Sie hat viele Gesichter und Stadien: Als Krankheit ist Demenz zwar nicht heilbar. Aber wird sie früh erkannt, gibt es viele Hilfestellungen. Präventiv etwas gegen Demenz zu tun – dazu appelliert Psychologin Alexandra Wuttke. Die 34-Jährige hat gerade die neu geschaffene Professur für die Prävention von Demenz und Demenzfolgeerkrankungen an der Uniklinik Würzburg übernommen. Was sie Gesunden, Betroffenen und Angehörigen rät.
Prof. Alexandra Wuttke: Das Alter ist der größte Risikofaktor, eine Demenz zu bekommen. Und da wir in einer alternden Gesellschaft leben, gibt es objektiv mehr Betroffene. Gleichzeitig sind aber auch unsere Möglichkeiten in der Diagnostik deutlich besser, so dass wir früher Demenzen erkennen können.
Wuttke: Wir sind auf dem Weg dahin. In Deutschland leben rund 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenz. Aber nur bei der Hälfte hat ein Arzt formal die Diagnose gestellt und damit den Weg in die Versorgung gebahnt. Die andere Hälfte hat keinen Zugang zu Leistungen und Ansprüchen, das ist ein Riesenproblem. Leider wird meist erst spät diagnostiziert – nämlich dann, wenn Probleme auftauchen.
Wuttke: Das ist dramatisch. Denn wir können heute die Diagnose einer Demenz in einem sehr frühen Stadium stellen. Menschen können zu diesem Zeitpunkt noch selbstständig leben und selber entscheiden, wie sie mit den weiteren Herausforderungen umgehen wollen. Aber in den Köpfen ist immer nur die späte Demenz – also wenn jemand im Pflegeheim ist und vieles nicht mehr kann.
Wuttke: Es gibt viele verschiedene Formen. Die häufigste ist die Alzheimer-Demenz in Kombination mit der vaskulären Demenz. Bei manchen Formen steht gar nicht das Gedächtnis im Vordergrund, sondern eine Persönlichkeitsveränderung. Deshalb ist Aufklärung in der Bevölkerung so wichtig. Je früher man so etwas erkennt, desto besser kann man gegensteuern.
Wuttke: Wir reden viel über Demenz, aber die Erkenntnisse aus der Forschung kommen noch zu wenig an. In Würzburg gibt es ganz tolle Strukturen und Anlaufstellen für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen. Nur überall in Deutschland ist das Problem: Die Menschen gehen zu wenig auf diese guten Angebote ein, da spielt auch Scham eine Rolle. Das ist schade.
Wuttke: Es gibt verschiedene Gruppen. Da sind diejenigen, die von Anfang an mit ihren Angehörigen sehr offen über ihre Diagnose sprechen und sich gleich ein Hilfs- und Unterstützungsnetzwerk aufbauen. Diesen Menschen geht es besser. Sie ziehen sich nicht zurück, bleiben aktiv – das hat einen positiven Einfluss. Daneben gibt es die, die sich sofort zurückziehen, teilweise den eigenen Kindern nichts sagen. Niemand soll etwas davon erfahren. Diesen Menschen geht es schlechter, das Verbergen ist ein enormer Stress.
Wuttke: Viele denken, Demenz sei rein genetisch und es wäre nichts dagegen zu machen. Aber 40 Prozent des Risikos, an Demenz zu erkranken, sind veränderbar! Das ist enorm. Das heißt, durch Prävention können wir in vielen Fällen verhindern, dass eine Demenz überhaupt entsteht.
Wuttke: Viele, ja. Manches davon beginnt schon im frühen Leben, zum Beispiel die Bildung. Je mehr und länger man sich geistig fordert und fördert, desto geringer ist das Risiko, eine Demenz zu entwickeln. Soziale Aktivitäten mit anderen und Bewegung puffern das Risiko, ebenso ein gesunder Lebensstil. Rauchen oder Übergewicht dagegen erhöhen das Demenzrisiko.
Wuttke: Spannenderweise ist das – das wissen wir heute – sogar der größte veränderbare Risikofaktor. Wenn man im mittleren Erwachsenenalter schlecht hört, hat man ein höheres Risiko für die Entwicklung einer Demenz. Wenn man dann aber ein Hörgerät trägt, gleicht man das Ganze aus. Die Vermutung ist: Wenn man schlecht hört, fallen einem die Gespräche schwerer, man muss nachfragen, zieht sich zurück. Das heißt, ein Hörgerät ist ein Riesenhebel zur Vorbeugung.
Wuttke: Weil es diesen Menschen nicht hilft, sie darauf zu reduzieren. Demenz ist nicht tödlich, man stirbt nicht an einer Demenz, sondern irgendwann mit ihr. Ich versuche, ein ganz anderes Bild von Demenz aufzubauen. Sie ist kein Schicksal, dem man hilflos ausgeliefert ist, sondern eine Herausforderung, an die wir uns anpassen können. Demenz ist leider stigmatisiert. Wir sprechen erst darüber, wenn die Probleme im Vordergrund stehen. Aber es gibt eine Phase davor.
