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Würzburg
Neue Würzburger Professorin: Wir sind der Demenz nicht hilflos ausgeliefert - "40 Prozent des Risikos sind veränderbar!"
Für die Entstehung von Demenz gibt es viele Faktoren. Psychologin Alexandra Wuttke weiß, was wir selbst dagegen tun können – und wie wir als Angehörige reagieren sollten.
Spezialistin für Demenz: Die Psychologin Alexandra Wuttke hat am Uniklinikum Würzburg die neue Stiftungsprofessur für die Prävention von Demenz und Demenzfolgeerkrankungen angetreten.
Foto: David Wuttke | Spezialistin für Demenz: Die Psychologin Alexandra Wuttke hat am Uniklinikum Würzburg die neue Stiftungsprofessur für die Prävention von Demenz und Demenzfolgeerkrankungen angetreten.
Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:17 Uhr

Sie hat viele Gesichter und Stadien: Als Krankheit ist Demenz zwar nicht heilbar. Aber wird sie früh erkannt, gibt es viele Hilfestellungen. Präventiv etwas gegen Demenz zu tun – dazu appelliert Psychologin Alexandra Wuttke. Die 34-Jährige hat gerade die neu geschaffene Professur für die Prävention von Demenz und Demenzfolgeerkrankungen an der Uniklinik Würzburg übernommen. Was sie Gesunden, Betroffenen und Angehörigen rät.

Frage: Man hat den Eindruck, Demenz greife immer stärker um sich. Gibt es heute tatsächlich so viel mehr Fälle oder wird einfach besser diagnostiziert?

Prof. Alexandra Wuttke: Das Alter ist der größte Risikofaktor, eine Demenz zu bekommen. Und da wir in einer alternden Gesellschaft leben, gibt es objektiv mehr Betroffene. Gleichzeitig sind aber auch unsere Möglichkeiten in der Diagnostik deutlich besser, so dass wir früher Demenzen erkennen können.

Meine Großmutter galt in hohem Alter als vergesslich. Würde man sie heute für "dement" erklären, weil wir eine andere Sensibilität und Diagnostik haben?

Wuttke: Wir sind auf dem Weg dahin. In Deutschland leben rund 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenz. Aber nur bei der Hälfte hat ein Arzt formal die Diagnose gestellt und damit den Weg in die Versorgung gebahnt. Die andere Hälfte hat keinen Zugang zu Leistungen und Ansprüchen, das ist ein Riesenproblem. Leider wird meist erst spät diagnostiziert – nämlich dann, wenn Probleme auftauchen.

Das heißt, die Dunkelziffer ist sehr hoch?

Wuttke: Das ist dramatisch. Denn wir können heute die Diagnose einer Demenz in einem sehr frühen Stadium stellen. Menschen können zu diesem Zeitpunkt noch selbstständig leben und selber entscheiden, wie sie mit den weiteren Herausforderungen umgehen wollen. Aber in den Köpfen ist immer nur die späte Demenz – also wenn jemand im Pflegeheim ist und vieles nicht mehr kann.

Wobei Demenz ja nicht gleich Demenz ist, oder?

Wuttke: Es gibt viele verschiedene Formen. Die häufigste ist die Alzheimer-Demenz in Kombination mit der vaskulären Demenz. Bei manchen Formen steht gar nicht das Gedächtnis im Vordergrund, sondern eine Persönlichkeitsveränderung. Deshalb ist Aufklärung in der Bevölkerung so wichtig. Je früher man so etwas erkennt, desto besser kann man gegensteuern.

Genug Wissen wäre vorhanden?

Wuttke: Wir reden viel über Demenz, aber die Erkenntnisse aus der Forschung kommen noch zu wenig an. In Würzburg gibt es ganz tolle Strukturen und Anlaufstellen für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen. Nur überall in Deutschland ist das Problem: Die Menschen gehen zu wenig auf diese guten Angebote ein, da spielt auch Scham eine Rolle. Das ist schade.

Weil sich Betroffene schwer tun, die Diagnose anzunehmen?

Wuttke: Es gibt verschiedene Gruppen. Da sind diejenigen, die von Anfang an mit ihren Angehörigen sehr offen über ihre Diagnose sprechen und sich gleich ein Hilfs- und Unterstützungsnetzwerk aufbauen. Diesen Menschen geht es besser. Sie ziehen sich nicht zurück, bleiben aktiv – das hat einen positiven Einfluss. Daneben gibt es die, die sich sofort zurückziehen, teilweise den eigenen Kindern nichts sagen. Niemand soll etwas davon erfahren. Diesen Menschen geht es schlechter, das Verbergen ist ein enormer Stress.

Gibt es Faktoren, die das Entstehen von Demenz begünstigen?

