Ferdinand von Schirach, 59, gehört zu den erfolgreichsten Autoren deutscher Sprache. Seine Theaterstücke "Terror" und "Gott" werden pausenlos gespielt, sein Roman "Der Fall Collini", eine Abrechnung mit der Verdrängung der NS-Verbrechen, wurde mit Elyas M'Barek in der Hauptrolle verfilmt. Sein jüngstes Buch "Regen" steht derzeit auf Platz eins der "Spiegel"-Bestsellerliste.
Der schmale Band, von der Kritik teilweise eher skeptisch aufgenommen, besteht aus dem desillusionierten Monolog eines Ich-Erzählers ("80 Prozent von allem ist Mist") und einem etwa ebenso langen Interview. "Regen" - Untertitel: "Eine Liebeserklärung" - ist im Grunde ein Ein-Mann-Theaterstück, weswegen die Termine der Premierentournee ab Oktober den Titel "Aufführung" und nicht "Lesung" tragen.
Diese anteilnehmende, nicht selten liebevolle Distanz
Besucherinnen und Besucher des Literaturfestivals MainLit können schon vorab einen Eindruck bekommen: Am 23. September liest Ferdinand von Schirach um 19 Uhr im Würzburger CCW. Er wird dann nicht "Regen" in Gänze vortragen, sondern auch Passagen aus dem Vorgängerband "Nachmittage". Was den Abend möglicherweise noch interessanter macht.
Denn "Nachmittage", geprägt von dieser anteilnehmenden, nicht selten liebevollen Distanz zu den höchst unterschiedlichen Figuren und Schicksalen, kann man kaum aus der Hand legen. Die Frau, die ihren Mann mit einem falschen Verdacht in den Tod treibt. Die Pianistin, die ihre Weltkarriere aufgibt - um die Musik nicht zu verlieren. Oder der Ich-Erzähler, der das menschlichste aller Paradoxa erkennt: "Aber wir sind Menschen, wir teilen diese Einsamkeit, sie ist es, die uns verbindet."
"Regen" hingegen hatte etwa der NDR als "schwer erträglich" befunden. Ein verkrachter Schriftsteller und Gerichtsschöffe wider Willen, flüchtet sich aus dem Regen in eine Bar und erzählt seine Geschichte. Wobei er sich immer wieder in kulturpessimistische Tiraden versteigt. Über die quasi alpentaugliche Ausrüstung, mit der sich die Menschen durch Berlin bewegen. Oder darüber, wie sie ihren Urlaub verbringen: "In den sogenannten schönsten Wochen des Jahres liegen die Leute schwitzend auf Fischkot herum, baden in Kloaken, lesen schlechte Bücher und bekommen von der Sonne Hautkrebs."
Kling nicht sehr originell, ist es auch nicht. Soll es auch nicht. Ferdinand von Schirach, der sich verträglich zusichern lässt, vor und nach seinen Lesungen mit niemandem sprechen zu müssen, der mit Interviewterminen eher knausrig ist, aber durchaus nicht ungern in Talkshows auftritt, ist ein Phänomen. Oder besser: ein Sphinx.
In "Regen" lässt er seinen Ich-Erzähler rhetorisch über die Stränge schlagen
Bei kaum einem Autor, einer Autorin rätselt das Publikum so hingebungsvoll, was und wieviel in seinem oder ihrem Werk denn nun "echt" sei, also tatsächlich erlebt, gefühlt, gedacht. So berichtet von Schirach in "Kaffee und Zigaretten" von einem kläglich gescheiterten Suizidversuch mit 15, in Interviews spricht er offen über seine Depression. Dieser stille, scharfsinnige Mann mit der beinahe kindlich unvoreingenommen Beobachtungsgabe und dem frappierenden Sinn für die hintergründige Pointe scheint permanent freigiebig Auskunft zu geben, und doch wird niemand behaupten können, deshalb den Menschen Ferdinand von Schirach persönlich zu kennen.
Vielleicht nimmt die Kritik es ihm deshalb übel, wenn er seinen Ich-Erzähler mal rhetorisch über die Stränge schlagen lässt. Und tappt dabei in die älteste Literaturfalle überhaupt: Der Autor und seine Figuren sind nicht identisch, möge manche Episode noch so autobiografisch geprägt sein. Ferdinand von Schirach selbst hat eine ganz einfache Formel: "Wir alle unterscheiden uns nicht sehr. Und deshalb kann das, was Sie schreiben, manchmal jemanden berühren. Das ist auch das einzige Kriterium für Literatur - berührt sie uns oder tut sie das nicht?"
Karten: Tourist-Info im Falkenhaus am Markt, Würzburg Marktplatz, Tel. (0931) 372398 oder www.main-lit.de