Wuttke: Das Gedächtnis lässt nach, oder an neuen Orten fällt einem die Orientierung schwerer. Man findet sich nicht mehr so gut zurecht. Oder man ist reizbarer, schläft schlecht – das sind erste Anzeichen, die auf eine Demenz hinweisen können. Und da ist es wichtig, so mutig zu sein und das mit Fachleuten zu besprechen. Am Anfang können die Symptome einer Demenz und einer Depression sehr ähnlich sein. Eine Depression können wir heilen – eine Demenz nur im Verlauf ausbremsen. Meine Empfehlung wäre, bei Anzeichen zum Hausarzt zu gehen und eine Gedächtnisambulanz aufzusuchen.
Wuttke: Man sollte Menschen mit einer dementiellen Entwicklung nicht korrigieren. Da können Sie wirklich etwas falsch machen. Also Sätze wie "Das hast Du mich heute schon dreimal gefragt!" oder "Warum hast Du das vergessen?" Oder kleine Gedächtnistests machen nach dem Motto "Wiederhole mir diese drei Wörter". Hier Menschen mit ihren Defiziten zu konfrontieren, führt in einen Teufelskreis. Sie ziehen sich dann erst recht zurück, weil sie Angst haben, entdeckt zu werden. Sie sind dann nicht mehr aktiv, ziehen sich aus der Beziehung zurück, trauen sich nicht mehr zum Kegeln oder zum Chor. Besser ist: Wenn jemand dreimal das Gleiche fragt, dann dreimal gelassen antworten.
Wuttke: Wir würden sagen "validieren statt korrigieren", also das wiederholt Gesagte oder Gefragte wertschätzen. Wenn jemand dreimal fragt "Wann gibt es heute Essen?", dann scheint das ja ein wichtiges Thema für diesen Menschen zu sein. Und auf dieses Bedürfnis sollte man bewusst eingehen, indem man zum Beispiel antwortet: "Ich sehe, Dir ist das ja ganz wichtig. Wir essen um 18 Uhr." Aber nicht benennen, dass jemand sein Fragen kurz danach schon wieder vergessen hat.
Wuttke: Das passiert leider sehr häufig. In Beratungsgesprächen erzählen oft Angehörige über den Menschen mit Demenz. Der sitzt daneben und wird immer kleiner. Mein Anliegen ist es, dass Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen auf Augenhöhe bleiben. Ja, die Demenz macht das Gedächtnis kaputt. Aber vieles andere ist davon unbeeinträchtigt und man kann bei einer beginnenden Demenz gut zusammenleben, wenn man das Gedächtnis einfach umschifft. Mein Ziel ist es, dass Angehörige nicht über einen Menschen mit Demenz sprechen, sondern mit ihm oder ihr.
Wuttke: Ein Ortswechsel geht in der Regel mit einer massiven Verschlechterung einher. Bei einer beginnenden Demenz kommt man in den vertrauten vier Wänden noch gut zu recht. Aber in einer neuen Umgebung umlernen zu müssen – das ist für viele ein richtiger Einbruch. Es gibt so viele Hilfen, die den Verbleib in der eigenen Wohnung ermöglichen können. Sie sind nur vielfach nicht bekannt oder werden nicht angenommen. Das ist ein Fehler. Und wenn die Angehörigen über der Belastung krank werden, können sie auch nicht mehr für den Menschen mit Demenz da sein. Aber letzten Endes ist das eine individuelle Entscheidung, die man gut abwägen muss.
Wuttke: Ich fand schon im Studium ältere Menschen faszinierend – entgegen all dieser negativen Bilder. Sie haben solche Ressourcen, eine solche Lebenserfahrung, von der man profitieren kann. Ich finde es bemerkenswert, wie es eigentlich der Großteil der Älteren mittlerweile schafft, gesund zu altern. Es ist toll, wenn ältere Menschen aktiv sind, sich digital weiterbilden. Das ist für die neue Seniorengeneration, die gerade in Rente geht, oft selbstverständlich. Ich habe in der Beratung Menschen mit Demenz, die mich fragen, ob ich ihnen beim Einstellen ihrer Smartwatch helfen kann.
Was Sie in Ihrem Umfeld feststellen ist sicher ein möglicher persönlicher Eindruck.
Es gibt, wie im Artikel auch genannt, eine genetische Disposition.
Und dass auch hoch gebildete Menschen Alzheimer bekommen können, hat man ja auch dem berühmten Rhetorik Professor Walter Jens gesehen, der vorher als Philosoph immer wieder ganz Deutschland beeindrucken konnte.