimer-Erkrankung von Nele Maar.
Paul Maar: Meine Frau Nele ist seit über sechs Jahren dement. Gesundheitlich baut sie immer mehr ab. Entsprechend ist das für mich ein Thema, das auf den Nägeln brennt. Ich merke aber auch, dass ich nicht alleine bin und dass sich die Demenz-Fälle im weitesten Bekanntenkreis häufen. Eventuell ist das eine subjektive Wahrnehmung, vielleicht nehmen Demenz-Erkrankungen in unserer Gesellschaft aber auch zu.
Anne Maar: Paul hat das Stück extra für den Theater-Lkw geschrieben. Es war kein Auftrag, aber der Lkw war da und Paul kam die Idee zu "Opa Bär und die Menz".
Anne Maar: Natürlich kennen die meisten Kindergartenkinder Demenz nicht aus eigener Anschauung. Ihre Großeltern sind oft noch jung. Was viele Kinder aus dem Stück mitnehmen ist, dass Opa Bär irgendwas im Kopf hat, dass er krank ist. Im Sinne von: Da gibt es etwas und es kann sein, dass Opas das kriegen. Oder sie sehen einfach eine besondere Opa-Enkel-Beziehung. Opa und Enkelkind, die sich trotz Schwierigkeiten verstehen, die zusammenhalten, auch wenn der Opa manchmal ein wenig unberechenbar ist.
Anne Maar: Er fährt dahin, wo er gebucht wird, auch nach Siegen oder Baden-Württemberg. Eigentlich sind die Stücke im Lkw Aufführungen, die von Kindergärten gebucht werden. Gerade in Bezug auf dieses Stück wollen wir nun vermehrt auch Mehrgenerationenhäuser ansprechen und hoffen, dass sie die Vorstellung buchen werden.

Paul Maar: Eher andersherum. Die Demenz meiner Frau war Anstoß zu schreiben. Weil mir das Thema so nah ist, kann und muss ich darüber schreiben.
Anne Maar: Jeder Demenzkranke ist ja ein bisschen anders. In dem Stück werden viele Ausdrucksformen von Demenz angerissen. Nicht alle treffen auf meine Mutter zu.
Paul Maar: Das Stück ist ein Kaleidoskop von Demenz.
Paul Maar: Mir ist aufgefallen, dass sie vergesslich wird. Irgendwann habe ich sie gebeten, sich im Klinikum untersuchen zu lassen. Dort wurde ihr eine Flüssigkeit aus dem Rückenmark entnommen und die Erkrankung diagnostiziert. Im Alter von 79 Jahren wusste sie damit, dass sie Alzheimer hat.
Anne Maar: Paul, als du mir von den Untersuchungsergebnissen erzählt hast, hat Nele gesagt: Nein, stimmt doch gar nicht! Auch im Anschluss hat sie ihre Erkrankung sehr lange nicht wahrhaben wollen. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit ihr. Meine Mutter war Familientherapeutin. Kollegen aus ihrer Praxis hatten ihr gesagt, dass sie glauben, dass sie Demenz hat. Darüber war sie sehr empört. Sie fragte mich, ob ich auch glaube, dass sie Alzheimer hat. Meine Antwort: "Ich gebe zu, dass ich darüber schon mal nachgedacht habe." Da war sie kurz still. Dann hat sie gesagt: "Das wünsche ich weder euch noch mir." Das war ein ganz furchtbarer Moment. Weil ich da ihre Angst und Verzweiflung gespürt habe.
Paul Maar: Es gab zwischendurch ein Gespräch, in dem ich ihr sagte: "Ich beschütze dich immer. Du kannst dich auf mich verlassen." Ich habe ihr versprochen, sie nie in ein Heim einzuliefern. Das habe ich gehalten.
Anne Maar: Ja. Es sagt: "Ich werde immer für dich da sein."