Wuttke: Viele denken, Demenz sei rein genetisch und es wäre nichts dagegen zu machen. Aber 40 Prozent des Risikos, an Demenz zu erkranken, sind veränderbar! Das ist enorm. Das heißt, durch Prävention können wir in vielen Fällen verhindern, dass eine Demenz überhaupt entsteht.

"Durch Prävention können wir in vielen Fällen verhindern, dass eine Demenz überhaupt entsteht."
Professorin Alexandra Wuttke
Und das sind Faktoren, die wir selbst beeinflussen können?

Wuttke: Viele, ja. Manches davon beginnt schon im frühen Leben, zum Beispiel die Bildung. Je mehr und länger man sich geistig fordert und fördert, desto geringer ist das Risiko, eine Demenz zu entwickeln. Soziale Aktivitäten mit anderen und Bewegung puffern das Risiko, ebenso ein gesunder Lebensstil. Rauchen oder Übergewicht dagegen erhöhen das Demenzrisiko.

Fit bleiben im Alter: Sport und ein gesunder Lebensstil helfen, das Risiko einer Demenzerkrankung zu reduzieren. 
Foto: Heiko Becker | Fit bleiben im Alter: Sport und ein gesunder Lebensstil helfen, das Risiko einer Demenzerkrankung zu reduzieren. 
Stimmt es, dass auch Schwerhörigkeit eine Rolle spielt?

Wuttke: Spannenderweise ist das – das wissen wir heute – sogar der größte veränderbare Risikofaktor. Wenn man im mittleren Erwachsenenalter schlecht hört, hat man ein höheres Risiko für die Entwicklung einer Demenz. Wenn man dann aber ein Hörgerät trägt, gleicht man das Ganze aus. Die Vermutung ist: Wenn man schlecht hört, fallen einem die Gespräche schwerer, man muss nachfragen, zieht sich zurück. Das heißt, ein Hörgerät ist ein Riesenhebel zur Vorbeugung.

Sie sprechen nicht von Erkrankten, sondern von "Menschen mit Demenz". Warum?

Wuttke: Weil es diesen Menschen nicht hilft, sie darauf zu reduzieren. Demenz ist nicht tödlich, man stirbt nicht an einer Demenz, sondern irgendwann mit ihr. Ich versuche, ein ganz anderes Bild von Demenz aufzubauen. Sie ist kein Schicksal, dem man hilflos ausgeliefert ist, sondern eine Herausforderung, an die wir uns anpassen können. Demenz ist leider stigmatisiert. Wir sprechen erst darüber, wenn die Probleme im Vordergrund stehen. Aber es gibt eine Phase davor.

Was sind typische erste Anzeichen für die beginnende Demenz?

Wuttke: Das Gedächtnis lässt nach, oder an neuen Orten fällt einem die Orientierung schwerer. Man findet sich nicht mehr so gut zurecht. Oder man ist reizbarer, schläft schlecht – das sind erste Anzeichen, die auf eine Demenz hinweisen können. Und da ist es wichtig, so mutig zu sein und das mit Fachleuten zu besprechen. Am Anfang können die Symptome einer Demenz und einer Depression sehr ähnlich sein. Eine Depression können wir heilen – eine Demenz nur im Verlauf ausbremsen. Meine Empfehlung wäre, bei Anzeichen zum Hausarzt zu gehen und eine Gedächtnisambulanz aufzusuchen.

Für Angehörige ist der Umgang mit Demenz nicht einfach. Wie kann man am besten unterstützen? Was kann man falsch machen?

Wuttke: Man sollte Menschen mit einer dementiellen Entwicklung nicht korrigieren. Da können Sie wirklich etwas falsch machen. Also Sätze wie "Das hast Du mich heute schon dreimal gefragt!" oder "Warum hast Du das vergessen?" Oder kleine Gedächtnistests machen nach dem Motto "Wiederhole mir diese drei Wörter". Hier Menschen mit ihren Defiziten zu konfrontieren, führt in einen Teufelskreis. Sie ziehen sich dann erst recht zurück, weil sie Angst haben, entdeckt zu werden. Sie sind dann nicht mehr aktiv, ziehen sich aus der Beziehung zurück, trauen sich nicht mehr zum Kegeln oder zum Chor. Besser ist: Wenn jemand dreimal das Gleiche fragt, dann dreimal gelassen antworten.

"Wenn jemand dreimal das Gleiche fragt, dann dreimal gelassen antworten."
Psychologin Alexandra Wuttke über den Umgang mit dementen Menschen
Also lieber ignorieren statt korrigieren?