Anne Maar: Nach dem langen Negieren, als die Demenz fortschritt, kam bei Nele ein Umschwung, ein Zustand, in dem sie immer heiter war, viel gelacht hat. Wütend oder verzweifelt war sie nie. Es ist ein allmählicher Abschied.
Paul Maar: Der ist wahrscheinlich für die Angehörigen schwieriger als für die Demenzkranken selber.
Anne Maar: Es ist ein Prozess, in dem man einen Menschen verliert.
Paul Maar: Das ist das Schmerzliche. Ich denke an unsere vielen Dialoge, abends im Bett, ich hab ihr von meinem neuen Stück erzählt, sie hat mir erzählt, dass sie wieder so eine schwierige Familie in der Praxis hat und wie sie das Problem gelöst hat. Das fällt alles weg.
Anne Maar: Für mich als Tochter ist es so, dass meine Mutter nicht mehr da ist. Natürlich ist sie noch meine Mutter, aber nicht mehr in ihrer Persönlichkeit.
Paul Maar: Es hat was vom Wachkoma. Vor eineinhalb Jahren hat sie ihre Sprache verloren. Sie hört nicht mehr, sie reagiert nicht mehr. Sie hat eigentlich immer Hunger und den Mund offen wie ein Vögelchen, das gefüttert werden will. Manchmal wenn ich ihre Hand halte, schaut sie kurz hin, bevor sie wieder in die Luft schaut und ansonsten ist sie einfach nicht da.
Anne Maar: Man weiß nicht, was in ihr vorgeht, ich kann keine Verbindung mehr herstellen.
Paul Maar: Das ist eine sehr schwierige Frage. Sagen wir mal, das erotische Moment fällt weg. Liebe wird eher zu Fürsorge.
Anne Maar: Was bleibt, ist die Liebe zu einer Person, die schon nicht mehr da ist. Die Liebe zu einem Menschen, wie der Mensch mal war. Die Liebe ist noch da. Aber sie ist nicht an den Menschen gebunden, der da vor mir sitzt.

Anne Maar: Es gibt einen Moment, den wir ein wenig abgeschwächt haben. Als das Enkelkind Opa Bär sagt, dass er dement ist, antwortet der: "Die Menz soll weggehen. Blöde Menz, doofe Menz." Ursprünglich wurde Opa Bär an dieser Stelle wütender. Bei einer Probe haben die Kinder da aber Angst gekriegt.
Paul Maar: Ich wollte kein tieftrauriges Stück schreiben. Es soll etwas vermitteln, aber auch unterhalten.
Paul Maar: Es ist zumindest eine.
Anne Maar: Ein humorvoller Umgang gelingt nicht immer, aber wenn er gelingt, ist er hilfreich. Bewusst über die Krankheit lachen konnten wir mit meiner Mutter nicht. Später, in einem Stadium als sie noch reagierte, konnten wir immerhin scherzen. Wenn man lustige Töne von sich gegeben hat, hat sie gelacht.

Anne Maar: Wenn es eine Botschaft gibt, dann die: Der Umgang mit Demenz wird leichter, wenn man sich auf die Realität des Demenzkranken einlässt.
Paul Maar: Einmal wachte Nele nachts auf und sagte: Wir müssen zum Flughafen! Da hab ich sie nicht verbessert, sondern gesagt: Der Flug ist auf 16 Uhr verschoben, du kannst weiterschlafen. Nach dem Aufwachen hatte sie es vergessen.
Anne Maar: Für den Angehörigen geht es auch darum, die Menz als existent anzuerkennen und dem Demenzkranken nicht ständig zu sagen: Stimmt nicht, stimmt nicht!
Paul Maar: Ein andermal sagte sie, sie müsse in die Schule. Darauf ich: Du hast wohl vergessen, dass Ferien sind. Trotz meiner grauen Haare war ich für sie wieder der 19-jährige Paul. Das Gute in unserem Fall war, sie hat mich und uns sehr lange erkannt.
Anne Maar: Ich bin auch nicht sicher, ob sie dich nicht jetzt noch erkennt.
Paul Maar: Aber sie reagiert bei der Pflegerin Katharina genauso wie bei mir.
Anne Maar: Es sind immer mindestens zwei Pflegerinnen da. Das macht meine Schwester Katja mit einem Team aus vier bis fünf Leuten. Man kann von Glück sagen, dass es das Sams gibt.
Paul Maar: Ja, das Sams finanziert die Pflege.
Paul Maar: Ja, Phantasiefiguren sind alterslos. Wenn ich heute über das Sams schreibe, bin ich wieder derselbe wie vor 50 Jahren.

Paul Maar: Die heimliche Angst hat man schon, wenn man im Alter plötzlich minutenlang nachdenken muss, bis man auf den Namen Clint Eastwood kommt. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich zwar vergesslicher werde, aber von Alzheimer verschont bleibe.
Anne Maar: Ich frage mich das schon manchmal. Zumal ich nicht sicher bin, ob ich so eine friedliche Patientin wäre. Noch dazu habe ich keine Kinder und denke mir, wer steckt mich dann wohl mal in welches Heim.
Beide: Was bleibt einem anderes übrig!
(Pause)
Anne Maar: Nicht wirklich!
Paul Maar: Nein.