Wuttke: Wir würden sagen "validieren statt korrigieren", also das wiederholt Gesagte oder Gefragte wertschätzen. Wenn jemand dreimal fragt "Wann gibt es heute Essen?", dann scheint das ja ein wichtiges Thema für diesen Menschen zu sein. Und auf dieses Bedürfnis sollte man bewusst eingehen, indem man zum Beispiel antwortet: "Ich sehe, Dir ist das ja ganz wichtig. Wir essen um 18 Uhr." Aber nicht benennen, dass jemand sein Fragen kurz danach schon wieder vergessen hat.

Kann man Menschen mit einer Demenz bevormunden, ohne dass man das beabsichtigt?

Wuttke: Das passiert leider sehr häufig. In Beratungsgesprächen erzählen oft Angehörige über den Menschen mit Demenz. Der sitzt daneben und wird immer kleiner. Mein Anliegen ist es, dass Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen auf Augenhöhe bleiben. Ja, die Demenz macht das Gedächtnis kaputt. Aber vieles andere ist davon unbeeinträchtigt und man kann bei einer beginnenden Demenz gut zusammenleben, wenn man das Gedächtnis einfach umschifft. Mein Ziel ist es, dass Angehörige nicht über einen Menschen mit Demenz sprechen, sondern mit ihm oder ihr.

Was halten Sie davon, wenn ältere Menschen mit Demenz zu ihren Kindern ziehen?

Wuttke: Ein Ortswechsel geht in der Regel mit einer massiven Verschlechterung einher. Bei einer beginnenden Demenz kommt man in den vertrauten vier Wänden noch gut zu recht. Aber in einer neuen Umgebung umlernen zu müssen – das ist für viele ein richtiger Einbruch. Es gibt so viele Hilfen, die den Verbleib in der eigenen Wohnung ermöglichen können. Sie sind nur vielfach nicht bekannt oder werden nicht angenommen. Das ist ein Fehler. Und wenn die Angehörigen über der Belastung krank werden, können sie auch nicht mehr für den Menschen mit Demenz da sein. Aber letzten Endes ist das eine individuelle Entscheidung, die man gut abwägen muss.

Warum wenden Sie sich als junge Wissenschaftlerin gerade älteren Menschen zu?

Wuttke: Ich fand schon im Studium ältere Menschen faszinierend – entgegen all dieser negativen Bilder. Sie haben solche Ressourcen, eine solche Lebenserfahrung, von der man profitieren kann. Ich finde es bemerkenswert, wie es eigentlich der Großteil der Älteren mittlerweile schafft, gesund zu altern. Es ist toll, wenn ältere Menschen aktiv sind, sich digital weiterbilden. Das ist für die neue Seniorengeneration, die gerade in Rente geht, oft selbstverständlich. Ich habe in der Beratung Menschen mit Demenz, die mich fragen, ob ich ihnen beim Einstellen ihrer Smartwatch helfen kann.

Demenz-Forschung in Würzburg

Prof. Alexandra Wuttke hat im Februar an der Würzburger Uniklinik die neu geschaffene Professur für Prävention von Demenz und Demenzfolgeerkrankungen angetreten. Zunächst in Teilzeit, weil die 34-Jährige aktuell noch das Zentrum für psychische Gesundheit im Alter (ZpGA) in Mainz leitet. Wuttke hat Psychologie studiert und absolvierte nach ihrer Promotion in Marburg eine Ausbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin. 
Die neue Professur in Würzburg ist angesiedelt im Zentrum für psychische Gesundheit (ZEP) der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie. Eingerichtet wurde die Stelle als Stiftungsprofessur gemeinsam von Uniklinik, Universität, der Vogel Stiftung Dr. Eckernkamp und der Stiftung Bürgerspital zum Heiligen Geist. 
aj
 
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Kommentare
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  • bertgs
    Woher hat die Dame diese Erkenntnisse? Gibt's dazu wissenschaftliche Erhebung oder ist das die persönliche Meinung der Dame? Demenz bekommen eher Leute, die nicht sehr aktiv sind? In meinem Umfeld stelle ich ganz was anderes fest.
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  • Lebenhan1965
    @ bertgs

    Was Sie in Ihrem Umfeld feststellen ist sicher ein möglicher persönlicher Eindruck.

    Es gibt, wie im Artikel auch genannt, eine genetische Disposition.

    Und dass auch hoch gebildete Menschen Alzheimer bekommen können, hat man ja auch dem berühmten Rhetorik Professor Walter Jens gesehen, der vorher als Philosoph immer wieder ganz Deutschland beeindrucken konnte.
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  • kafrumbi
    Lesen Sie doch Bitte den Bericht langsam und aufmerksam durch...es kann zB auch am Gehör liegen...es gibt viele Faktoren...die eintreffen oder auch nicht...heutzutage gibt es Forschungen über diese Krankheit.
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  • Uwehner
    Dann mal Flux mit der FAU Erlangen-Nürnberg und dem Institut für Psychogerontologie zusammenarbeiten und nicht das Rad neu erfinden!
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